Finanzen der Kommunen
Michael Zimper (links) interviewt Marcel Fratzscher (rechts).

Technologie, Transparenz und Talente

Marcel Fratzscher ist Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung und leitete eine Expertenkommission der Bundesregierung zur Zukunft der Infrastruktur in Deutschland. KOMMUNAL Geschäftsführer Michael Zimper sprach mit ihm über die Rolle der Kommunen bei dem Thema.

KOMMUNAL: Die Infrastruktur in Deutschland fährt seit Jahrzehnten auf Verschleiß. Während Bund und Länder so viel Geld einnehmen wie nie zuvor, stehen viele Kommunen weiter klamm da. Ist das politisches Versagen oder schlicht Unvermögen, das Geld richtig – sprich in Richtung der Kommunen - zu verteilen?

FRATZSCHER: Wir haben in Deutschland in vielerlei Hinsicht einen Verteilungskampf. Die Kommunen als Ganzes haben Überschüsse, aber es gibt eben riesige Unterschiede. Da fehlt es an Solidarität, der Länderfinanzausgleich funktioniert nicht mehr. Wir haben dadurch heute 30 Prozent der Kommunen, die überschuldet sind und somit ihre Eigenständigkeit faktisch aufgeben mussten.

Sie fordern ein 30-Milliarden-Euro-Programm, um ein Abrutschen in eine Wirtschaftskrise zu verhindern. Wie viel davon soll denn direkt bei den Kommunen ankommen?

Erst mal brauchen wir einen neuen Bund-Länder-Finanzausgleich, das heißt, ein Teil des Geldes muss vom Bund und vor allem von den Ländern kommen. Ein Teil des Geldes muss dann in die Entschuldung von Kommunen fließen. Wir müssen ihnen die Altlasten abnehmen, sonst können sie keine Zukunft planen. Da gibt es positive Beispiele, etwa mit dem Programm aus Hessen. Das Programm ist gut, es geht mir aber zu langsam, damit es schneller geht, muss auch der Bund helfen.

Aber selbst Kommunen, die inzwischen wieder etwas mehr Spielraum haben, fehlen doch die Kapazitäten, etwa in den Bauämtern. Ist das nicht ein langfristiges strukturelles Problem, dass die Kommunen durch fehlende Mitarbeiter gar nicht mehr handlungsfähig genug sind?

Finanzausstattung ist ein Thema, Effizienz ist ein anderes Thema. Wir wissen, dass viele Kommunen zu klein sind, um große Infrastrukturprojekte zu bearbeiten. Bestimmte Aufgaben müssen daher gemeinsam angegangen werden, dafür brauchen wir etwa Beratungsgesellschaften für Kommunen, die etwa bei Vertragsabschlüssen beraten. Gerade bei privaten Geldgebern, damit sie nicht über den Tisch gezogen werden. Das Dritte ist aber auch die Eigenverantwortung der Kommunen.

Bei aller Eigenverantwortung: Kommunen sind durch Gesetze stark von Bund und Ländern reglementiert. Wie müssten die Kriterien gelockert werden, damit Kommunen wieder mehr selbst entscheiden können?


Auch da steht eine Entschuldung erst mal an erster Stelle. Ich würde mir bei den Sozialausgaben mehr Beteiligung von Bund und Ländern wünschen. Strittig ist leider immer wieder die Finanzierung vom Bund, hier müssen die Länder über ihren Schatten springen. Viele Länder sagen, hier dürft ihr euch nicht einmischen, das ist Ländersache. Ich denke, es ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

Und dann treibt mich sehr das Thema „einheitliche Qualitätsstandards“ um. Nehmen Sie das Beispiel Bildung, hier haben wir sehr unterschiedliche Standards zwischenden Ländern aber auch zwischen Kommunen. Stichwort „Einheitsabitur“, wenn wir das hätten, dann könnte man Länder und Kommunen auch viel stärker zur Rechenschaft ziehen und zeigen, wo es gut läuft und wo es eben gar nicht läuft. Dann müssen diese Länder oder Kommunen mehr Geld investieren oder externe Hilfe in Anspruch nehmen. Viel ist da über Transparenz möglich, über Rechenschaft ablegen.

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Aber legen nicht gerade Kommunen ihren Bürgern gegenüber sehr regelmäßig Rechenschaft ab? Die Ehrenamtlichen dort sind ja direkt greifbar und stellen sich einer Persönlichkeitswahl.


Ja, natürlich. Wenn das nicht funktioniert, stimmen Bürger dann ja oft mit den Füssen ab, indem sie wegziehen. Unternehmen übrigens auch.

Transparenz ist ja nicht nur wichtig, um zu kontrollieren, sondern auch um Probleme zu identifizieren. Es gibt ja Kommunen, die vor 20-30 Jahren schlecht investiert haben. Aber wollen Sie heute ein 5-jähriges Mädchen dafür verantwortlich machen, dass vor 30 Jahren jemand falsche Entscheidungen getroffen hat? Wir müssen aber die Probleme auch beim Namen nennen, sonst können wir sie nicht lösen.

Wenn Sie Bürgermeister einer 10.000-Einwohner-Gemeinde in einer strukturschwachen Region in Ostdeutschland wären – was wären ihre ersten 3 Maßnahmen, wenn sie entscheiden könnten, wie Sie wollten?

Ich würde mir anschauen, wie die Struktur meiner Gemeinde aussieht. Das Allerwichtigste wäre zu investieren, damit sich Familien dort ansiedeln und dort bleiben. Für mich sind die drei Ts am wichtigsten. Nämlich Technologie, Toleranz und Talente. Erst einmal müssen wir sehen, wie bekommen wir Talente und wie kann ich sie halten? Das hängt dann auch viel mit Toleranz zusammen. Das wäre mal das Erste, was ich angehe. Wie kann ich also eine Infrastruktur schaffen, die familienfreundlich ist. Schule, Bildung.

Das Zweite wäre zu schauen, wie kann ich Unternehmen ansiedeln, halten und wie kann ich ihnen helfen, sich zu entwickeln. Familien werden mit dem besten Bildungssystem nicht kommen oder bleiben, wenn sie nicht auch gute Jobs haben. Und das Dritte wäre zu sagen, wie kann ich Partner finden, andere Kommunen. Kann ich eine Anbindung an einen Ballungsraum finden. Also zu überlegen, wie denke ich über meine Kommune hinweg, wie kann ich als Region wachsen.