Generationen im Gespräch
Das Programm „Wir müssen reden!“ soll die Distanz zwischen den Generationen verringern.
© Annette Lübbers

Intergenerativer Dialog

Generationen im Gespräch: „Wir müssen reden!“

Ein Verein initiiert in Kommunen Diskussionsrunden mit jungen und älteren Bürgern. Das Ziel: Die Distanz zwischen den Generationen verringern. Was Kommunen aus dem Projekt lernen können.

In Freiburg im Breisgau wurde schon geredet. Und in Neumünster – sogar schon zwei Mal. Im westfälischen Lünen und in Neubrandenburg sollte auch geredet werden. Beide Gesprächsrunden sind nun vertagt. Schließlich sollten in Zeiten der Coronakrise gerade diese Bevölkerungsgruppen so wenig Kontakt wie möglich haben: Junge und Alte.

Die Generationen im Gespräch sammeln Ideen für ein zukunftsfähiges Miteinander

Im norddeutschen Neumünster haben beide Runden unter dem Titel „Generationen im Gespräch“ bereits im November 2019 und im Februar 2020 stattgefunden. Die Idee: Etwa 30 junge Menschen zwischen 16 und 24 Jahren sowie Ältere ab 65 Jahren diskutieren zusammen mit Akteuren aus Verwaltung, Lokalpolitik und Zivilgesellschaft die großen Herausforderungen unserer Zeit aus: etwa Klimakrise, Digitalisierung, demografischer Wandel, Mobilität oder Migration. Gemeinsam sollen beide Gruppierungen Ideen für ein zukunftsfähiges Miteinander in ihren Städten sammeln. Getroffen wird sich an unterschiedlichen Orten: Hotels, Bürgerhäuser, Fortbildungszentren.

Das Programm soll die Distanz zwischen den Generationen verringern

Entwickelt wurde das Programm „Wir müssen reden!“ vom 2003 gegründeten Vereins „BildungsCent e.V“. Mittlerweile arbeitet der Verein, der sich die Förderung einer neuen und nachhaltigen Lehr- und Lernkultur auf die Fahnen geschrieben hat, mit fast 5.500 Schulen und Bildungseinrichtungen deutschlandweit zusammen. Das Format soll dabei helfen, die zunehmende Distanz zwischen den Generationen zu verringern. Distanzen, die die Verantwortlichen von „BildungsCent in drei Dimensionen wahrnehmen: die Distanz in Alter und Anzahl, die technologische Distanz sowie die räumliche Distanz, die zwischen den Lebenswelten von Alt und Jung liegen.

Der Dialog baut auf gegenseitiges Verständnis

Der Verein beschreibt die möglichen Folgen so: „Diese drei Dimensionen der Distanz der Generationen führen zu Vorurteilen und Annahmen über die jeweils andere Generation. So kann es passieren, dass die Älteren bei ihren demokratischen Entscheidungen nicht (mehr) die Zukunft der Jungen im Blick haben und die Jungen wenig Verständnis für die aktuellen Bedürfnisse der Älteren zeigen.“

Generationen im Gespräch Freiburg
Jung und alt sitzen an einem Tisch, um sich mit Zukunftsfragen auseinanderzusetzen.

Abhilfe schaffen sollen nun Gesprächsrunden in möglichst vielen Kommunen. Einen ganzen Tag lang – von 9.30 Uhr bis 17.30 Uhr finden sich ältere und jüngere Teilnehmer gemischt in kleinen Runden zusammen. An jedem Tisch sitzt ein geschulter Moderator, der die Gespräche zwar anleitet, aber inhaltlich nicht eingreift.

So läuft das Gespräch der Generationen ab

Nach einer Einführung und kurzen Impulsreferaten von Fachleuten zu den einzelnen Themenblöcken werden die Diskutanten gebeten, ihre Gedanken, Einschätzungen und Interessen auszutauschen. Am Nachmittag wird der Input vom Vormittag von Moderatoren aufbereitet, bevor es im Anschluss wieder in die Kleingruppen geht: Nun gilt es, praktische Projektideen zu sammeln, diese zu präsentieren und anhand des Feedbacks zu vertiefen.

Silke Ramelow, Gründerin des Vereins „BildungsCent, will mit diesem Programm nicht nur Distanzen abbauen, sondern auch neue Räume für Gemeinsamkeiten schaffen, die weder kommerziell noch religiös dominiert sind. Räume in denen die Generationen sich begegnen können und miteinander ins Gespräch kommen.

