Der Flüchtlingsstrom ist ein Kraftakt für die Kommunen. ©55route/Fotolia

Kraftakt für die Kommunen

Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Das bringt viele Kommunen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Aber es gibt auch erste Lösungsansätze und viel Engagement. Dr. Ursula Weidenfeld und Christian Erhardt-Maciejewski haben sich für KOMMUNAL auf die Suche gemacht.

Die Kommunen gelangen an ihre Grenzen

Nicht alle Bürgermeister stehen vor der Herausforderung, von heute auf morgen ein Erstaufnahmelager in ihre Gemeinde zu bekommen. Nahezu alle aber gelangen zur Zeit an ihre Grenzen, wenn es um die Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge geht, die ihnen nach der Registrierung zugewiesen werden.
Information, Wohnung, Sprache, Arbeit: Das sind die Themen, an denen sich Sozial- und Finanzdezernenten derzeit aufreiben. Sie wissen: Die Situation wird in absehbarer Zukunft nicht besser, viele der Flüchtlinge werden für eine ganze Zeit, wenn nicht für immer, in Deutschland bleiben. Deshalb arbeiten die Kommunen daran, die Flüchtlingsproblematik dauerhaft und angemessen in den Griff zu bekommen. „Spätestens jetzt müssen die Kommunen ein Querschnittsmanagement auf – und die Zusammenarbeit ausbauen. Die herkömmliche Säulenstruktur der Verwaltung trägt bei der Flüchtlings- und Integrationsproblematik nicht ausreichend“, mahnt die Bertelsmann-Stiftung. KOMMUNAL stellt beispielhafte Konzepte vor.

Die Pauschalen sind viel zu gering

Immer wieder geht es zuallererst um Geld. Um viel Geld. „Vom Land Brandenburg bekomme ich eine Investitionspauschale von rund 2000 Euro für einen neuen Flüchtling“, sagt Michael Garske, Sozialdezernent im brandenburgischen Oberhavel. Er rechnet vor, dass ihn jeder neue Platz rund 15.000 Euro kostet. Auch die Versorgungspauschalen reichen nach seiner Berechnung vorne und hinten nicht. In Hessen bekommen die Landkreise beispielsweise pro zugewiesenen Flüchtling eine Pauschale von 521 Euro im Norden des Landes, bis zu 630 Euro im teureren Süden. Allein der Landkreis Kassel muss pro Monat rund 200 Euro für jeden aufgenommenen Flüchtling dazuzahlen.
In diesen Wochen werden in Gemeinde- und Stadträten die Haushalte für das Jahr 2015 beraten: Nahezu überall wird – wie im niedersächsischen Osnabrück - über Gewerbesteueranhebungen, über Zweitwohnungs- und Spielhallensteuer und – wo es noch welche gibt - über das Streichen freiwilliger kommunaler Leistungen gestritten.

Die Bürger rechtzeitig informieren

Noch registrieren die Bürgermeister dankbar eine große Bereitschaft ihrer Bürger, Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren. Doch sie sorgen sich um die Zukunft: Wenn immer größere Teile des Haushaltes für Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen aufgewendet werden müssen, auf der anderen Seite aber beispielsweise für die Instandhaltung von Kindergärten und Schulen, den Breitbandausbau oder die Pflege öffentlicher Anlagen das Geld fehlt.
Damit die Bürger die Aufnahme von Flüchtlingen dauerhaft mittragen, ist rechtzeitige und umfassende Information entscheidend. Bürgermeister Kamm aus Siegsdorf ließ den Grill stehen und trommelte den Gemeinderat zusammen. Nachdem der zugestimmt hatte, 200 Flüchtlinge statt der geplanten 500 aufzunehmen, besuchte Kamm am folgenden Sonntag ausnahmsweise einmal zwei Gottesdienste: Nach Predigt, Credo, und Wandlung überbrachte er um 8.30 Uhr und um 10 Uhr auch seine Botschaft: „Ich habe überlegt, wo ich die meisten Leute erreiche. Also bin ich in die Messe am Sonntag. Ich dachte, dass die Kirche ein guter Ort ist dafür - da meldet sich keiner lautstark und die Information kann erst mal ankommen.“

