In Berlin demonstrierte die Veranstaltungsbranche
In Berlin demonstrierte am Mittwoch die Veranstaltungsbranche
© Gudrun Mallwitz

Strenge Corona-Regeln

Regierungserklärung: Kanzlerin verteidigt Lockdown

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Bundestag den geplanten Lockdown ab 2. November verteidigt. Gastronomiebetriebe werden geschlossen, touristische Reisen verboten, Veranstaltungen abgesagt. Bund und Länder haben zuvor am Mittwochabend drastische Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus beschlossen. Das Parlament konnte erst einen Tag später darüber diskutieren.

Die Sitzung des Bundestages begann an diesem Donnerstag, 29. Oktober, mit der Regierungserklärung der Kanzlerin. Sie hatte sich bereits am Mittwochabend in einer Pressekonferenz zu den geplanten drastischen Maßnahmen geäußert. Ab kommenden Montag, 2. November, kommt es zu einem erneuten Lockdown im Kampf gegen das Corona-Virus, der vor allem die Gastronomie und Veranstaltungsbranche hart trifft.  Im Anschluss an die Regierungserklärung, die um 9 Uhr begann, war eine 90-minütige Aussprache vorgesehen, die noch läuft.

Merkel: Dramatische Lage

"Viele Gesundheitsämter sind an der Belastungsgrenze", begann Merkel ihre Rede. "Wir befinden uns zu Beginn der kalten Jahreszeit in einer dramatischen Lage", betonte sie. Da kamen bereits die ersten Zwischenrufe. Private Kontakte seien auf das absolute Minimum zu reduzieren, touristische Angebote werde es nicht geben. Gastronomie und bestimmte Dienstleitungsunternehmen würden geschlossen. Applaus, als sie sagt: "Wir haben uns entschieden, Kitas und Schulen offen zu lassen."

Hygienekonzepte können Corona-Verbreitung nicht aufhalten

Merkel unterstrich, sie verstehe den Frust über die Entscheidungen von Bund und Ländern, in der gegenwärtigen Situation könnten die Hygienekonzepte die expotentielle Verbreitung des Corona-Virus aber nicht mehr aufhalten. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble schaltet sich ein, als die Zwischenrufe nicht aufhören. Er verwies auf die Möglichkeit der Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung der Kanzlerin.

Eine vollständige Abschirmung von Risikogruppen vor Ansteckungsgefahr könne keine Lösung sein. Zu den Risikogruppen gehörten nicht nur die Älteren, sondern auch die Menschen mit Vorerkrankungen. "Ziel aller Maßnahmen ist es, die Begegnungen von Menschen massiv, am besten um 75 Prozent, zu senken", sagte Merkel. Sie verwies darauf, dass die Ausstattung an Intensivbetten den Anforderungen gewachsen sein müsse. Die Lage sei besorgniserregend, beschwichtigendes Schönreden wäre unverantwortlich. "Diese Pandemie ist eine medizinische, eine ökonomische, eine soziale, eine psychische Bewährungsprobe", so Merkel weiter.

Eingriffe in Freiheitsrechte - Kanzlerin dankt Bevölkerung

"Die Maßnahmen treffen uns im Kern unseres menschlichen Miteinanders", betonte Merkel und dankte den Menschen für den überwiegenden Rückhalt in der Corona-Krise, obwohl sie in die Freiheitsrechte eingreifen. "Lüge und Desinformation und Hass beschädigen nicht nur die Debatte, sondern schwächen uns im Kampf gegen das Virus."

Corona-Warn-App: Bedeutung steigt

Die Kanzlerin berichtete über die bisherigen Maßnahmen im Kampf gegen das Corona-Virus. Die Nutzung der Corona-Warn-App liege inzwischen bei rund 21 Millionen Downloads, aktuell seien 90 Prozent der niedergelassenen Testlabors angeschlossen. "Die Bedeutung der App wächst mit jedem Tag."

