Jugendamt-Corona-Kita
Damit es Kindern in der Corona-Krise gut geht, will das Jugendamt den Famlien helfen
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Kinderschutz

So geht das Jugendamt in Corona-Zeiten vor

Wie arbeitet das Jugendamt in Zeiten von Corona beim Kinderschutz? Kinder aus Problem-Familien dürfen in die Notbetreuung. Doch reicht das? Der Jugendamtsleiter von Solingen berichtet aus der Praxis.Die Herausforderung ist groß.

Die Sorge ist groß: Seit Schulen und Kitas in der Corona-Krise über Wochen weitgehend geschlossen sind, spielt sich das Familienleben mehr als sonst im Verborgenen ab. Zwar verzeichnen Polizei und Jugendämter bislang keinen signifikanten Anstieg von Gewalt und Misshandlung, doch Experten befürchten weitaus höhere Dunkelziffern. "Beim Kinderschutz stehen wir vor der Schwierigkeit, dass weder Schulen noch Kitas uns derzeit Auffälligkeiten melden können", sagte der Leiter des Jugendamtes Solingen, Rüdiger Mann, auf Anfrage von KOMMUNAL.

Kinderschutz: Sozialarbeiter halten Kontakt

Deshalb gehen die Sozialarbeiter des Jugendamtes zunächst aktiv auf die Familien zu, mit denen sie bereits in Kontakt waren. Viele dieser Familien leben sehr beengt. Oft sind es Alleinerziehende, die mit ihren Aufgaben stark belastet sind. Oder Mütter und Väter mit psychischen Vorerkrankungen, mit denen sich die Mitarbeiter des Jugendamtes  weiterhin treffen und sie auch telefonisch unterstützen. "Die Kollegen rufen an oder fahren vorbei", berichtet Rüdiger Mann.

Sozialarbeiter beraten beim Spaziergang

Die Botschaft an die Eltern lautet: "Wenn ihr Schwierigkeiten habt, Euch die Decke auf den Kopf fällt, wenn Konflikte zu eskalieren drohen, meldet euch bitte." Es gebe viele Stellen, die helfen können, auch in diesen Zeiten. "Unsere Mitarbeiter treffen die Familien vor der Tür, auf einen Spaziergang durch den Park zum Beispiel, natürlich mit Abstandsregel." Mit manchen werde im Team auch in einer Videokonferenz beraten.

Die Familienberatungsstelle in Solingen bietet in der Corona-Krise eine telefonische Krisenberatung an. "Wir stellen bislang fest, dass sich die Situation in vielen Familien nicht - wie befürchtet-  verschlimmert hat", betont der Jugendamtsleiter. "Denn die Beschränkungen nehmen auch Druck von den Familien."

Corona-Krise bringt auch positive Effekte

Die Leiterin der Familienberatung berichte, dass Eltern mit ihren Kindern häufiger zusammen rausgehen, Fahrrad fahren, lange Spaziergänge unternehmen. "Die Situation hat für viele also auch positive Effekte", so Rüdiger Mann. Das ist für ihn auch eine Lehre aus Corona. "Ich wünschte mir, dass alles ein bisschen entspannter läuft, wenn die Kitas und Schulen und der Arbeitsbetrieb wieder starten." Den Kindern tue eine Entschleunigung gut.

Dennoch darf all dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die mit Kurzarbeit oder gar Entlassungen verbundene Corona-Krise in den Familien für eine brisante Ausnahmesituation sorgt. Problematisch wird es auch häufig, wenn Homeoffice und Kinderbetreuung unter einen Hut gebracht werden müssen. Die Großeltern fallen als Risikogruppe wegen des  Risikos, sich mit dem Corona-Virus anzustecken, in der Regel aus.

Zurückhaltend ist Solingen - anders als viele andere Kommunen - bei der Aufforderung an die Nachbarn, möglichen Missbrauch oder Gewalt zu melden. "Natürlich ist es immer wichtig, Bescheid zu geben", sagt Jugendamtsleiter Mann. Solche Aufrufe aber verführten eher zum Denunziantentum. "Da melden sich dann Nachbarn, die sich ärgern, weil das Kind gegenüber wieder einmal zu laut ist oder bei zehn Grad in kurzer Hose im Garten rumläuft."

