Daseinsvorsorge nach Corona
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Kommunale Intelligenz

Zukunftsforscher sagt voraus: So wird das Jahr 2021!

Die Coronakrise war die Stunde der Kommunen: Ungeahnte Kräfte wurden freigesetzt. Staat und Demokratie zeigten, wozu sie fähig sind, wenn es wirklich drauf ankommt. Nach der Krise werden die Beziehungen zwischen Kommunen und Bürgern besser sein als je zuvor. Das macht Mut für die Bewältigung künftiger Krisen, meint Zukunftsforscher Daniel Dettling.

Zukunftsforscher Daniel Dettling wirft einen Blick auf das Jahr 2021: Die Pandemie war die Krise der großen Städte und Ballungsgebiete, die anfälliger und nervöser sind als der ländliche Raum. Geschlossene Restaurants, Fitnessstudios, Kinos und Clubs: Das Leben in den Metropolen war auf einmal gefährlich öde. Insbesondere Megacitys wie New York, Singapur und London waren mit der Coronawelle schnell überfordert. Auf dem Dorf oder in der Kleinstadt ist das soziale Abstandhalten leichter als in der Großstadt. Nachbarschaftshilfen, die sich in den großen Städten über technische Infrastrukturen bilden müssen, sind auf dem Land gelebter Alltag. Landluft macht virenfreier. Die Coronakrise wird zum Treiber einer neuen Stadtflucht – und eines lokalen Versorgungspatriotismus, auf den schon vor der Krise immer mehr Regionen setzten.

In Zukunft verstehen sich Lokalpolitik und Bürger noch besser

So viel politische Führung und Vertrauen in sie gab es lange nicht: Die Krise führte zu einem Comeback klassischer Führungs- und Staatspolitik. Die Maßnahmen im Kampf gegen das Virus fanden bei den Bürgern große Zustimmung, noch nie waren die Deutschen mit ihrer Regierung so zufrieden. Je kleiner die Stadt, desto größer war das Vertrauen der Bürger in das Rathaus.

Deutschlands Rathäuser gehören zu den Gewinnern der Coronakrise. Schon während der Krise erfuhren die Bürger den Mehrwert lokaler Politik – plötzlich war sogar die „digitale Amtsstube“ möglich. Es entstand ein „inklusiver Lokalismus“. Überall dort, wo zuvor technologischer Fortschritt und Globalisierung Regionen und Kommunen gefährdet und abgehängte Regionen zum Nährboden für Populismus und Extremismus geworden waren, fand nun eine Verschiebung von Kompetenzen und Ressourcen in Richtung Städte und Gemeinden statt.

Politische Führung wird in Zukunft verstärkt bedeuten: Klartext reden, Sicherheit vermitteln, handeln. In einer Krise kommt es ebenso auf Staatsoberhäupter an wie auf die Kommunalpolitikerinnen. Höchstwerte in Sachen Bürgervertrauen erzielten in der Krise vor allem die Bürgermeister und Landräte. Sie sind die Akteure und Avantgardisten, weil sie sich als politische Unternehmer verstehen, volksnah sind, sich an ihren Taten messen lassen – und so über den eigenen Ort hinauswirken. Marina Weisband, die frühere Sprecherin der „Piraten“, hat den unternehmerischen Politiker als „offenen Politiker“ definiert, der drei Kriterien verbindet: Authentizität, Aufklärung und Ansprechbarkeit.

So geht Krisenkommunikation, erklärt unser Zukunftsforscher 

Kommunalpolitiker des Jahres 2020 ist vielleicht Stephan Pusch, der Landrat des Kreises Heinsberg – der Region, in der das Corona-Virus in Deutschland seinen Lauf nahm. In der Krise kommunizierte er täglich auf Facebook über Videobotschaften mit den Bürgern der Region, stets begleitet von dem Hashtag #HSbestrong: Heinsberg als Ort der Hoffnung, der gemeinsam gegen Corona kämpft.

Kreativer Pragmatismus erwies sich als Vorteil von Kommunen und Regionen. Als Atemmasken knapp wurden, setzte Pusch auf die Bundeswehr und erhielt Unterstützung, ohne die Bundes- oder Landespolitik einzuschalten. Für die Zeit nach der Krise ist seine Vision eine Städtepartnerschaft mit Wuhan, der Region, in der das Virus zuerst auftrat.

