Mut in der Notlage - Corona wird die deutsche Verwaltung komplett verändern - langfristig - eine Analyse
Mut in der Notlage - Corona wird die deutsche Verwaltung komplett verändern - langfristig - eine Analyse

Zukunft der Verwaltung

Corona: Alles wird anders in der Verwaltung - LANGFRISTIG!

Deutschlands Rathäuser werden gestärkt aus der Krise hervorgehen. Weil Bürger endlich den Wert der Arbeit vor Ort besser erkennen und die Behörden aus ihrer Komofortzone gezwungen werden. Eine Analyse von Christian Erhardt.

Was am 22. März im kleinen 5500 Einwohner Dorf Tangerhütte in der tiefen Provinz in Sachsen-Anhalt passiert ist, dürfte in die Verwaltungs-Geschichtsbücher eingehen. Dort ist das „Digitale Rathaus“ vorzeitig gestartet. Der Begriff ist zwar wahrlich nicht neu, Digitalisierung spukt schließlich schon lange durch alle Verwaltungen, aber was dahinter steckt, gibt es in dieser Form in Deutschland bisher in keiner anderen Landgemeinde. Alle, wirklich alle Bereiche von der Kita-Anmeldung über die Hundesteuer-Anmeldung bis zur Anmeldung von Veranstaltungen erfolgen darüber online. Mehr als 200 Formulare sind schon hinterlegt. Eigentlich sollte das Programm erst viel später starten, der Bürgermeister, Andreas Brohm, nahm die Corona-Krise jedoch zum Anlass, alles massiv zu beschleunigen. „So schützen wir Einwohner und Mitarbeiter vor vermeidbaren persönlichen Kontakten und damit vor einer erhöhten Virusgefahr“, so Brohm. Selbstredend ist die dahinterstehende Technik, die von einer Softwarefirma gestellt wird, konform mit dem Online-Zugangsgesetz. 

Corona zeigt: Die Rahmenbedingungen in den Verwaltungen können sich rasant ändern 

Das Beispiel zeigt: Jetzt wird in den Verwaltungen (endlich) alles, was möglich ist, rausgeholt. Die Rahmenbedingungen, die bisher viele Mitarbeiter im Alltag hemmten, werden aufgehoben. Sie mussten aufgehoben werden. Bürgermeister berichten, das Einrichten eines Heimarbeitsplatzes habe von der Absprache mit dem Personalrat über den Kauf eines geeigneten Bürostuhls bis zur Bereitstellung der Software früher bis zu ein Jahr gedauert. Jetzt ging es zwangsläufig von heute auf morgen. Durch die Telearbeit lernen Rathäuser gerade die wirklichen Probleme, die damit zusammenhängen kennen, und nicht nur die theoretischen, die gerne lange und ausgiebig diskutiert werden, statt einfach zu machen. „Da wird auch mal ein fester Rechner nach Hause getragen, wenn es an Laptops fehlt, den VPN Zugang können wir auch übers Handy aktivieren“, erzählt etwa Claus Arndt, Beigeordneter der Stadt Moers aus seiner Praxis. Für akribische Dienstvereinbarungen zur Bereitstellung des Home-Office bleibt einfach keine Zeit. Aber es klappt eben auch so. Programme, die zwar seit Jahren theoretisch auf den Rechnern vieler Rathäuser schlummern und nie benutzt wurden, werden auf einmal zur neuen Schnittstelle. Sei es „Microsoft Teams“, das Teil des Office-Pakets ist oder das in Verwaltungen ebenfalls weit verbreitete „Sametime“ von Lotus Notes. 

Die Meeting-Kultur ist dank Corona endlich ein Relikt der Vergangenheit 

Erstaunlich aber ist, was mir Bürgermeister gerade unisono berichten: „Die Meeting-Kultur ist endlich beendet“. Sprich: Es bleibt mehr Zeit zum Arbeiten, Meetings (wenn auch aktuell meist virtuell) finden nur noch statt, wenn es wirklich nötig ist. Die wohl unsinnigste Erfindung aller Zeiten, das „Jour Fix“, also ein Termin zu einer festen Zeit, ist endlich Geschichte. Die neue Kultur heißt: „Fix ist, wenn es nötig ist, sonst wird gemacht, statt gesprochen!“ Und Apropos Pläne: Auch das gehört natürlich zur Wahrheit: So mancher schöner Plan, der vor Jahren für Fälle der Pandemie gestrickt wurde, erwies sich in der Praxis dann doch als Makulatur. Weil er entweder Jahre alt ist, technisch die Arbeitsweisen heute ganz andere sind, dort genannte Mitarbeiter oder Abteilungen gar nicht mehr existieren oder umstrukturiert wurden und vieles mehr. Auch das eine Erkenntnis dieser Tage. Gut so! Das passiert künftig nicht mehr. In den Leitungsetagen ist angekommen: E-Akte, IT-Ausstattung, Pandemie-Pläne, das alles sind keine theoretischen Konstrukte, die nebenher laufen. Die Punkte sind existenziell. Vorbei die Zeit, in der solche Dinge „nebenher laufen“. 

Die Verwaltung der Zukunft wird eine komplett andere sein! 

Und damit sind wir – bei aller Dramatik dieser Tage – bei den „guten Auswirkungen“ der Krise: All das, was wir in diesen Tagen und Wochen gelernt haben, lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Die Verwaltung wird künftig eine komplett andere sein. Diskussionen über Home-Office werden, nicht nur in der Verwaltung, keine theoretische Frage mehr sein. Sie werden „gelebter Alltag“. Es bleibt die Botschaft in den Köpfen der Mitarbeiter „Experimentieren lohnt sich“, „durch experimentieren entsteht neues, kreatives“. Und dieser Bewusstseinswandel ist nicht nur ein interner innerhalb der Verwaltung. Auch die Bürger nehmen das Rathaus vor Ort jetzt anders wahr. Kommunalverwaltung, das war bisher für viele „das Knöllchen“, die Warteschlange im Einwohnermeldeamt oder das lästige Beantragen des neuen Reisepasses. Jetzt haben die Bürger festgestellt: „Wenn es wirklich brennt, ist mein Rathaus mein erster Ansprechpartner“. Wenn alles ungewiss wird, ist mein Rathaus „ein Fels in der Brandung“. Hier kümmert man sich um meine Probleme bei der Kinderbetreuung, hier bekomme ich alle Informationen in der Not. 

Nutzen wir diese neue positive Grundstimmung. Experimentieren wir! Schaffen wir mit dem Bewusstseinswandel Neues, produktives, gutes für unsere Städte und Gemeinden!