Jugendamt kommt unangemeldet

Finden in diesen Zeiten auch noch Besuche in Familien statt? Rüdiger Mann bejaht das. "Wenn wir eine kritische Situation mitbekommen, fahren wir raus. Es ist zwingend notwendig, das Kind im häuslichen Umfeld zu sehen." Mal kommen die Sozialarbeiter angemeldet, mal unangemeldet. In der Regel passiere das drei bis viermal die Woche. Auch begleiten die Sozialarbeiter die Polizei weiterhin bei ihren Einsätzen.

Inzwischen verfügten die Mitarbeiter über genügend Schutzmasken und Desinfektionsmittel, falls es Probleme in einem Haushalt mit Corona-Infizierten gebe. "Zudem haben wir Unterbringungsmöglichkeiten in Einrichtungen und Pflegestellen geschaffen, falls die Eltern schwer erkrankt sind und ein Kind versorgt werden muss", erläutert Mann.

20 Prozent mehr Kinder in Notbetreuung

Was die Situation auch etwas entspannen könnte: Die Stadt hat sofort reagiert, als das Familienministerium Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit eröffnet hat, nicht mehr nur für  Kinder von Eltern in systemrelevanten Berufen eine Notbetreuung in den Kitas und Schulen anzubieten.Seither können auch Kinder aus Problemfamilien ihre Kinder betreuen lassen. "Nun besuchen 20 Prozent mehr Kinder die Gruppen", berichtet Rüdiger Mann.

Wenn Mitarbeiter des Jugendamtes oder Kinderschutzorganisationen sich für diese Familien nach entsprechender Stellungsnahme des Jugendamtess einsetzen, bekommen die Kinder einen Platz in der Kita - auch während der immer noch andauernden Corona-Krise.  Momentan sind von sonst 6000 Kindern lediglich 120 Kinder in der Kita- Notbetreuung, in der Schule sind es 40.

Genügend Personal im Jugendamt

Anders als manche andere Städte verfügt das 163.000 Einwohner zählende Solingen über genügend Personal im Bereich des Jugendamtes. Alle Stellen seien besetzt. "Unsere Strategie ist es, den allgemeinen sozialen Dienst so gut auszustatten, dass die Mitarbeiter nicht überlastet werden", berichtet der Jugendamtsleiter. "Es handelt sich um  einen knochenharten Job. Da schauen wir, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter nicht mehr als 30 Fälle im Jahr bearbeiten muss." Das steigert offenbar die Motivation, sich zu bewerben. Zudem bietet Solingen seit vorigem Jahr eine duale Ausbildung zum Sozialarbeiter an, zusammen mit der Universität Düsseldorf.

Dortmund: Hohe Dunkelziffer bei Gewalt vermutet

Was in Solingen beobachtet wird, deckt sich mit vielen anderen Kommunen in Deutschland. Auch aus Dortmund mit seinen rund 600.000 Einwohnern und mehr sozialen Problemen als Solingen, werden in der Corona-Krise bislang keine auffälligen Zahlen über einen Anstieg von Gewalt und Missbrauch in Familien registriert. Die Stadtverwaltung geht allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus.

Kontakt und Hilfen:

Das Bundesfamilienministerium verweist auf folgende telefonische Hilfsangebote:

Die Nummer gegen Kummer ist das größte telefonische Beratungsangebot für Kinder, Jugendliche und Eltern - anonym und kostenlos. Der Verein Nummer gegen Kummer e.V. bietet ein Netzwerk, in dem bundesweit  rund 2900 Ansprechpartner mitarbeiten. Auch etwa 150 Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren beraten ehrenamtlich.

  • Für Kinder und Jugendliche: 0800 111 0 333

  • Telefonzeiten: Montag bis Freitag 14-20 Uhr

  • Für Eltern und andere Erwachsene, die sich um Kinder sorgen: 0800 111 0 550.

Das Hilfeportal bei sexuellem Missbrauch ist die bundesweite, kostenfreie und anonyme Anlaufstelle für Menschen, die Entlastung, Beratung und Unterstützung suchen, die sich um ein Kind sorgen, die einen Verdacht oder ein "komisches Gefühl" haben, die unsicher sind und Fragen zum Thema stellen möchten. Das Hilfetelefon ist unter  0800 22 55 530 erreichbar.

Das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder erleben. Unter der Rufnummer 08000 116 016 und via Online-Beratung werden dort Betroffene aller Nationalitäten rund um die Uhr unterstützt. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte erhalen eine anonyme und kostenfreie Beratung.