Querdenker
Querdenker und Verschwörungstheoretiker fordern auch die Kommunalpolitiker heraus.
© Adobe Stock

Corona-Leugner

Experten über den Umgang mit Querdenkern

Verschwörungstheoretiker machen auch vielen Kommunen die Arbeit schwer. Ihnen nicht unnötig Aufmerksamkeit schenken, ist einer der Tipps, den Psychologen geben. In Brandenburg wird bereits ein Handbuch für den praktischen Umgang mit sogenannten Querdenkern erarbeitet.

Im April 2020 ging es in Stuttgart los. Die Initiative „Querdenken 711“ begann, Menschen zu Protesten gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen zu versammeln. Schnell entwickelte sie sich zu einem bundesweiten Sammelbecken für Rechtsradikale, Enttäuschte und Esoteriker. Der bisher traurige Höhepunkt: Die versuchte Erstürmung des Berliner Reichstagsgebäudes während einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen. Doch nicht nur in Berlin oder Stuttgart, auch in vielen kleineren Städten und Gemeinden kommt es immer wieder zu Anti-Corona-Demonstrationen und Auftritten von „Querdenkern“. Und mittlerweile fragen sich viele Kommunalverwaltungen: Was tun, wenn Querdenker eine Veranstaltung oder Versammlung anmelden?

Verfassungsschutz hat Querdenker auf dem Schirm

Hilfe zu diesem Thema könnte demnächst aus Brandenburg kommen. Der dortige Landesverfassungsschutz und das „Demos – Institut für Gemeinwesenberatung“ haben das Thema auf dem Schirm, wie der Sprecher im Brandenburger Innenministerium, Martin Burmeister, auf Anfrage von KOMMUNAL mitteilte. Ähnlich wie schon vor einigen Jahren bei einem mittlerweile in dritter Auflage erschienenen Handbuch zu den Reichsbürgern denke man derzeit auch über ein QuerdenkerHandbuch nach.

Demos erwägt Handbuch zu Querdenkern

„Aktuell stehen bei Demos Überlegungen im Raum, daran anzuknüpfen und unter erneuter Mitwirkung des Verfassungsschutzes ein neues Handbuch herauszugeben, welches um Phänomene wie QAnon und Querdenken erweitert werden soll“, sagt Burmeister. „Wann damit zu rechnen ist, kann mit Bestimmtheit leider noch nicht mitgeteilt werden.“

In Brandenburg keine Beobachtung durch Verfassungsschutz

Im Unterschied zu Baden-Württemberg seien die Querdenker in Brandenburg bislang aber kein Beobachtungsgegenstand des Verfassungsschutzes, so Burmeister. Denn aktuell lägen "keine hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte“ in Brandenburg dafür vor, dass von dieser Bewegung Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen. „Es wird vom Verfassungsschutz jedoch aufmerksam wahrgenommen, dass neben Kritikern der aktuellen Corona-Maßnahmen auch Rechtsextremisten, Reichsbürger und QAnon-Anhänger solche Versammlungen aufsuchen und teilweise initiieren“, betonte Burmeister. „Zudem berichtet das in Brandenburg ansässige Magazin „Compact“ intensiv über entsprechende Ereignisse.“

Bei „Compact“ handele es sich um einen rechtsextremistischen Verdachtsfall. „Insbesondere Rechtsextremisten, Reichsbürger und Anhänger von QAnon-Verschwörungsfantastereien verfolgen das Ziel, den demokratischen Rechtsstaat zu delegitimieren“, sagt der Ministeriumssprecher. „Sie sind daher bemüht, entsprechende Proteste zu infi ltrieren und in ihrem Sinne zu beeinflussen.“ Am Ende dieses Prozesses könne eine Transformation dieser Szenen und Strömungen stehen.

Sektenbeauftragter: Auf Querdenkerdemos mißtrauisch

Ähnliche Einschätzungen gibt es auch von anderen Experten. „Die Querdenkerbewegung ist eine heterogene Bewegung“, sagt der Sektenbeauftragte der bayerischen Landeskirche, Pfarrer Matthias Pöhlmann. „Es ist letztlich eine nach rechts offene Bewegung mit einem beträchtlichen, immanenten Radikalisierungspotential.“ Eine Studie der Universität Konstanz habe die Begriffe der „heterogenen Misstrauensgemeinschaft“ und der „alternativen Wissensgemeinschaft“ geprägt. Die Besucher von Querdenkerveranstaltungen seien von Misstrauen geprägt, brächten alternative Fakten ins Spiel und beriefen sich stets auf Außenseiterpositionen.

