Deutschlands Altersheime sind ein Auslaufmodell - für Kommunen heißt das: Die Stadt von morgen muss komplett neu gedacht werden
Deutschlands Altersheime sind ein Auslaufmodell - für Kommunen heißt das: Die Stadt von morgen muss komplett neu gedacht werden
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Zukunftsforschung

Altenheime sind ein Auslaufmodell in Kommunen

Statt über „Jugendwahn“ und „Altersdiskriminierung“ sollten wir über die Chancen einer reifer werdenden Gesellschaft streiten. Dazu gehört in Kommunen etwa die Abschaffung der Alten-und Pflegeheime, meint Zukunftsforscher Daniel Dettling.

Früher war es so: Eine Kommune, die an die Zukunft dachte, baute genügend Altenheime. Dazu die Pflegeeinrichtungen. Wer heute noch so plant, zelebriert die Vergangenheit, nicht aber die Zukunft. Unser Zukunftsforscher wirft einen Blick auf die alternde Gesellschaft und die Chancen, die damit für Kommunen verbunden sind.

Wie alt man ist, weiß bereits jedes Kind. Aber wann sind wir alt? Darüber gehen die Meinungen und Bilder auseinander. Während die Menschen in Deutschland bereits mit 62 als alt gelten, werden in Spanien Menschen erst ab 74 als alt eingestuft. Alt sind immer die anderen. Das Streben nach ewiger Jugend ist fast allen Kulturen gemein. Bereits die älteste Geschichte der Menschheit, der Gilgamesch-Epos, beschreibt die vergebliche Suche eines Königs nach der ewigen Jugend. Je älter wir werden, desto länger wollen wir jung sein. Nie zuvor haben so viele Menschen ein so hohes Alter erreicht. Die Chance 65 oder älter zu werden, hat sich bis heute verdreifacht. Wer in diesen Tagen geboren wird, kann auf ein langes Leben hoffen. In der Wirtschaft ist längst die Rede von der Silver Economy und den Silver Surfern. Immer mehr ältere Menschen tragen durch Arbeit und Konsum zum wirtschaftlichen Erfolg bei. Auf die Generation über 60 kommt es in Zukunft mehr denn je an.

Alt sein oder werden ist vor allem eine Kopfsache 

Es sind die in die Jahre kommenden Babyboomer, die dem Alter den Kampf angesagt haben, indem sie sich an der Jugend und ihren Attributen orientieren. Die zwischen 1955 und 1964 Geborenen haben das Alter mit Marketingbegriffen wie »Anti-Aging« problematisiert, um ihm zu entfliehen. Der Generationenvertrag gleicht heute dem berühmten Hase-Igel-Spiel. Wo die Jungen hinwollen, sitzen die Alten bereits fest: in den Chefetagen, Talkshows und auf Mallorca. Der vergebliche Kampf der Boomer gegen das eigene Älterwerden enthält einen biologischen Kern: Wie wir älter werden, haben wir selbst in der Hand. Altwerden fängt mit der Jugend an. Unsere Biografiekompetenz entscheidet darüber, ob und wie wir erfolgreich altern. Gemeint ist damit die Fähigkeit, mit Risiken aktiv umzugehen und sich im Laufe des Lebens bewusst zu verändern und anzupassen. Forscher haben herausgefunden, dass Menschen, die über eine positive Selbstwahrnehmung über das eigene Altern verfügen, im Schnitt 7,5 Jahre länger leben als jene ohne positive Selbstwahrnehmung. Die Studie der Yale University belegt den Zusammenhang zwischen positiver Einstellung zum Altern und einer deutlich höheren Lebenserwartung. Wer gerne altert, der lebt auch länger und gesünder. Eine andere Studie untersuchte die Folgen einer negativen Denkweise über das Altern im Hinblick auf die eigene Gesundheit. Menschen mit einer negativen Einstellung hatten später ein doppelt so hohes Risiko, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu bekommen. Altern ist heute nicht mehr determiniert, sondern dynamisch und individuell.

Von wegen Altenheim: In welcher Umgebung sich Menschen jünger fühlen 

Zukunftsforscher nennen den neuen Trend »Downaging«: Wir fühlen uns immer jünger, bleiben nicht nur körperlich länger gesund, sondern zusätzlich geistig länger vital. Wer beispielsweise moderne Medien und Technologien nutzt, fühlt sich oft jünger. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Nutzung von Smartphones Senioren um acht Jahre jünger machen: 60-Jährige fühlen sich heute körperlich und geistig so fit wie 52-Jährige vor zehn Jahren. Die Gruppe der »Forever Youngster«, einer neuen Spezies von jungen Alten, ist auf dem Vormarsch. Zu dieser gehören mehr als drei Millionen 60- bis 79-Jährige. Zwei Drittel davon sind Frauen, 80 Prozent haben Kinder und immer mehr sind berufstätig. Die besten Jahre haben viele der Generation 65+ noch vor sich.

