Bibliotheken als Co-Working Spaces

Bibliotheken als Co-Working Spaces

22. November 2019
Wie können sich Büchereien für die Zukunft aufstellen? Wie müssen sie sich verändern? KOMMUNAL-Redakteurinnen Njema Drammeh und Rebecca Piron haben bei Deutschlands bester Bibliothek nachgefragt.

"Ich kann keine E-Books herunterladen“, mit diesen Worten meldet sich Maria am Empfang der Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin. Einige Minuten später kommt Ilona Homersen schnellen Schrittes auf sie zu: „Na, dann schauen wir uns das doch mal an!“ Homersen arbeitet als Bibliothekarin in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB). An diesem Dienstag hat sie die Mediensprechstunde übernommen. Es können Menschen aller Altersklassen kommen, die Fragen zu E-Medien oder eigenen mobilen Endgeräten haben.

Sprechstunde in der Amerika Gedenk Bibliothek in Berlin
Bei Ilona Homersen können Senioren ihre Fragen loswerden

Die Bibliothek als Schnittstelle zur Digitalisierung

„In der Regel kommen ältere Menschen“, verrät Homersen. So wie Maria, die um die 70 Jahre alt ist. Am Computer zeigt ihr Ilona Homersen, wie die E-Book-Ausleihe funktioniert. Neben der Mediensprechstunde bietet die Bibliothek auch das „DigitalCafé“ an. Bei diesem Treffen können allgemeine Fragen zum Internet oder zum Handy gestellt werden. „Es gibt viele Senioren, die Berührungsängste mit der digitalen Welt haben. Da hören wir auch mal Fragen wie: ‚Kann ich das Internet kaputt machen?‘ Oder: ‚Schließe ich ein kostenpflichtiges Abo ab, wenn ich einen Podcast höre?‘ Doch gerade heute ist es wichtiger denn je, Senioren eine Anlaufstelle zu bieten, wo sie ihre Fragen zur Digitalisierung stellen können.“

Die Bibliothek setzt nicht auf die reine Ausleihe von Büchern - und hat Erfolg mit dem Konzept!

Homersen arbeitet schon seit 1997 in Büchereien. In den letzten 22 Jahren hat sich ihre Arbeit grundlegend geändert. Während sie früher fast nur für die Ausleihe von Büchern verantwortlich war, sind es heute auch viele Veranstaltungen, die auf ihrem Tagesplan stehen. Und die Amerika- Gedenkbibliothek hat großen Erfolg mit ihrem Veranstaltungsangebot. Die ZLB ist nach eigenen Aussagen die bestbesuchte Kultureinrichtung Berlins. Die Besucherzahl ist in den letzten Jahren von 1,2 Millionen auf 1,5 Millionen gestiegen. Schüler können hier an Workshops teilnehmen, um sich auf den Mittleren Schulabschluss oder das Abitur vorzubereiten. Sie können lernen, wie sie wissenschaftlich arbeiten oder gute Plakate und Präsentationen erstellen. „Die Workshops und Veranstaltungen sind sehr gut besucht. Und das zeigt uns, dass es dafür einen erheblichen Bedarf gibt“, erklärt Homersen.

Die Bücherei ist zum Co-Working Space geworden

In den letzten Jahren hat sich aber nicht nur die Arbeit an sich, sondern auch das Aussehen der Bibliothek verändert: In der Bücherei gibt es immer mehr Arbeitsplätze mit Computern und Steckdosen, die den Bücherbestand zurückdrängen. Ein Erfolgskonzept: Denn tatsächlich ist bereits um 11 Uhr morgens fast jeder Platz belegt. So klappt ein dunkelhaariger Junge seinen Laptop zu und lehnt sich entspannt in einem großen Sessel zurück. Hinter ihm liest ein Mann in einem dicken Wälzer. Ihm gegenüber tippt ein anderer kurz in sein Handy und beugt sich dann wieder über seine Lehrunterlagen. Doch es sind längst nicht nur Studenten, die zum Arbeiten hierher kommen. „Für mich ist die Bibliothek zu einer Art CoWorking Space geworden. Hier gibt es nicht nur kostenloses WLAN, sondern die Arbeitsatmosphäre ist ruhig und dennoch konzentriert“, erklärt uns Michael, der als Selbstständiger arbeitet.

"Man muss sich den Bedürfnissen der Kunden anpassen"

Wir setzen uns zu einer Kollegin von Homersen an den Empfang. Auch Marion Lais arbeitet hier schon seit mehreren Jahren.

Bibliothek in Berlin
Die Bibliothekarin Marion Lais (links) erklärt unserer Redakteurin Njema Drammeh (rechts), wie sich ihre Arbeit in den letzten Jahren verändert hat

„Bibliotheken sind sehr wichtig für Kommunen, weil sie Menschen einen kostenlosen Zugang zu Wissen bieten. Hier können auch Menschen mit geringem Budget kostenlos die Tageszeitung lesen und sich neutral informieren. Und zudem bieten wir neben Arbeitsplätzen ja auch immer mehr Veranstaltungsprogramme an“, erklärt sie. Wenn sie nicht gerade Fragen zur Literatursuche beantwortet oder Workshops zu verschiedenen Themen leitet, macht ihr Team auch Hausbesuche für Dienststellen der Berliner Verwaltung oder bearbeitet Rechercheaufträge. „Wir helfen der Verwaltung bei Recherchen, zum Beispiel zum Thema Kopftuchgesetz. Da die Verwaltungsmitarbeiter zeitlich sehr eingespannt sind, haben sie sich gewünscht, dass wir die Hausbesuche anbieten. Also kommen sie jetzt nicht mehr zu uns, sondern die Bibliothek kommt zu ihnen und berät vor Ort über Informationsrecherche und weitere Serviceangebote der ZLB. Da muss man sich halt den Bedürfnissen der Kunden anpassen“, erklärt sie und lacht.

Mittlerweile ist es 14 Uhr. Im ersten Stock findet nun ein Workshop für eine Brandenburger Schulklasse zum Thema „Fake News“ statt. Stephan Braum, ein weiterer langjähriger Mitarbeiter der Bibliothek, fragt die Elftklässler: „Okay, lasst uns erst mal brainstormen: Was fällt euch zum Thema Fake News ein?“ Und die Schüler schreiben Stichwörter auf, wie: „Propaganda“, „negativ“ und „manipulativ“. Danach recherchieren sie im Internet prominente Beispiele und erläutern gemeinsam mit dem Bibliothekar, woran man Fake News erkennt. Nach einigen Erläuterungen und Beispielen neigt sich der Tag dem Ende zu. Und die Schüler fahren zurück nach Brandenburg, während wir uns mit unseren Eindrücken auf den Weg in die Redaktion machen.

Amerika Gedenkbibliothek in Berlin

In den entlegeneren Bereichen von Berlin können die Einwohner online Bücher bestellen und bekommen sie dann geliefert. Zudem fahren in einigen Bezirken auch rollende Bibliotheken feste Haltestellen an – die sogenannten Bücherbusse. Das Konzept kennt man auch aus dem ländlichen Raum.