Bürger auf Querdenker-Demos sind von Misstrauen geprägt.“

Matthias Pöhlmann, Sektenbeauftragter

Was aber, wenn in der eigenen Kommune plötzlich Querdenker auftauchen? Oder gar Gemeinderatsmitglieder rechtsesoterische Positionen teilten? „Es ist generell schwer, ein Format zu finden, um mit solchen Menschen ins Gespräch zu kommen“, sagt Pöhlmann. Jedoch müsse man sich auch unter Querdenkern unterscheiden. „Manche sind in einem versekteten Verschwörungsglauben gefangen“, so Pöhlmann. „Manche leiden auch nur unter Corona-Maßnahmen, vor allem die Selbstständigen, die sich große Sorgen um ihre Existenz machen.“ Die sollte man nicht einfach als "Covidioten" abstempeln, sagt der Sektenbeauftragte. „Man sollte genau schauen, was sind das für Motive, die da eine Rolle spielen, und gerade die, die off en für Gespräche sind, in den politischen Raum zurückzuholen.“

Grenzen bei Hass und Antisemitismus überschritten

Wie das praktisch gehen soll? „Man muss neue Formate entwickeln und neues Vertrauen wiederherstellen“, sagt Pöhlmann. Deeskalation sei wichtig. „Menschen, die ihre Sehnsüchte und negative Erfahrungen haben, müssen das Gefühl haben, dass man sie ernst nimmt.“ Wichtig sei aber, dass von Anfang an klargestellt werden muss, dass man sich im Gespräch in Achtung und auf Augenhöhe begegnet. „Überzeugte Demokraten sollten rote Linien markieren“, meint Pöhlmann. „Auch im Gespräch mit Mitläufern muss klar sein: Wo Menschenhass verbreitet wird, wo Antisemitismus auftaucht, sind die Grenzen überschritten.“

Querdenkerbewegung nicht noch aufwerten

Ganz wichtig auch: Solche Gruppen nicht auch noch aufwerten. Der Mainzer Professor für Sozial- und Rechtspsychologie, Roland Imhoff , der sich in mehreren Studien mit der Querdenkerbewegung beschäftigt hat, warnt genau davor. „Man sollte dem Phänomen nicht so viel Aufmerksamkeit verleihen, wir sollten keine falsche Ausgewogenheit pflegen: Wenn Menschen keine relevante Expertise haben, müssen sie auch nicht in Talkshows oder zu Podiumsdiskussionen eingeladen werden.“

Sozialpsychologe Imhoff zu Querdenkern
Sozialpsychologe Roland Imhoff rät, Querdenkern keine Bühne zu bieten.

Ein Beispiel ist aus seiner Sicht die Debatte um die Klimaerwärmung: Obwohl sich Wissenschaftler heute zu 98,99 Prozent einig sind, dass die Klimaerwärmung auch von Menschen gemacht ist, wurden in zahllose Talkshows Klimaskeptiker eingeladen. „Wenn ich jemanden zu etwas einlade, dann doch bitte auf Basis von Expertise, und nicht, weil jemand eine Meinung hat, die da auch noch repräsentiert werden soll“, sagt Imhoff . „Menschen sollten dann zu Talkshows, Diskussionen und Veranstaltungen eingeladen werden, wenn sie einen Wissensvorsprung haben.“

Rat an Kommunen: Mit Verschwörungstheoretikern über Quellen reden

Vor Ort, im Privaten oder Kommunalen, rät Imhoff  dazu, mit den Verschwörungstheoretikern vor allem über deren Quellen zu diskutieren. „Meinetwegen glaubst Du, dass die ARD oder KOMMUNAL nicht die Wahrheit erzählen“, beschreibt Imhof den Beginn so eines Gesprächs. „Aber wer erzählt denn aus Deiner Sicht die Wahrheit? Russia Today? Aber warum?“ Persönlich glaube er, dass in einem direkten Gespräch die wenigsten Querdenker sagen würden: „Ich glaube das, weil XY das auf Youtube gesagt hat“, sagt Imhoff . „Die meisten Verschwörungstheoretiker sind doch überzeugt davon, dass sie Fakten folgen.“ Deswegen sei es wichtig, sie ins Nachdenken über ihre Quellen zu bringen. Off ener Widerspruch dagegen nutze nur etwas, wenn bei einer öff entlichen Veranstaltung auch Dritte dabeistehen. „Die kann ich damit erreichen“, sagt Imhoff . „Einen Verschwörungstheoretiker erreiche ich durch bloßen Widerspruch meist nicht.“

Praktische Tipps für die Kommunen

Der Brandenburger Verfassungsschutz gibt den Kommunen indes noch einige praktische Tipps mit auf den Weg. Gerade bei Veranstaltungsanmeldungen sollte immer sehr genau darauf geachtet werden, wer die Verantwortung trägt, und was bei den Redebeiträgen während der Veranstaltung tatsächlich gesagt wird, empfi ehlt Ministeriumssprecher Burmeister. Oft seien an solchen Veranstaltungen „regional bekannte Akteure“ beteiligt, die auch schon in anderen Zusammenhängen „aktiv nach Anschluss für ihre Th emen und Ideologien – teilweise mit extremistischen Bezügen – gesucht haben“. Daher sollten Kommunen engen Kontakt mit Polizei und Verfassungsschutz pfl egen, wenn sich Querdenker vor Ort bemerkbar machen. „In Brandenburg steht der Verfassungsschutz gern für eine Bewertung oder Beratung zur Verfügung.

Fotocredits: Foto Roland Imhof: Privat