Applaus für den Bürgermeister

Die Überlegung ging auf: In Siegsdorf bekam der Bürgermeister am Ende sogar Applaus. Einen Tag später kam auf seine Einladung der Regierungspräsident zur öffentlichen Bürgerversammlung und klärte die Bevölkerung weiter auf – da waren die Flüchtlinge schon im benachbarten Feriendorf eingezogen, Kleiderspenden wurden verteilt, die ehrenamtlichen Helfer des roten Kreuzes klebten schon die ersten Pflaster auf aufgeschrammte Kinderknie. Diese Zustimmung gibt es nur, wenn schnell, umfassend und ehrlich informiert wird.
Je mehr Flüchtlinge den Kommunen vom Land dauerhaft zugewiesen werden, desto höher sind die Ansprüche der einheimischen Bevölkerung an Information und Aufklärung. Vorbildlich löst das Osnabrück, empfehlen die Experten der Bertelsmann-Stiftung: Im Dezember des vergangenen Jahres wurde das Konzept zur Integration und Unterbringung von Flüchtlingen beschlossen. Kernpunkt ist die dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge und die Information der Nachbarn: „Der Standort für eine Flüchtlingsunterkunft sollte frühzeitig bekannt gemacht werden, damit die zukünftigen Nachbarn ausreichend Gelegenheit haben, ihre Fragen und Anliegen zu formulieren,“ sagt Sozialstadträtin Rita Maria Rzyski. „Besonders wichtig ist, dass sowohl Flüchtlinge, wie auch Bürgerinnen und Bürger einen Ansprechpartner haben, wenn es Probleme im Zusammenleben gibt, oder wenn zum Beispiel eine interkulturelle Vermittlung erforderlich ist.“ Wie die Stadt Osnabrück dafür gleich drei Hausmeister und Sozialarbeiter einzustellen, ist in kleineren Gemeinden nicht möglich. Hier sind es dann Bürgermeister und Gemeindemitarbeiter, die sich entsprechend fortbilden und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen müssen.

Viele Kommunen sind überfordert

„Präsenz ist entscheidend“, sagt Kamm. In Siegsdorf wohnen die zugewiesenen Flüchtlinge im „Gasthof neue Post“ mitten im Dorf, neben der Kirche. Hier achten die Wirtsleute auf Integration und Kommunikationsfähigkeit beider Seiten – und darauf, dass die Flüchtlinge den täglichen ehrenamtlich angebotenen Deutschkurs besuchen.
Bilder von überfüllten Asylbewerberheimen und Feldbetten, die notdürftig in zu kleinen Räumen aufgestellt werden, bestimmten in diesem Sommer die Medien. Sie belasten die Reputation der Gemeinden. In Köln wurden im August mehr als 200 Menschen in einem ehemaligen Möbelhaus untergebracht. Aus anderen Flüchtlingsheimen, wie zuletzt im Hochtaunuskreis, werden katastrophale Zustände gemeldet. Andernorts erschüttern Berichte über Misshandlungen durch Sicherheitspersonal die Bevölkerung. Aus dieser Überforderungssituation herauszukommen, ist die Herausforderung Nummer eins. Ob man die Unterbringung selber managt, oder an einen Träger vergibt, ob Container aufgestellt oder Gebäude angemietet werden, sagt noch nichts über die Qualität aus. Wichtig ist aber, dass es stabile Ansprechpartner gibt, und dass die Gemeinde auch in Unterkünften, die von Dritten betrieben werden, präsent bleibt.