"Historische Krise - harte Wintermonate stehen bevor"

Sie sprach von einer historischen Krise und von vier schweren Wintermonaten, die bevorstehen."So wie wir  Menschen schon so viele große Probleme in der Geschichte bewältigt haben, können wir dazu beitragen, diese Pandemie zu bekämpfen" beendete Merkel ihre Rede mit einem Appell an das Verantwortungsbewusstsein der Bürger. "Indem wir verzichten."

Nach Angela Merkel sprach AfD-Fraktionschef Alexander Gauland. Er warf der Regierung "eine Art Kriegspropaganda" vor. Ein "Kriegskabinett" habe die größten Freiheitsbeschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen, sagte Gauland. Der Preis für die von Bund und Ländern sei zu hoch, kritisierte er. Zudem forderte er, dass das Parlament wieder die Beschlüsse fassen soll und auch in dieser Situation nicht mehr die Regierung allein.

SPD-Fraktionschef will Zustimmungsvorbehalte für das Parlament

SPD-Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich verteidigte die befristeten Maßnahmen als dringend erforderlich und verhältnismäßig. "Die Balance zwischen notwendigen Eingriffen und Hilfen wurde gewahrt", so der Fraktionschef.  Die weitreichende Befugnisse der Exekutive seien für eine Übergangszeit zulässig, um Gefahren von der Bevölkerung abwehren zu können. Diese Zeit sei noch nicht vorbei. Angestrebt werde eine weitere Konkretisierung im Gesetzgebungsverfahren. In der Fraktion gebe es erste konkrete Überlegungen, wie die Leitplanken für die Regierung aussehen könnten. Dazu gehören Zustimmungsvorbehalte für das Parlament.

FDP-Fraktionschef Christian Lindner begann seine Rede mit der Kritik daran, dass die Regierungsspitzen in Deutschland den erneuten Lockdown bereits beschlossen hatten, ehe im Parlament darüber diskutiert werden konnte. "Die Debatte muss vor der Entscheidung stattfinden und der Ort dafür ist das Parlament", bemängelte er. Seine Forderung: "Die Pandemiebekämpfung gehört zurück in die Parlamente." Mit ihren Beschlüssen gehe die Regierung erneut rechtliche Risiken ein. "Gerade haben die Gerichte die Beherbergungsverbote gekippt", so Lindner. Er verwies darauf, dass sich die Betriebe  mit Hygienekonzepten auf den Winter vorbereitet haben und nannte die Entscheidungen zur vorübergehenden erneuten Schließung "unfair".  Was, so fragte er, kommt nachdem die aktuelle Welle gebrochen ist? Was, wenn nach Weihnachten die Infektionszahlen weiter steigen?

Dagegen hielt CDU-Fraktionsvorsitzender Ralph Brinkhaus ein leidenschaftliches Plädoyer für die Maßnahmen von Bund und Ländern. "Die Beschlüsse sind klar, einig und furchtlos, sie muten den Menschen etwas zu. Das haben wir uns nicht ausgesucht." Er hob erleichtert hervor, dass unter den Länderchefs und der Kanzlerin  dieses Mal Einigkeit hergestellt worden sei. Damit gelten in ganz Deutschland die gleichen Regeln. Und: "Kitas und Schulen bleiben offen und werden nicht wie beim ersten Lockdown geschlossen, was damals ein Fehler war."

Amira Mohamed Ali, die Vorsitzende der Fraktion der Linken, mahnte die Nachvollziehbarkeit und Transparenz der  Maßnahmen an. Deshalb hätte die Debatte im Bundestag vor der Entscheidung von Bund und Ländern stattfinden müssen, kritisierte sie. Die Linke-Fraktionschefin erneuerte die Forderung, in der Corona-Krise das Kurzarbeitergeld auf 90 Prozent zu erhöhen. Sie warf der Regierung vor, nicht auf die zweite Welle vorbereitet zu sein.