Der Downaging-Trend führt zu einer Abschaffung unseres bisherigen Verständnisses von Alter. Noch nie in der Geschichte der Menschheit hatten wir so viel Wissen über Wege und Methoden, uns selbst zu verjüngen. Wissenschaftler erforschen Verfahren, die uns fit machen für ein längeres und gesünderes Leben – der Trend geht dahin, dass wir in Zukunft selbst entscheiden werden, wie alt wir sein wollen. Die Abkehr vom Alter bedeutet auch Befreiung und mehr Selbstbestimmung. Es geht um Aktivität, Vitalität und Lebensqualität. Die Zukunft gehört der alterslosen Gesellschaft – mit weitreichenden Folgen für unser Gesundheits,- Sozial- und Wohnwesen.

Die 3 Säulen: länger arbeiten, neue Arbeitsformen und Abschaffen der Altenheime

»Nicht mehr die Jugend ist der Motor des Fortschritts, sondern die Reife«, schreiben Rainer Böhme, Petra und Werner Bruns in ihrem Buch Die Altersrevolution bereits vor 15 Jahren. Zur selben Zeit erschien der 5. Altenbericht der Bundesregierung, der die Prognose formulierte: »Weil der Anteil der Menschen im höheren Lebensalter steigt, der Anteil jüngerer Menschen hingegen rückläufig ist, werden es die Älteren sein, die die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zukunftsaufgaben maßgeblich mitschultern müssen.«  Seitdem wird über einen neuen Generationenvertrag gestritten. Als Post-Babyboomer und Noch Nicht-Millenial besteht eine „Agenda für eine alterslose Gesellschaft“ aus mindestens drei Säulen: Länger arbeiten, einem Markt für Care-Arbeit und der Abschaffung der Alten- und Pflegeheime.

Säule 1: Länger arbeiten 

Länger arbeiten. Gestiegene Lebenserwartung plus bessere Arbeitsbedingungen machen längeres Arbeiten möglich. Eine Reihe von Studien kommt zu dem Ergebnis, dass es gesünder ist, im Alter (reduziert) weiterzuarbeiten, selbst wenn man schon in Rente ist. Menschen, die im Alter weiter gebraucht werden und erwerbstätig sind, leiden weniger an schweren Krankheiten und leben oft länger als gleichaltrige Menschen im Ruhestand. Ein zu früher Renteneintritt schadet hingegen der Gesundheit. Allmählich spricht sich der Zusammenhang herum: Mehr als jeder Zweite in der Generation 60plus geht heute einer bezahlten Tätigkeit nach, was eine Verdopplung innerhalb von 20 Jahren bedeutet. In der Altersgruppe ü70 wollen mehr als 20 Prozent länger arbeiten, wenn sie gesundheitlich dazu in der Lage sind. Viele der Älteren sind hochqualifiziert und könnten die größer werdende Lücke bei den Fachkräften zum Teil schließen. Seit fünf Jahren gibt es mit „Generation Ü“ ein bundesweites Netzwerk, das Ältere in bezahlte wie ehrenamtliche Tätigkeiten vermittelt und dabei begleitet. 

Säule 2: Markt für Care-Arbeit

Zweitens geht es um eine überfällige finanzielle Aufwertung von Familien- und Pflegearbeit. Der weltweite Umsatz für Beauty & Personal Care (Kosmetik, Körperpflege etc.) wird in diesem Jahr ca. 467 Mrd. Euro betragen. Der Markt für Social Care ist um vielfaches höher. Er wird nur nicht gemessen, weil wir noch keinen echten Preis für Betreuung definiert haben. Ähnlich dem CO2-Preis muss es auch einen Care-Preis geben. Millionen neue gut bezahlte Jobs würden entstehen, wenn Wirtschaft und Gesellschaft altersgerechter und barrierefrei werden. 

Säule 3: Das Aus für die Altenheime 

Fast alle Älteren wollen die letzten Lebensjahre in den eigenen vier Wänden verbringen und nicht in Heimen. Der medizinische und technologische Fortschritt ermöglicht es, dass wir uns selbst zuhause versorgen oder uns dort versorgen lassen. Voraussetzung sind flexible Wohninfrastrukturen und Projekte, die Pflege in den Alltag integrieren und dabei die Pflegebedürftigen so weit wie möglich aktivieren. „Altersfreundliches Wohnen“ ist weltweit ein Trend. Das Netzwerk altersfreundlicher Städte ist in mehr als 150 Ländern aktiv. Die Pflege älterer Menschen am Wohnort wird zum neuen urbanen Wachstumsmarkt. Es geht um dezentrale Lösungen und Modelle, intelligente Wohn- und Nachbarschaftsformen, Quartierärzte und -schwestern, Telemedizin und Selbstorganisation.

In Zukunft wird die Geschichte des demografischen Wandels neu geschrieben. Wenn wir es richtig anstellen, können wir so jung sein, wie wir uns fühlen. Eine Gesellschaft, die gesund altert, ist eine reifere und freiere Gesellschaft und stärker immun gegenüber Hass, Populismus und Zukunftsängste.