Viele Menschen zieht es raus aus der Stadt und rein ins Dorf!

Gebietsreformen sind nicht mehr zeitgemäß!

18. Oktober 2017
Seit einigen Jahren ist es wieder „in“, ganz weit „draußen“ zu leben – auf dem Land. Ganze TV-Formate, wie „Bauer sucht Frau“ widmen sich dem Landleben. Dennoch fühlen sich viele Menschen im ländlichen Raum von der hohen Politik abgehängt. Im KOMMUNAL-Gastbeitrag beschreibt der Dorfforscher Gerhard Henkel, warum sich die Politik aus seiner Sicht grundsätzlich ändern muss.

Text: Gerhard Henkel

Ökonomisch stehen viele Landregionen gut da. Ländliche Lebensstile sind „in“, das Dorf wird grundsätzlich von seinen Bewohnern geliebt. Aber es sind auch viele Dörfer immer leerer geworden: an Menschen, an Betrieben und Arbeitsplätzen, an Schulen, Gasthöfen, Läden, Banken und neuerdings auch an Kirchen. Im Haupttrend wandert ein Großteil der Jugendlichen ab, die Älteren bleiben allein zurück. Leerstand prägt unzählige Dörfer und Kleinstädte. Ein Teufelskreis von realen Verlusten und schlechter Stimmung und Ohnmachtsgefühlen prägt zehntausendfach das innere Dorfleben.  

Der Staat – in Gestalt von Bund und Ländern – ist ein wesentlicher Mitverursacher der gereizten Stimmung und Resignation auf dem Lande. Er gibt den Dörfern und Landgemeinden zu wenig Anerkennung, finanzielle Unterstützung und gestalterische Freiräume. Das Subsidiaritätsprinzip im Staatsaufbau ist bereits weitgehend ausgehöhlt, und dieser Trend setzt sich weiter fort. Die Dörfer und Kommunen fühlen sich zunehmend „von oben“ gegängelt und entmündigt.   Auf dem Lande hat in den letzten Jahrzehnten eine zweifache Entmündigung kommunaler Instanzen stattgefunden. Die Entmündigung der Kommunen zeigt sich in rechtlichen, planerischen und finanziellen Reglementierungen. Inzwischen sind etwa 90 % der kommunalen Ausgaben durch staatliche Gesetze und Richtlinien festgelegt. Die fehlende „freie Spitze“ kommunaler Finanzplanung zwingt viele Kommunen zu verstärkter Schuldenaufnahme. In der ländlichen Kommunalpolitik dominiert daher das Gefühl der Geringschätzung und Bevormundung durch die hohe Politik.  

Aufzwängung von Gebietsreformen

Ganz aufgelöst wurde die bestehende demokratische Basis des Staates in über 20.000 deutschen Dörfern. Man hat ihnen Gebietsreformen aufgezwängt und damit Selbstverantwortung mit Bürgermeister und Gemeinderat genommen. Die Dörfer verloren durch die Gebietsreformen ihre eigene demokratische Kraft und damit auch das Selbstwertgefühl, für ihr Dorf Kompetenz zu besitzen und verantwortlich zu sein. Durch die Gebietsreformen wurden über 300.000 ehrenamtlich tätige Kommunalpolitiker entlassen. Damit wurde ihnen vom „Staat“ signalisiert, dass ihr lokales Denken, Fühlen und Handeln nicht mehr gebraucht wird.   Die ganze Reportage in unserer aktuellen Ausgabe im Magazin - hier gehts zum kostenfreien Probeabo!

Inzwischen weiß man durch zahlreiche Studien, dass Gebietsreformen keine finanziellen Einsparungen bringen, aber veerhende demokratische und soziale Verluste verursacht haben und weiter verursachen. Dennoch werden die Gebietsreformen fortgesetzt, wie derzeit in Thüringen und Brandenburg. Hier sehen die betroffenen Bürger und Kommunalpolitiker, dass sich die Entscheidungszentralen noch weiter von ihren Dörfern und Kleinstädten entfernen, dass ihre Mitarbeit noch weniger geschätzt und gewünscht wird. Ohnmachtsgefühle und Wut stellen sich ein, wie ich es auf zahllosen Veranstaltungen und durch Zuschriften hautnah miterlebe. Die Entmündigung der Dörfer und Landgemeinden zeigt sich auch in immer neuen Hürden...