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Wenn kleine Städte große Pläne haben

20. April 2016
Die Stadt Geestland beschäftigt Flüchtlinge in einer Wohnungsbaufirma. In Hessen wollen die Kommunen Schutzbedürftige mit Geldleistungen und Hilfe davon überzeugen, auf dem Land zu leben.

Thorsten Krüger ist kein Bürgermeister, der die Flüchtlingskrise einfach nur verwalten will. Krüger hat erkannt, dass die meisten Flüchtlinge im Land bleiben werden. Deshalb hat Krügers Stadt Geestland diesen Monat ein Unternehmen gegründet, das hilft, die Flüchtlinge besser zu integrieren. „Anpacken“ ist der Name der Firma, die Flüchtlinge anstellt, damit diese Malerarbeiten und Schönheitsreparaturen verrichten oder sich um den Transport von Möbeln kümmern. „Das Projekt soll die Integration der neu zu uns gekommenen Menschen unterstützen, ihre Sprachkenntnisse vertiefen, ihre Qualifikation erkennbar machen und das Selbstwertgefühl der Flüchtlinge fördern“, sagt Krüger im Gespräch mit KOMMUNAL. Die Flüchtlinge in der niedersächsischen Stadt hätten großes Interesse, bei dem Projekt mitzumachen. Mitarbeiten dürfen Schutzsuchende, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

Die Stadt Geestland rechnet damit, dass ihre Bürger dem Wohnungsbauprojekt offen gegenüberstehen. Neiddebatten gebe es nicht, sagt Krüger. Mit der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Bremerhaven hat die Stadt einen Partner für das Projekt. Die Awo organisiert für die teilnehmenden Flüchtlinge auch zusätzliche Sprachkurse.

Thorsten Krüger (r.), Bürgermeister von Geestland, stellte zusammen mit Volker Tegeler (l.) von der Arbeiterwohlfahrt und Dezernent Martin Döscher seine Pläne für die Flüchtlingsfirma vor.

Schon einmal hatte die 31.000-Einwohner-Stadt bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Im Winter stellte Geestland seine Pläne für eine Ausweiskarte für Asylbewerber vor. Daten wie Name, Herkunft, Ausbildung, aber auch Fingerabdrücke sollten in einer Datenbank gespeichert werden. Durch die Ausweiskarte sollten die verschiedenen Behörden auf Daten zugreifen können, die sie für ihre Arbeit benötigen. Doch aus dem Projekt wurde nichts. Denn von den Plänen der Gemeinde angetrieben, kündigte die Bundesregierung im November an, einen neuen Flüchtlingsausweis und eine eigene Datenbank zu entwickeln. Geestland wurde hingegen nicht unterstützt. Krüger sagt: „Trotz Zusagen bekamen wir keine Rückmeldungen, Zuständigkeiten wurden hin und her geschoben. Es gab viele Ratschläge, aber kein Handeln.“ Dabei habe die geplante Karte der Stadt mehr Funktionen und koste weniger als der Flüchtlingsausweis der Bundesregierung. Auch Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk weiß, wie Initiativen von Städten am Widerstand anderer Behörden scheitern können. „Wir hatten im vorvergangenen Herbst mit Göttingen eine Vereinbarung vorbereitet, Asylsuchende aus Göttingen in unserer Stadt unterzubringen“, sagt Junk. „Doch der Plan scheiterte am Landkreis Goslar, der den Landkreis bereits als überfordert betrachtete.“ Junk hatte angeboten, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als Goslar nach dem vorgesehenen Schlüssel unterbringen musste. Inzwischen sieht Junk jedoch mit rund 1000 Flüchtlingen die Aufnahmegrenze der Kommune erreicht. „Ich würde aktuell keiner anderen Stadt anbieten, von dieser zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen“, sagt Junk. „Wir dürfen Goslar auch nicht überfordern und müssen zuerst wissen, wie wir die Flüchtlinge dauerhaft integrieren können.“ Vielleicht hat ein Konzept des Hessischen Städte- und Gemeindebunds mehr Erfolg: Zusammen mit dem Bundesland wollen die Kommunalvertreter Flüchtlinge überzeugen, längere Zeit in ländlichen Regionen zu bleiben. „Vertragliche Vereinbarungen zwischen Land, Kommune und Zuwanderer können erreichen, dass sich die Gemeinden für Flüchtlinge öffnen“, heißt es in einem Konzeptpapier, das KOMMUNAL vorliegt. Familien sollen sich freiwillig entscheiden, in einer Gemeinde für mehrere Jahre zu wohnen und erhalten im Gegenzug bei der Wohnung und Sprachunterricht Hilfe. Auch Geld und persönliche Coachings sollen angeboten werden. „Kommunen im ländlichen Raum brauchen Zuwanderung. Flüchtlinge sind eine Chance für Gemeinden auf dem Land“, erklärt Bernd Klotz vom Hessischen Städte- und Gemeindebund. Viele Orte würden überaltern. Die Integration der Flüchtlinge gelinge aber nur zusammen mit den Betroffenen, meint Klotz. Dass die Unterbringung von Flüchtlingen für andere Kommunen eine Herausforderung ist, liegt auch daran, dass viele Bundesländer in den vergangenen Jahren beim sozialen Wohnungsbau gespart haben. So hat Mecklenburg-Vorpommern in 2013 und 2014 keine einzige neue geförderte Sozialwohnung geschaffen. Auch Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bremen und das Saarland haben im Jahr 2014 nur sehr wenige Neubauten gefördert, obwohl die Länder jedes Jahr viele Millionen Euro erhalten, die ursprünglich dem Wohnungsbau dienen sollten. Das Bundesbauministerium räumt ein, dass in vielen Kommunen „bezahlbarer Wohnraum" fehlt, um anerkannte Flüchtlinge dezentral in normalen Wohnungen unterzubringen. Chris Kühn, wohnungspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, fordert, dass der Bund sich wieder im Wohnungsbau engagiert. Kühn sieht aber auch die Kommunen in der Verantwortung. „Ein Problem ist, dass in vielen Kommunen die Baubehörden personell ausgedünnt sind und Bauvorhaben deshalb unnötig lange dauern.“

Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (Foto: Peter Sierigk)

Indessen warnt die Stadt Salzgitter davor, nur über die Unterbringung der Flüchtlinge zu diskutieren. Frank Klingebiel, Oberbürgermeister der Stadt, sagt: „Parallelgesellschaften müssen vermieden werden und das gelingt nur durch erfolgreiche Integration, die so viel mehr umfasst als Unterbringung und Versorgung.“ Es gehe darum, Sprachkurse, Kita- und Schulplätze anzubieten. Dabei müssten Bund und Länder den Kommunen helfen, fordert Klingebiel. Die sehr freundliche Einstellung der Salzgitteraner könne sich ändern, falls es nicht gelinge, „den Flüchtlingsstrom zu begrenzen“, befürchtet der Kommunalpolitiker.