Bürgermeister ohne Volk

Die Deutschen wollen ihre Politiker zwar theoretisch direkt wählen, in der Praxis aber nicht, meint Forsa-Chef Manfred Güllner.

In den 11 kreisfreien Städten an Rhein und Ruhr, in denen im September 2015 die Oberbürgermeister neu gewählt wurden, beteiligte sich wie schon bei Oberbürgermeister-Direktwahlen in Städten anderer Bundesländer nur noch eine Minderheit aller Wahlberechtigten. Die höchste Wahlbeteiligung war noch in den beiden traditionellen Universitätsstädten Bonn und Münster zu verzeichnen – aber auch hier blieben mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten der Wahl fern. In allen anderen Städten gingen mehr als 60 oder – wie in Essen und Herne – gar mehr als 70 von 100 Wahlberechtigten nicht zur Wahl. Damit war die Zahl der Nichtwähler generell mehr als doppelt und in einigen Städten sogar dreimal so hoch wie die Zahl der Wähler, die ihre Stimme den Kandidaten der beiden größeren, ehemals zu Recht als Volksparteien bezeichneten Parteien SPD und CDU zusammen gegeben haben. Folie1 Es zeigt sich somit ein weiteres Mal, dass die von vielen geforderte Ausweitung plebiszitärer Beteiligungsformen nicht unbedingt Volkes Wille ist. Zwar sagt bei Befragungen meist eine Mehrheit der Bürger, man wolle sein Stadtoberhaupt gern direkt wählen – doch wenn diese Möglichkeiten angeboten werden, machen immer weniger davon Gebrauch. In Wirklichkeit ist für die Menschen nämlich viel wichtiger, dass das Stadtoberhaupt sein Amt ordentlich ausübt und man ihm vertrauen kann, als die Frage, wie er in sein Amt gewählt wird. Wie schon bei vielen anderen Direktwahlen des Stadtoberhaupts ist auch bei den letzten Wahlen an Rhein und Ruhr die Legitimationsbasis des jeweils gewählten Oberbürgermeisters äußerst gering geworden. nur noch in 3 der 11 Städte haben etwas mehr als ein Fünftel aller Wahlberechtigten ihr Stadtoberhaupt gewählt. In den anderen 8 Städten war es noch nicht einmal mehr ein Fünftel – d.h. über 80 Prozent haben den neuen Oberbürgermeister nicht gewählt! Dabei konnten die Oberbürgermeister – bis auf Krefeld – noch nicht einmal die früheren Wähler der Partei für sich gewinnen, die sie als Kandidaten aufgestellt hatten. Die Mobilisierungsdefizite betragen in den 10 anderen Städten zwischen 6 Prozent in Oberhausen und 44 Prozent in Herne. Folie2 Wenn also die Stadtoberhäupter bei Direktwahlen, bei denen die Qualität der Personen das wichtigste Entscheidungskriterium ist, noch weniger Stimmen erhalten als „ihre“ Parteien, wird die Stellung des Oberbürgermeisters in einer Stadt weiter geschwächt und die Entfremdung zwischen Bürger und Politik weiter verstärkt. Die hohe Zahl der Wahlverweigerer sollte insofern von den Parteien als ein weiteres Alarmsignal verstanden werden, um darüber nachzudenken, ob die Direktwahl in der jetzigen Form beibehalten werden sollte und vor allem, wie sie das inhaltliche und personelle Angebot vor Ort so verbessern können, dass die Kluft zwischen Politik und Bürgern in den Städten und Gemeinden nicht weiter vergrößert, sondern verringert wird.