Die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, hielt der Regierung "Aktionismus und Wirrwarr" vor. "So ist aus der Infektionskrise eine Vertrauenskrise geworden", sagte sie. Im Grundsatz aber stütze ihre Fraktion aber die Maßnahmen. "Wir müssen die Welle jetzt brechen", sagte sie mit Verweis auf die steigenden Infektionszahlen. Die Zeit müsse aber genutzt werden, um nachhaltige Konzepte zu entwickeln, damit das Land aus diesem Lockdown wieder herauskomme. "Die Krise darf auch nicht auf den Schultern der Landräte und der Bürgermeister ausgetragen werden", mahnte sie. Auch sie kritisierte, dass das Parlament bei den folgenschweren Beschlüssen außen vor gehalten wurden.

Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, erhielt  in der Debatte Rederecht. Sie wollte die Sicht der Länder in die Debatte einbringen. "Ich bin nicht bereit hinzunehmen, dass in unseren Krankenhäusern wieder mehr Menschen sind, wieder mehr Menschen sterben", sagte sie. Es brauche eine nationale Anstrengung, um eine nationale Gesundheitsnotlage zu verhindern. Sie verwies darauf, dass Bund und Länder auf gesetzlicher Grundlage handeln. "Wir tun das mit Abwägung", hob Dreyer hervor. Die Ministerpräsidentin begrüßte, dass die SPD-Fraktion das Bundesinfektionsschutz anpassen will. Die Pandemie dauere länger als erwartet, daher seien Anpassungen notwendig,  betonte Dreyer.

Das sind die Beschlüsse, über die KOMMUNAL bereits berichtet hat:

  • Gastronomiebetriebe wie Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen, werden bereits ab kommenden Montag,  2. November, geschlossen - Lieferung und Abholung von Speisen für den Verzehr zu Hause sind erlaubt. Kantinen bleiben geöffnet.
  • Touristische Übernachtungsangebote im Inland sind vorerst verboten. Übernachtungsangebote dürften nur noch für notwendige Zwecke wie Dienstreisen gemacht werden.
  • In der Öffentlichkeit dürfen sich nur noch Angehörige des eigenen sowie eines weiteren Haushaltes mit maximal zehn Personen treffen. Verstöße gegen diese Kontaktbeschränkungen sollen von den Ordnungsbehörden sanktioniert werden. Gruppen feiernder Menschen auf öffentlichen Plätzen, in Wohnungen sowie privaten Einrichtungen seien inakzeptabel.

Veranstaltungen sollen untersagt werden

  • Außerdem will der Bund Veranstaltungen, die der Unterhaltung dienen, deutschlandweit untersagen. In Berlin waren an diesem Mittwoch Vertreter der Veranstaltungsbranche durch die Straßen gezogen. Tausende demonstrierten für stärkere staatliche Hilfen.
  • Theater, Opern oder Konzerthäuser müssen vom 2. November an bis Ende des Monats schließen.
  • Die Regelung betrifft auch den Freizeit- und Amateursportbetrieb auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen, Schwimm- und Spaßbädern sowie Fitnessstudios und ähnliche Einrichtungen. Auch Messen, Kinos und Freizeitparks dürfen nicht geöffnet haben.
  • Profisport darf nur noch ohne Zuschauer stattfinden.
  • Demonstrationen und Gottesdienste  sind unter Auflagen erlaubt.Dagegen will der Bund Schulen und Kindergärten verlässlich offen halten. Die Länder sollen dafür weitere Schutzmaßnahmen in diesen Bereichen einführen.
  • Der Einzelhandel soll  unter Auflagen zur Hygiene bei Steuerung des Zutritts geöffnet bleiben. Es soll sichergestellt sein, dass sich pro zehn Quadratmeter nicht mehr als ein Kunde aufhält.
  • Kosmetikstudios, Massagepraxen oder Tattoostudios müssen im November für dreieinhalb Wochen schließen. Friseursalons sollen unter den bestehenden Hygienevorgaben geöffnet bleiben. Medizinisch notwendige Behandlungen wie Physiotherapien bleiben ebenfalls möglich.