Das Böblinger Modell verspricht einen Ausweg aus dem Endlos-Lockdown - wie erfolgreich das Konzept ist, wie es funktioniert!
Das Böblinger Modell verspricht einen Ausweg aus dem Endlos-Lockdown - wie erfolgreich das Konzept ist, wie es funktioniert!
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Landkreis legt Blaupause vor

Böblinger Modell: Kann SO der Lockdown in wenigen Tagen beendet werden?

Am vergangenen Montag hat der Landkreis Böblingen auf eigene Kosten ein Modell gestartet, das von ersten Ärzten bereits als DER Durchbruch in der Corona-Pandemie gefeiert wird. Ist die neue Strategie erfolgreich, könnte der Lockdown innerhalb weniger Tage beendet werden. Doch zunächst muss der Test zeigen, dass dadurch die Zahl der Neuansteckungen wirklich drastisch gesenkt werden kann. Erste Erhebungen zeigen einen Rückgang der Corona-Zahlen nach nur 4 Tagen (von 46 auf 31 beim Inzidenzwert)! Wir stellen Ihnen das Modell vor!

Wir schreiben Tag 107 im zweiten Lockdown. Noch mindestens 20 weitere Tage liegen vor uns. In der Politik mehren sich schon jetzt Stimmen, die eine Verlängerung bis Ostern für realistisch halten. Kurzer Uhrenvergleich: Bis Ostern wären es noch 48 Tage. 



Doch nun verspricht der Landkreis Böblingen in Baden-Württemberg viel neue Hoffnung. Ihr Landrat Roland Bernhard spielt dabei eine Schlüsselrolle und könnte zum Helden der Corona-Pandemie werden. Wenn, ja, wenn das dortige Konzept wirklich funktioniert. Am vergangenen Montag, also exakt am Tag 100 des zweiten Lockdowns ist dort ein deutschlandweit einmaliges Pilotprojekt gestartet, das bisher in der Öffentlichkeit außerhalb des Landkreises definitiv viel zu wenig Beachtung fand. Denn es könnte DER Baustein sein, der hilft, den Lockdown möglichst schnell zu beenden. Immerhin gibt es eine Woche nach dem Start bereits eine erstaunlich gute Zwischenbilanz zu vermelden. In dem Landkreis ist der Inzidenzwert (7 Tage Inzidenz lag am Freitag noch bei 46) auf heute Montag, 15. Februar auf nur noch 31 gesunken. Eine enorme Hoffnung, die nun deutschlandweit auf dem Landkreis ruht. Aber der Reihe nach. 

Böblinger Modell: Schnelltest-Strategie statt Lockdown 

In Böblingen hatten sich Ärzte und Apotheker zusammengetan. Ihr Ziel: Möglichst viele Schnelltests an die Bürger zu verteilen. Denn das bisherige Problem, so die Experten: Getestet wird fast immer nur, wenn es vermeintlich zu spät ist - sprich: Wenn mindestens ein Verdacht auf das Corona-Virus vorliegt, etwa weil die Betroffenen Kontaktpersonen eines Erkrankten sind. Insbesondere die asiatischen Länder setzen - im Übrigen extrem erfolgreich - seit dem Frühjahr vergangenen Jahres auf Schnelltests. Das Problem: Ein solcher Schnelltest kostet im Handel zu dem Zeitpunkt in Böblingen in der Apotheke 29 Euro - das sind die Wenigsten bereit, 2-3 mal in der Woche auszugeben. Und so überzeugten die Apotheker und Ärzte den Landkreis Böblingen, die Kosten zu übernehmen. Landrat Roland Bernhard stimmte dem zu. Durch die starken Einkäufe im gesamten Landkreis sanken die Kosten pro Schnelltest dann übrigens schnell auf nur noch 9 Euro. 

Wie der Landkreis die flächendeckende Testung 2 mal wöchentlich sicherstellt 

Innerhalb kürzester Zeit hat der Landkreis die Voraussetzungen geschaffen, im gesamten Landkreis flächendeckend die Schnelltests anzubieten. Und zwar kostenfrei für jeden, der möchte. Und das 2 mal in der Woche! Landrat Roland Bernhard wörtlich zu der Aktion: „Ziel der Schnelltests ist es, asymptomatisch Infizierte zu erkennen und damit weitere Ansteckungen zu verhindern." Heißt: Wer morgens zu einem Termin muss, fährt schnell an einem der Testzentren vorbei, macht einen Schnelltest und kann dann beruhigt seine Termine treffen. Fünf solcher Zentren hat der Landkreis aufgebaut, die Wartezeiten, so zeigen die ersten vier Tage des Tests, liegen bei maximal vier Minuten. Der Grund ist einfach: Alle Bürgerinnen und Bürger im Landkreis Böblingen können über eine App mit dem Namen "Doctor Box" zwei mal in der Woche einen Termin vereinbaren - so kommt es weder zu langen Schlangen und unnötigen Kontakten noch zu Wartezeiten.

