Der Dorfladen 2.0 in Thüringen
© Tag und Nacht Markt

Ländlicher Raum

Der Dorfladen, der rund um die Uhr geöffnet hat

Die Vorstellung klingt eindeutig nach Silicon Valley - es handelt sich aber tatsächlich um einen Dorfladen 2.0 mitten in der thüringischen Provinz. 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche geöffnet, mehr als 1200 Produkte, modernste Technik ohne Verkäufer und somit wirtschaftlich schon nach wenigen Monaten erfolgreich. Allerdings: Ganz ohne Mithilfe der Kommune ging es auch nicht - wir präsentieren Ihnen den wohl modernsten Tante-Emma-Laden Deutschlands!

Viele Dörfer in Deutschland träumen davon, endlich wieder einen Supermarkt oder einen Dorfladen zu bekommen. Bürgerbewegungen gründen sich, versuchen, ehrenamtlich solche kleinen Tante-Emma-Läden mit viel Enthusiasmus auf die Beine zu stellen. Teils durchaus erfolgreich, häufig aber wirtschaftlich hart an der Grenze dessen, was sich darstellen lässt. 

Umso auffälliger ist ein Projekt im kleinen 1200 Seelen Dorf Altengottern in Thüringen. Das Dorf gehört zur Landgemeinde Unstrut-Hainich rund 50 Kilometer entfernt von Erfurt. Kurzum: Tiefe Thüringer Provinz. Einen Supermarkt gibt es auch hier schon lange nicht mehr, oder besser: Gab es nicht mehr. Denn im Februar wurde in dem kleinen Ort ein Projekt gestartet, das zum Nachahmen einlädt. Der Jungunternehmer Mario Demange hat im Ort einen Einkaufsmarkt mit 1200 verschiedenen Produkten eröffnet. Dazu bieten ein lokaler Bäcker und ein Fleischer ihr Sortiment frisch an, es gibt Obst und Gemüse und aktuelle Zeitschriften. Und nebenbei noch eine Paketstation, einen kostenfreien WLAN Hotspot, eine E-Auto-Ladesäule und eine kleine Cafe-Station. 

Das Geschäft nennt sich "Emma´s Tag und Nacht-Markt". "Wir haben die erste digitale Infrastrukturplattform für den ländlichen Raum in Europa entwickelt", sagt dann auch Mario Demange stolz. "Wir haben nicht zuletzt mit einer digitalen Infotafel der Verwaltung ein neues Dorfzentrum geschaffen", sagt er. Und mit den Superlativen muss er sich in der Tat nicht zurückhalten. Denn der Supermarkt hat sieben Tagen in der Woche für 24 Stunden geöffnet, ist hochmodern, sieht futuristisch aus und ist trotzdem auch bei Senioren beliebt, die sonst neuer Technik häufig skeptisch gegenüberstehen. 

Der Dorfladen von innen - inklusive Kühlregalen und Kaffee-Station
Der Dorfladen von innen - inklusive Kühlregalen und Kaffee-Station

Die Gemeinde hat das Grundstück zur Verfügung gestellt, die laufenden Kosten sind minimal 

Das Problem der meisten kleinen Supermärkte im ländlichen Raum: Die Personalkosten sind zu hoch, der Betrieb lohnt sich dann nicht mehr. So war es auch in Altengottern, es gab mal einen kleineren Supermarkt, der musste aber schließen. 300.000 Euro hat der moderne Supermarkt gekostet, möglich war das dem kleinen StartUp, weil er einen Teil über Fördergelder der EU finanzieren konnte. Die Gemeinde hat zudem das Grundstück zur Verfügung gestellt und die digitale Infotafel bezahlt. Die funktioniert im Grunde, wie ein Amtsblatt. Hier gibt es alle wichtigen Informationen aus der Gemeinde. Da neben der Infotafel noch eine Café-Ecke eingerichtet ist, lädt die Infotafel geradezu dazu ein, hier etwas zu verweilen. Eine Art Dorfzentrum im Supermarkt. 

Das wichtigste in dem Supermarkt jedoch: Die Personalkosten sind minimal, morgens kommt für eine Stunde eine Kraft vorbei. Eigentlich geht es dabei in erster Linie ums Saubermachen, sie schaut aber auch sonst nach dem Rechten. 