Es gibt keine gemeinsamen Standards

Gemeinsame Standards für die Unterbringung gibt es in Deutschland nicht, Nordrhein-Westfalen etwa verzichtet komplett auf gesetzliche Vorgaben zu Fragen wie der Anzahl der Sozialarbeiter, die Größen der Wohn- und Schlafräume oder die Lage der Unterkünfte. Der Flüchtlingsverband Pro Asyl kritisiert, dass es in keinem Bundesland eine systematische geregelte Heimaufsicht oder ein Zertifizierungssystem gebe.
Wenn Gemeinschaftsunterkünfte, dann sollten sie möglichst im Stadtgebiet liegen, und nicht zu groß sein. Das kann gerade in Kommunen, die noch steigende Bevölkerungszahlen haben, zu einer Konkurrenz unterschiedlicher Gruppen um bezahlbaren Wohnraum führen. In Osnabrück denkt man deshalb jetzt über Container-Lösungen nach, und darüber, Sanierungsobjekte über einen längeren Zeitraum anzumieten, damit sich für die Eigentümer die Sanierung rechnet.
Einfacher ist das in Kommunen, die ohnehin schon schrumpfen, wie zum Beispiel im Kreis Prignitz in Brandenburg. Seit dem Jahr 2009 werden dort alle Asylbewerber zu 100 Prozent in Wohnungen untergebracht. „Mit einer eigenen Wohnung müssen die Asylbewerber ihr Leben in ihrem Wohnumfeld selbst organisieren, was der Integration sehr dienlich ist. Gerade Kinder sorgen schnell für Kontakt“, sagt Christel Spenn aus dem Landratsamt.

Die Bereitschaft zu helfen ist groß

In vielen Gemeinden gibt es sehr viel Bereitschaft, sich für die Flüchtlinge einzusetzen, und ihnen zu helfen. Auch das aber sollte ein organisiertes Verfahren sein, mahnen die Sozialdezernenten der Städte. Beispiele, wie die Zivilgesellschaft integriert werden kann, wie Möbel- und Kleiderspenden klug organisiert werden können, ohne dass Gemeindemitarbeiter damit belastet werden, liefert beispielsweise die Plattform www.weltbeweger.de, die der frühere CDU-Politiker Elmar Pieroth gestiftet hat. In sogenannten „open transfer camps“ informiert die dazugehörige Stiftung Bürgermut darüber, wie man gute zivilgesellschaftliche Beispiele übertragen kann.
Sprache: Die Sprache zu erlernen, falle den Flüchtlingen, die in einem Wohnumfeld untergebracht sind, leichter, berichtet Christel Spenn. Denn auch Deutschkurse müssten die Kommunen erst einmal aus eigener Tasche bezahlen. Erst wenn die Flüchtlinge einen ordentlichen Aufenthaltstitel haben, als arbeitssuchend gemeldet sind und Leistungen nach SGB II oder III beziehen, haben sie einen Anspruch auf berufsbezogene Deutschkurse.

Perspektiven für unbegleitete Jugendliche

Das Land Bayern stellt für die Zwischenzeit eine Orientierunghilfe bereit, nach der Deutschkurse organisiert werden können, die die erste Zeit überbrücken. Eine besondere Problemgruppe sind hier unbegleitete Jugendliche. Wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben, werden sie meist aus der Schulpflicht entlassen und normalerweise Gemeinschaftsunterkünften zugewiesen. Vielen von ihnen fehlt jedoch wegen ihrer Fluchtbiografie eine kontinuierliche Bildung, einige sind schwer traumatisiert.
Für die Kommunen eine besondere Aufgabe: Sobald die Jugendlichen aus der Zuständigkeit des Jugendamtes herausfallen, wird ihr Aufenthalt für die Gemeinde zwar billiger. Doch endet die Verantwortung nicht, gerade dieser Gruppe eine Perspektive in Deutschland zu ermöglichen. Mit ESF-Mitteln gefördert, hat die „Schlauschule“, eine staatlich anerkannte Schule für junge Flüchtlinge in München, für diese spezielle Gruppe Lern – und Integrationskonzepte entwickelt, die sie in ihrem Weiterbildungsangebot für Lehrer, Sozialarbeiter und Betreuer auch gerne weitergibt.

