In seinem letzteb KOMMUNAL-Gastbeitrag hat Gerhard Henkel erklärt, warum sich so viele Dörfer entmündigt fühlen. Im aktuellen Interview geht er einen Schritt weiter und stellt konkrete Forderungen auf.

Das Dorf gehört ins Grundgesetz!

Gerhard Henkel fordert einen Hürdenberater für jede kleine Kommune. Er soll im Dschungel der Verordnungen und Fördertöpfe helfen. Im KOMMUNAL-Interview erklärt er zudem seine Pläne für ein kommunales Ermutigungsprogramm.

KOMMUNAL: Warum brauchen die Dörfer Ihrer Meinung nach Unterstützung?

Gerhard Henkel: Viele Dörfer und Kommunen fühlen sich „von oben“ gegängelt und entmündigt, weil ihnen alle Freiräume der Selbstbestimmung abgenommen werden und Kommunalpolitiker an Einfluss verlieren.

Und was hat das für Folgen?

Die vom Staat reduzierten Befugnisse bei wichtigen Alltagsfragen wie Kinderbetreuung oder Altentreffpunkten haben zu Frust und schlechtem Ansehen der Kommunalpolitik geführt. Immer weniger Bürger engagieren sich für das Allgemeinwohl und die Politikverdrossenheit nimmt zu.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern?

Bund und Länder müssten gewaltig umdenken und die Missstände dringend und nachhaltig angehen. Ein kurzfristiges Ziel könnte die Würdigung des Dorfes in der Verfassung, also im Grundgesetz bedeuten. Außerdem könnte das Dorf in die Bezeichnungen von Ministerien, Bundesbehörden und Bundesakademien aufgenommen und die Selbstverantwortung des Dorfes als immaterielles Weltkulturerbe genannt werden. Denkbar wäre außerdem ein 10.000-Euro-Ermutigungsprogramm für jedes deutsche Dorf.

Was kann man sich darunter vorstellen?

Drängende Aufgaben gibt es in den Dörfern und Kleinstädten zuhauf. Ein 10.000-Euro-Ermutigungsdorfprogramm könnte unbürokratisch in die Hände des Dorfbürgermeisters, Gemeinderats, Ortsvorstehers oder eines Bürgervereins gelegt werden. Dadurch würden sich Kommunalpolitiker sowie Dorfbewohner wieder ernst genommen fühlen und das Geld würde mit ihrer Kompetenz sinnvoll verwendet.

Was wären mittel- und langfristige Lösungen?

Mittelfristig wäre ein „Landzukunftsprogramm“ für einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren denkbar, das jeder Landgemeinde ohne inhaltliche Vorgaben die Freiräume gibt, konkrete lokale Defizite und Ziele anzugehen. Zum Beispiel ein Leerstandsbekämpfungsprogramm für Dörfer und Kleinstädte nach den Leitbildern „Innen-vor Außenentwicklung“ und „Jung kauft Alt“. Oder es könnte sich generell dem neuen sozialen Leitbild des „Dorfes als Sorgende Gemeinschaft“ zuwenden, um dem „Aufwachsen, Arbeiten, Leben, Wohnen und Altwerden auf dem Land“ konkrete neue Formen zu geben. Dies wären große Lichtblicke für das Land, wobei der Staat unbürokratisch Hilfe zur Selbsthilfe leistet und damit die Kompetenz und Anpackkultur der Dörfer und Kommunen respektiert und stärkt. Generell müsste nur das stets gelobte Subsidiaritätsprinzip tatsächlich verwirklicht werden.

Ein großes Problem ist doch aber, dass Dörfer und Landgemeinden ihren Ort kaum noch gestalten können und ihr Engagement häufig schon im Keim erstickt wird.

Genau. Es gibt kleine Gemeinden in abgelegenen Gebieten, die jahrelang um zwei bis drei Baugenehmigungen für ansiedlungswillige Familien kämpfen – vergebens! Andere betteln jahrelang um 500 Euro für die Anschaffung eines Rasenmähers, um damit die öffentlichen Rasenflächen ehrenamtlich zu mähen. Und Vereine, die traditionell Geld für Vereinsaufgaben durch den Verkauf von selbstgebackenen Torten auf Vereinsfesten gewinnen, bekommen so strenge Auflagen, dass diese großartigen Gemeinschaftsleistungen aufgegeben werden und damit Vereinsangebote gekürzt oder gestrichen werden müssen.

Und wie könnte man das Problem anpacken?

Indem man in jeder Kommune einen Hürdenberater einsetzt, der dabei hilft, die von oben gestellten Hürden zu beseitigen und zu überwinden. Er könnte den Bürgermeistern beratend zur Seite stehen, in eigener Verantwortung Probleme lösen und immer wieder zwischen Bund, Ländern und Kommunen vermitteln.

Lesen Sie hier Gerhard Henkels Gastbeitrag, indem er sich über die Ohnmachtsgefühle auf dem Dorf und die verheerenden Auswirkungen von Gebietsreformen äußert...

Wie könnte eine Alternative zu dem Hürdenberater aussehen?

In Süddeutschland gibt es einige Kommunen, die bewusst auf die aufreibenden Kämpfe im Fördertopf-Dschungel verzichten. Dadurch haben sie keinen Stress mit den vielfältigen Antrags-, Bewilligungs-, Kofinanzierungs- und Evaluierungshürden. Sie machen ihre Projekte mit eigenem Geld und können sie auch leichter, schneller und vor allem preiswerter erreichen. Sie zeigen, was erreicht werden kann, wenn die Kommunen ausreichend finanziell ausgestattet sind und ihnen zugleich die Freiheit der Gestaltung überlassen wird.

Haben Sie ein Fazit, das Sie an Entscheider in Bund und Ländern richten wollen?

Jedes Dorf wird seinen wichtigen Beitrag im Staatsaufbau leisten, wenn man das nur zulässt. Wird die untere Staatsebene aber weiter entmündigt, werden Dörfer und Kleinstädte weiter verkümmern. Ein „Weiter so“ wie bisher wird die demokratische Basis des Mitmachens auf dem Land weiter schwächen. Bund und Länder müssen die Selbstverantwortungskompetenz und Kraft der Dörfer und Gemeinden nutzen und stärken, statt sie weiter zu schwächen und zu beseitigen – wie durch fortgesetzte Gebietsreformen.

Auch von Njema Drammeh