Armut in der Großstadt
Armut in der Großstadt
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Armut bleibt Großstadtphänomen

2. April 2019
Sozialleistungen? Werden vor allem in Deutschlands Großstädten gezahlt. In ländlichen Regionen hingegen gibt es laut einer Studie deutlich weniger Armut. Woran das liegt und was das für Kommunen bedeutet...

Die Armutsquote in Großstädten ist höher als in der gesamten Bundesrepublik!

Die Situation auf dem Land entwickelt sich laut einer Studie im Großen und Ganzen günstig, in vielen Metropolen sieht die Lage aber problematisch aus. So hat im Jahr 2016 circa 10,1 Prozent der Gesamtbevölkerung Sozialhilfe empfangen. In den Großstädten hingegen (über 100.000 Einwohner) liegt der Wert deutlich höher als in Deutschland insgesamt, nämlich bei 14 Prozent.

„Der Anteil der Menschen, die Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II erhalten, ist in den kreisfreien Städten und Stadtstaaten etwa doppelt so hoch wie in den Landkreisen“, fasst Städtetagspräsident Markus Lewe die Bertelsmann-Studie gegenüber der Tageszeitung WELT zusammen.

Allerdings sind die Daten, die aus dem Jahr 2016 stammen, nicht allgemeingültig. Denn während einige Städte Fortschritte gemacht haben, ging es in anderen Städten bergab. Einige andere Kommunen hingegen sind in einem regelrechten Abwärtsstrudel gefangen.

Mehr Arme in Nordrhein-Westfalen

In den letzten zehn Jahren ist in 37 von 80 Großstädten der Anteil der Sozialleistungsempfänger gestiegen. Lediglich in einem Drittel der Kommunen ist ein Rückgang der Armut zu verzeichnen.

Besonders schlecht sieht ist die Situation in Nordrhein-Westfalen: Unter den Kommunen, in denen die Armut zugenommen hat, befinden sich alle 13 Großstädte des Ruhrgebiets. Dies hat laut Forschern insbesondere mit dem noch nicht vollständig bewältigten Strukturwandel zu tun. Die Folge: Langzeitarbeitslosigkeit ist an der Ruhr mit die höchste bundesweit. Dass sich die Armut gerade in den Städten ballt, liegt laut Oliver Haubner von der Bertelsmann-Stiftung auch daran, dass die Mieten dort höher als auf dem Land sind. Diese Zahlen lassen sich jedoch nicht direkt aus der Studie ablesen: Städte mit besonders hohen Mieten, wie etwa München oder Augsburg haben eine besonders niedrige Zahl von Sozialhilfeempfängern.

Doch: Es ist möglich, dass die hohen Mieten Einkommensschwache bereits dazu genötigt haben, aus der Stadt wegzuziehen, sodass sie nicht mehr in der Statistik auftauchen“, warnt Bertelsmann-Forscher.

Langzeitarbeitslosigkeit + hohe Mieten = Armut

„Langzeitarbeitslosigkeit und hohe Wohnkosten konzentrieren sich gerade in den großen Städte und steigern das Armutsrisiko“, meint Städtetagspräsident Lewe.

Um die Problematik zu lösen, beteiligen sich Städte an der Finanzierung von Leistungen für Arbeitslose, Kinder und Jugendliche. Und auch eine bessere Kinderbetreuung hilft Arbeitssuchenden dabei, sich wieder auf den beruflichen Fortschritt zu konzentrieren. Doch: „Die eigentlichen Ursachen für Armut können vielfach nicht in den Kommunen gelöst werden.“ Hier sieht der Experte vor allem Bund und Länder in der Verantwortung: Die Probleme lassen sich nur über gute Bildung und eine intensive Arbeitsmarkt- und Wohnungspolitik lösen.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) sieht insbesondere die steigenden Mieten als Problem. So werde insbesondere für die unteren und mittleren Einkommen nicht genügend Wohnraum geschaffen. Die Konsequenz: Millionen Deutschen bleibt nach Abzug der Miete nur ein Einkommen, das unter dem Regelsatz von Hartz 4 bleibt!

Ein Ende der Situation ist in Sicht

Das sieht jedoch eine neue Studie für die Zukunft etwas anders. Laut Institut Empirica haben sich die Mietpreissteigerungen der vergangenen Jahre in Deutschlands Großstädten inzwischen wieder beruhigt. Jüngst seien die Preise sogar geringer gestiegen als die Inflationsrate, so die Studie. Demnach werde inzwischen deutlich mehr gebaut, ein Ende der hohen Mietpreise sei in Sicht. Anders als die Sozialverbände sehen Forscher Probleme auf dem Wohnungsmarkt inzwischen eher für die Mittelschicht, weniger für Ärmere und besonders Reiche. Insbesondere für Menschen mit wenig Geld sei in den vergangenen Jahren viel gebaut worden, heißt es. Das Angebot werde voraussichtlich schon in Kürze wieder mit der Nachfrage Schritt halten können. Dem Bericht der Bertelsmann-Studie liegen lediglich Daten bis zum Jahr 2016 zugrunde, aktuelle Entwicklungen sind nicht erfasst. 

Armut ist immer auch Definitionssache 

Kritik an der Studie kommt auch von anderer Seite. So ist die Definition des  "Armutsbegriffs" umstritten. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens in einer Stadt zur Verfügung hat. Im Extremfall kann das heißen: Kommen auf einen Millionär 10 Durchschnittsverdiener, sind diese Durchschnittsverdiener laut Definition "arm". Konkret gilt ein Single mit einem Haushaltseinkommen von 1130 Euro in München als arm, im fränkischen Tirschenreuth ist ein Single mit 830,- Euro verfügbarem Einkommen im Monat nicht per Definition arm. 

Was heißt der Bericht für Kommunen?

Für ländliche Kommunen heißt der Bericht zunächst: Die Situation ist positiv, hier gilt es, Arbeitsplatzangebote vor Ort zu sichern, damit es nicht zu Abwanderungen kommt. Regionen im Umkreis von rund 50 Kilometern um eine größere Stadt können zudem über den Bau neuer Wohnungen beziehungsweise das Ausweisen günstiger Baugrundstücke Familien anlocken und sich als attraktiver Wohnort vermarkten. 

Für Großstädte gibt es ebenfalls positive Ansätze. Hier heißt es vor allem: Bauen, Bauen, Bauen! Nur mit sinkenden Wohnungskosten lässt sich die Situation entspannen. Die hohe Zahl der Langzeitarbeitslosen bleibt hier zudem ein großes Problem, trotz aller Verbesserungen in den vergangenen Jahren gibt es in vielen Städten inzwischen Stadtteile, in denen mehr Menschen morgens nicht zur Arbeit gehen, als jene, die einer geregelten Tätigkeit nachgehen. Das belastet auch langfristig die Sozialsysteme. Seit Datenerhebung des Berichts hat sich zwar einiges verbessert, nachhaltig gelöst scheint das Problem aber nicht. 

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