Die meisten Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten

Rund 220 Jugendliche werden hier unterrichtet und zum Schulabschluss geführt. Die Berufsschule in Höchststadt an der Donau hat, wie andere Berufsschulen in Bayern, spezielle Berufsschulklassen für junge Flüchtlinge eingerichtet, die neben Sprach- auch andere Bildungsdefizite haben. Neben der Schule werden die jungen Flüchtlinge in Praktika oder sogar in Regelausbildungsverhältnissen auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Voraussetzung dafür sind allerdings Landesregelungen, die die Berufsschulpflicht für Jugendliche auf 21 oder sogar 25 Jahre verlängern.
Arbeit: Die meisten Flüchtlinge bekommen zunächst keine Beschäftigungserlaubnis. In den ersten Monaten gilt ein generelles Beschäftigungsverbot, innerhalb der ersten vier Jahre des Aufenthalts gelten rigide Einschränkungen. Allerdings ist der Ermessensspielraum in dieser Zeit relativ groß. Warum Kommunen ein Interesse daran haben sollten, die Flüchtlinge möglichst schnell in Arbeit zu bringen, liegt auf der Hand. Wer arbeitet, integriert sich schneller, langweilt sich weniger, und die meisten erwachsenen Flüchtlinge würden sehr gerne arbeiten. Außerdem: Für Arbeitssuchende trägt der Bund die Kosten.

Arbeit ist wichtig für die Integration

Der Landkreis Bad Hersfeld-Rotenburg versucht mit Unterstützung des Europäischen Sozialfonds (ESF), Asylbewerber mit geklärtem Aufenthaltsstatus und Flüchtlinge, die eine zumindest eingeschränkte Arbeitserlaubnis haben, so schnell wie möglich in Arbeit zu bringen. Wer arbeitet, sichert seinen Aufenthaltsstatus und macht schnelle Fortschritte bei der Integration, sagen die Bad Hersfelder. Selbst jeder 400-Euro-Job, den ein Flüchtling macht, spart Geld.Die Kommunen können beispielsweise die Kosten der Unterkunft reduzieren, die für Asylbewerber bisher nicht vom Bund zurückerstattet werden. „Migrationssozialarbeit lohnt sich - auch und vor allem auf dem Lande“, heißt es in dem Konzept der Bad Hersfelder. Eine umfangreiche Dokumentation und Arbeitshilfe zeigt, wie die Arbeit organisiert wurde und wie sie wirkt.
Das Osnabrücker Konzept zeigt ebenfalls, was möglich ist. Den Hausmeistern, die für mehrere Unterkünfte verantwortlich sind, stehen 1-Euro-Kräfte aus dem Kreis der Flüchtlinge zur Seite. Sie kümmern sich in den Unterkünften um das soziale Zusammenleben, um die Ordnung und vermitteln bei Konflikten. Im Landkreis Gießen dürfen Asylbewerber seit diesem Sommer kreisweit Praktika machen und Arbeitsgelegenheiten wahrnehmen.
Vorsicht ist allerdings neben dem üblichen Gebot, dass die Arbeiten zusätzlich sein müssen, angezeigt: Auch in Schwäbisch-Gmünd arbeiten Flüchtlinge seit langem in 1-Euro-Jobs in sozialen Einrichtungen. Doch als Oberbürgermeister Richard Arnold (CDU) im vergangenen Jahr Flüchtlinge für das Koffertragen am Bahnhof gewonnen hatte, gab es einen öffentlichen Aufschrei. Die lokale Prese titelte: „Grüße aus der Kolonialzeit“. Das Projekt wurde wegen öffentlicher Empörung eingestellt.

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