So funktioniert der digitale Dorfladen in der Praxis 

Mehr Personal ist in der Tat nicht nötig, denn alles andere läuft über technische Lösungen. Der Zutritt erfolgt über eine digitale Kundenkarte mit vom Kunden festgelegter PIN. Kurzum: Der Neukunde muss sich einmalig anmelden, das geht ebenfalls digital über eine eigens geschaffene Internetseite. Die Kundenkarte wird dann einmalig ausgestellt. Hinterlegt wird entweder eine EC- oder eine Kreditkarte. Wer den Laden betritt, findet mehrere Regalreihen und auch Kühlgeräte sowie zwei Selbstbedienungskassen vor. Jedes Produkt ist mit einem sogenannten RFID-Chip gesichert, das ist ein kleines elektronisches Etikett, das minimale Funkwellen sendet. Sollte doch mal ein Kunde das Produkt nicht bezahlt haben, piept es entsprechend. Zudem überwachen zahlreiche teils sichtbare, teils aber auch unsichtbare Kameras das Geschäft. Das Wort "überwachen" mag Jungunternehmer Mario Demange jedoch nicht so gerne, spricht lieber von "die Kameras begleiten den Kunden". Denn die Kameras und die Software zum Bezahlen haben noch eine andere wichtige Funktion. Sie sorgen dafür, dass die verkauften Waren automatisch nachbestellt werden. So muss die "Reinigungskraft", der Jungunternehmer nennt sie die "gute Seele des Supermarktes" nur alle paar Tage die Regale auffüllen, wenn Ware nachgeliefert wird. Außerdem sollen die Kameras zusätzliche Sicherheit beim Bezahlvorgang bieten, denn es werden nicht nur die Waren gescannt, es gibt auch eine Gesichtserkennung an der Bezahlstation, die PIN und Käufer abgleicht.

Statt einer Verkäuferin gibt es im Dorfladen eine digitale Kasse
Statt einer Verkäuferin gibt es im Dorfladen digitale Kassen

Das sagen Kommunalpolitik und Experten zu dem 24/7 Dorfladen 

Der Bürgermeister der Gemeinde jedenfalls ist froh, endlich wieder einen Supermarkt im Dorf zu haben. "Hier bekommt man alles für den privaten Haushalt, was man braucht. Das ist eine unwahrscheinliche Aufwertung für unseren Ort", so Jan Tröstrum, der Ortschaftsbürgermeister.

Über mangelnden Besuch kann sich der ehrenamtliche Ortsbürgermeister in den letzten Monaten seit der Eröffnung übrigens nicht beklagen. Zahlreiche andere Bürgermeister und Landtagsabgeordnete hätten Altengottern und seinen Supermarkt seither besucht. Denn fehlende Supermärkte sind in immer mehr kleinen Gemeinden ein großes Problem. Eine der am häufigst gestellten Fragen dabei ist, ob ein solch rein digitaler Laden denn auch für ältere Menschen ein Modell ist. Bürgermeister und Inhaber jedenfalls sind davon überzeugt. Jungunternehmer Mario Demange jedenfalls sieht sein Konzept als skalierendes Modell und kann sich gut vorstellen, weitere solcher Märkte in anderen Dörfern zu eröffnen. Alle Informationen rund um den Markt finden sich im Netz auf der Seite des Marktes unter www.tagundnachtmarkt.de 

Auch beim Handelsverband Deutschland sieht man die Entwicklung durchaus positiv. HDE-Sprecher Stefan Hertel meint: "Die Digitalisierung bietet eine große Chance für die Supermärkte, einen besseren Service aufzubauen. Am Ende wird sich das Beste aus der analogen und der digitalen Welt verknüpfen. Durchsetzen wird sich nur, was für Kunden einen wirklichen Mehrwert bedeutet". 

So sieht laut Experten die Zukunft der Supermärkte aus 

Studien zeigen, dass die Digitalisierung auch im Lebensmittelbereich massiv an Schwung gewinnen wird. Laut Experten werden Supermärkte künftig insgesamt deutlich weniger, dafür aber besser geschultes Personal haben. Sie sagen außerdem, dass der Preis als Entscheidungskriterium an Bedeutung verlieren wird. Das Einkaufserlebnis werde immer wichtiger. Kunden müssen sich wohlfühlen, zwischendurch einen Kaffee trinken können. Und nicht zuletzt zeigt Internetriese Amazon, wie auch der Lebensmittelmarkt digital wird, der Online-Händler ist inzwischen auf Platz 5 der Lebensmittelhändler mit dem größten Umsatz in Deutschland aufgestiegen. 

Den Supermarkt der Zukunft stellt sich die Lebensmittelbranche nach eigenen Angaben in etwa so vor: 

Ein Geschäft, rund um die Uhr geöffnet, teilweise mit Robotern statt Personal. Selbstbedienungskassen und Bezahlen mit App und Handy. Dazu ein Online-Versand auch mit frischen Lebensmitteln direkt ins Haus. Und nicht zuletzt dürften die Supermärkte dank künstlicher Intelligenz sehr viel genauer vorhersagen dürfen, was die Kunden am nächsten Tag kaufen werden. Das hilft, Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Das Stichwort Nachhaltigkeit spielt dabei nach Meinung der Branche künftig eine wichtigere Rolle. Nicht umsonst installieren schon jetzt viele Supermarktketten kostenfreie Ladesäulen für Elektroautos auf ihren Kundenparkplätzen. Genau, wie eben auch der Tag und Nacht Supermarkt von Mario Demange auf dem Dorf in Thüringen.