Die Testzentren sind jeweils an eine Arztpraxis angebunden. Wenn also per Schnelltest eine Person positiv gestestet wird erfolgt sofort ein "richtiger", spricht ein PCR-Test. Denn immer wieder wird bemängelt, dass die Schnelltests nicht 100 Prozent sicher seien. "Wir setzen darauf, dass positive Tests mittels PCR-Tests verifiziert werden und wir so die Gefahr falscher Ergebnisse ausschließen können", so Landrat Bernhard. Die Räume für die Testzentren hat der Landkreis extra angemietet. Unterm Strich kostet den Landkreis jeder Test rund 18 Euro mit allen Kosten für Personal, Miete und Schutzausrüstung. In den Zentren schaffen die Mitarbeiter rund 100 Tests pro Stunde. Das Ergebnis eines jeden Schnelltests wird zudem an das Gesundheitsamt gemeldet. Das unterscheidet das Projekt massiv von Schnelltests, die künftig vermutlich auch in Supermärkten oder Tankstellen angeboten werden könnten. Auch erste Gurgeltests für die Selbstanwendung sind ja bereits im Gespräch. Das Problem hier ist jedoch, dass der Nutzer keinerlei Pflicht hat, sein Ergebnis dann auch zu melden. Das ist in den Zentren des Landkreises in Böblingen anders. 

Wie erfolgreich das Projekt ist - wann der Lockdown beendet werden kann 

Es ist schwer zu sagen, wie erfolgreich das Projekt nach nur vier Tagen wirklich war. Fakt ist aber: Noch am Freitag lag die 7 Tage Inzidenz im Landkreis Böblingen bei 46. Heute, am Montag, 15. Februar, also exakt 7 Tage nach dem Start ist die Inzidenz auf nur noch 31 gesunken. Ein massiver Rückgang innerhalb einer Woche. Erste Orte im Landkreis melden inzwischen 0 aktive Fälle, so eta Altdorf, ein kleiner Ort mit knapp 5000 Einwohnern, auch in Magstadt ist die Zahl erstmals seit langem auf 0 gesunken. In der vergangenen Woche gab es in beiden Orten noch mehrere Fälle. In der Kreisstadt Böblingen hat sich der Wert auf 19 Fälle halbiert.

Das ist umso erstaunlicher, als dass man zunächst bei mehr Testungen davon ausgehen müsste, dass die Zahlen sogar deutlich steigen. Aber gerade deshalb muss mit aller Vorsicht gesagt werden: Die Zahlen sind wissenschaftlich noch nicht mit dem Projekt belegbar! Es handelt sich lediglich um einen spannenden ersten Wert, wenige Tage nach Start. Wie viel davon auf das Projekt zurückzuführen ist, wir werden es in den nächsten Wochen hier bei KOMMUNAL begleiten und auswerten. (Aktualisierung: Das erhöhte Testen hat offenbar bis Mittwoch, 17. Februar den Wert wieder etwas erhöht, er liegt aktuell bei 40, was immer noch ein deutlicher Rückgang ist.) 

Beim Landkreis jedenfalls ist man optimistisch. Landrat Bernhard hofft:„Wenn es gelingt, infizierte Personen frühzeitig zu erkennen, können wir verhindern, dass sie andere Menschen in ihrem Umfeld anstecken. Wir können Infektionsketten damit nicht nur unterbrechen, sondern unterbinden sie von vornherein“. 

Einer der Mitinitiatoren, der Böblinger Apotheker Björn Schittenhelm, geht sogar noch weiter. Er sagte der "Welt": "Ich bin fest davon überzeugt, dass es die einzige sinnvolle Möglichkeit ist, um aus dem ewigen Lockdown herauszukommen: testen, testen, testen. Und zwar nicht nur Personen mit Symptomen, die schon andere angesteckt haben, sondern in der Breite und präventiv. Da hat die Politik viel zu lange geschlafen." Er spricht daher auch von einer Blaupause für ganz Deutschland."Die Frage ist doch, wie verbringen wir das nächste halbe Jahr, bis ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist. Daheim im Lockdown oder in einem halbwegs normalen Alltag mit wenigen Einschränkungen, aber sinnvollen und präventiven Maßnahmen. Wir müssen dahin kommen, dass jeder, der morgens zur Arbeit fährt, einen Test macht", so Schittenhelm.

Er geht davon aus, dass die Beschaffung von Schnelltests auch deutschlandweit kein Problem ist. Der Markt sei voll davon, innerhalb eines Tages könnten problemlos zehn Millionen Tests gekauft werden. 

Tipp für andere Landkreise - so funktioniert das Böblinger Modell in der Praxis:

Vom 8. Februar bis zum 8. März können sich alle Einwohner des Landkreises Böblingen bis zu 2 mal pro Woche in einem der fünf SChnelltestzentren des Landkreises testen lassen. Das Mindestalter beträgt 12 Jahre. Details erläutert der Landkreis in einer Pressemeldung HIER:  

Es gibt fünf Schnellzentren, flächendeckend im ganzen Landkreis. Alle arbeiten mit Arztpraxen zusammen. Zudem sind alle Apotheken verpflichtet, positive Corona-Schnelltests an das Gesundheitsamt zu melden. Dazu gibt es vom Landkreis ein Meldeformular, das wir Ihnen HIER verlinkt haben.