Um ins Gespräch zu kommen, brauch es manchmal Zeit

Sie war bei den Gesprächen vor Ort und hat spannende Einsichten gewonnen. So hat sie beobachtet, dass es manchmal Zeit braucht, bis die so unterschiedlichen Gesprächsteilnehmer an den Tischen aus sich herausgehen und sich eine inspirierende und aktivierende Atmosphäre entwickelt. „Solche Runden sind ja sowohl für die Jungen als auch für die Älteren ein eher ungewohntes Terrain. Nach einer ruhigen Phase wird es dann aber auch mal lauter und engagierter. Mein Eindruck bisher: 90 Prozent der Teilnehmer gehen mit einem guten Gefühl aus den Gesprächsrunden hinaus.“

Die Gespräche sollen in Projekte münden

Ziel des Programms „Wir müssen reden!“ ist aber nicht nur der Austausch an sich. Die Diskussionsrunden sollen durchaus auch in konkrete Projekte münden. In Neumünster etwa soll ein Projekt „Soziales Lernen“ Veränderungen im Schulsystem bewirken, eine Postkartenaktion den Müll im öffentlichen Raum vermindern helfen und ein neu zu schaffendes soziales Netzwerk Alt und Jung in gemeinsamen Aktivitäten verbinden. Gegen Ende der zweiten Gesprächsrunde konstatierten manche Teilnehmer „ein gutes Klima zwischen Jung und Alt“. Ein Junger kommentiert: „Dass es noch so viele ältere Leute gibt, die sich sozial engagieren“ und ein Älterer wunderte sich über „die Aufgeschlossenheit der jungen Generation.“

Manchmal gibt es zwischen den Generationen mehr Schnittmengen als gedacht

Silke Ramelow ist sich sicher: „Da bleibt was.“ Gerade junge Menschen bräuchten ja das Gefühl, als Gesprächspartner ernst genommen zu werden und dass ihr Wort bei Entscheidungen berücksichtigt werde. Schon aus diesem Grund sei das Interesse der Jungen groß. Aber auch die älteren „Semester“ sind mit Engagement bei der Sache. „Manchmal stellen gerade die Älteren fest, dass es viel mehr Schnittmengen mit den Jungen gibt, als sie sich das vorher vielleicht gedacht haben.“

Die Nachfrage nach dem Format "Wir müssen reden!" wächst

Positiv beurteilt sie auch das Feedback der beteiligten Kommunen: „Die städtischen Entscheidungsträger merken, dass die Gespräche in ganz konkrete Projekte münden und sie mit diesem Projekt ohne großen Aufwand viel erreichen können. Denn mehr als verantwortliche Ansprechpartner brauchen die Gemeinden nicht zu liefern. Alles andere bereiten wir zentral in Berlin vor. Die Nachfrage ist jedenfalls stetig gewachsen – bis das Virus unser gesellschaftliches Leben lahmgelegt hat.“

Mann und Frau im Gesüräch Freiburg

Die verschobenen Gespräche sollen auf jeden Fall nachgeholt werden. Auch in der vom Bergbau geprägten Stadt Lünen im westlichen Westfalen. Das bestätigt Annette Goebel, seit 20 Jahren Leiterin der Koordinierungsstelle Altenarbeit. „Als der Verein mit der Frage an uns herangetreten ist, ob wir uns eine Teilnahme vorstellen könnten, war ich sofort fasziniert. Ich mochte den ergebnisoffenen Ansatz und ich war sicher, dass das Projekt hier gut angenommen würde. Meine Stadt gilt als besonders gut vernetzt und wir haben viele Arbeitskreise, in denen viele engagierte Ältere unterwegs sind. Und auch die Zusammenarbeit mit den Schulen klappt hier zumeist hervorragend.“ Annette Goebel überlegt einen Moment: „Unsicher war ich mir nur, ob ich das Projekt alleine stemmen kann. Aber das war schnell vorbei: Der Verein leistet im Vorfeld wirklich eine Superarbeit.“

Früher waren die Generationen weiter voneinander entfernt

Auch wenn das Virus die Gespräche in Lünen erst einmal ausgebremst hat. Annette Goebel bleibt guten Mutes: Vom Timing her gesehen, unterstreicht die 59-Jährige, komme das Programm gerade zur rechten Zeit. In ihren jungen Jahren, meint sie, sei eine solche Diskussionsrunde noch gar nicht denkbar gewesen. „Damals waren Alt und Jung auf eine Art viel weiter voneinander entfernt als heute. In den 60er und 70er Jahren wären wohl weder die Älteren noch die Jungen zu so einem Termin erschienen. Heute ist das anders. Ich denke, dass die jetzt in Rente gegangene Alt-68er-Generation noch einmal neuen Schwung und eine neue Debattenkultur mitbringen wird.“

Sie überlegt einen Moment und fügt dann an: „Ich kann mir sogar vorstellen, dass wir ab Frühjahr 2021 solche Runden in wechselnder Besetzung regelmäßig abhalten und so ein engeres Miteinander von Alt und Jung kreieren. Und wenn die Ergebnisse dann auch Einfluss auf die Entscheidungen in der Stadtverwaltung nehmen – umso besser.“