Corona wird das Verhältnis zwischen Staat und Markt fundamental ändern. Der Staat wird zum steuernden Vorsorgestaat, der Gesundheitsschutz und Nachhaltigkeit verbindet und auf eine Politik der achtsamen Glokalisierung anstelle einer übertriebenen Globalisierung setzt. Auch das wird die Post-Corona-Demokratie glokaler, bürgernäher, partizipativer machen – und den Kommunen und ihren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern eine ganz neue Relevanz verleihen.

Zukunftsforscher gibt Tipps: Diese drei Trends werden Demokratie und Daseinsfürsorge definieren

Internationale Studien zeigen: Kreative Kommunen, die auf Beteiligung, Lebensqualität und Offenheit nach außen setzen, haben glücklichere Bürger, sind wirtschaftlich erfolgreicher und sozial innovativer.

Die Zukunft der kommunalen Daseinsvorsorge und Demokratie wird vor allem von drei langfristigen Trends definiert: Demografie, Ökonomie und Technologie. 

Demografie: Die Bevölkerungsprognosen für die nächsten Jahrzehnte müssen aufgrund der jüngsten Zuwanderung neu berechnet werden. Deutschland wächst. Für den ländlichen Raum und die vielen Klein- und Mittelstädte ist dies eine Chance. Es geht um eine bessere Anbindung und Vernetzung zwischen den Metropolregionen um Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, München und Berlin und dem Umland. Das Ziel: innerhalb einer Stunde von entlegenen Regionen in der nächsten Metropole zu sein.

Ökonomisch spricht immer mehr für die kleinen und mittleren Kommunen. Viele Landkreise, auch die schrumpfenden, suchen händeringend nach Arbeitskräften. Die Bedeutung des ländlichen Raums als Wirtschaftsstandort wird übersehen. Dabei sind hier rund 60 Prozent der Betriebe und ein Großteil der mittelständischen Unternehmen angesiedelt. Viele erfolgreiche Weltmarkführer haben in der Provinz ihren Sitz. Die Beschäftigung ist auf dem Land deutlich stabiler. Die Zahl der Arbeitslosen geht auf dem Land stärker zurück als in den Großstädten. Immer weniger Menschen können sich in Zukunft in den Großstädten eine adäquate Wohnung leisten. Die Folgen der Coronakrise werden diesen Trend verstärken. Im Umland sind Immobilienpreise und Mieten deutlich geringer. Die Eigenheimquote liegt auf dem Land bei 80 Prozent.

Technologisch führt die Digitalisierung zu einer Dezentralisierung von Leben und Arbeit. Für immer mehr Menschen wird das Leben auf dem Land möglich. Co-Working und Co-Living sind längst keine urbanen Trends mehr. Wenn bald überall flächendeckend schnelles Internet verfügbar ist, lässt sich in jedem Dorf oder jeder Kleinstadt produzieren und arbeiten. Homeoffice wird zum neuen Standard. Lange Wegstrecken und Pendeln werden in Zukunft zum Auslaufmodell. Auch für die Unternehmen hat der ländliche Raum Zukunft.

Eine Befragung kommunaler Unternehmen bereits vor Corona kommt zu dem Ergebnis, dass der ländliche Raum durch die Digitalisierung als Wohn- und Arbeitsort aufgewertet wird. Neue Formen der sozialen Daseinsvorsorge entstehen. Eine Antwort auf den Ärztemangel auf dem Land sind Online-Praxen. „Mobile Health“ bringt den Landarzt wieder zurück. Patienten werden am Telefon oder online behandelt. Das Rezept und die Krankschreibung folgen per E-Mail. Lange Wegstrecken und Wartezeiten werden überflüssig. Gesundheitsversorgung findet zunehmend von zuhause aus statt. Einer Studie zufolge können sich mehr als 80 Prozent der Bürger vorstellen, zu Hause einen Roboter zu nutzen, wenn sie dadurch im Alter länger in den eigenen vier Wänden wohnen können.

Bürgemeister sind die Politiker der Stunde

„Wenn Bürgermeister die Welt regierten, wären viele globale Probleme längst gelöst“ schrieb der vor zwei Jahren verstorbene US-amerikanische Professor für Zivilgesellschaft, Benjamin Barber, in seinem letzten Bestseller. Auf das Jahr 2020 rückblickend werden wir eines Tages feststellen, dass nicht nur der medizinische, sondern vor allem auch der soziale Fortschritt das Virus besiegt hat: Entscheidend war die humane, soziale Intelligenz – unser gesunder Menschenverstand.

Zur demokratischen Aufgabe nach Corona wird die Frage, wie die Welt krisenresistenter und damit zukunftsfähiger werden kann. Die Antwort auf diese neue globale Frage ist auch eine lokale.

Warum wir unsere Innenstädte anders retten müssen!