Ein Stadtwerke-Chef blickt nach vorn - wie die Energieversorgung der Zukunft aussieht und was heute schon möglich ist
Ein Stadtwerke-Chef blickt nach vorn - wie die Energieversorgung der Zukunft aussieht und was heute schon möglich ist
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Gastbeitrag

Vorzeigestadt: Energieversorgung aus eigener Kraft

23. Mai 2022
Unabhängigkeit von Energie aus Russland ist das Gebot der Stunde. Im Fichtelgebirge setzt man schon lange auf eine Versorgung, die zu 100 Prozent auf regionalen, erneuerbaren Quellen basiert – was allen Bürgern zugutekommt. Marco Krasser, Geschäftsführer der SWW Wunsiedel GmbH, erläutert im KOMMUNAL- Gastbeitrag, wie das funktioniert.

Als ich vor über 20 Jahren Geschäftsführer der SWW Wunsiedel GmbH, eines kommunalen Energieversorgers, wurde, waren die Energiemärkte kurz zuvor liberalisiert worden. Damit wurde die Lieferung von Strom und Gas, wirtschaftlich immer schwieriger und risikoreicher. Insofern war der Boden dafür bereitet, den Stadtrat von Wunsiedel und den Aufsichtsrat der SWW von der Notwendigkeit einer Neu-Ausrichtung des Unternehmens zu überzeugen. Dabei sahen die Verantwortlichen auch den gesellschaftlichen Auftrag, Bürgerinnen und Bürger dauerhaft kostengünstig, zuverlässig und umweltfreundlich mit Energie versorgen – wie es Artikel 83 der bayerischen Verfassung den Kommunen vorgibt.

Unabhängigkeit in der Energieversorgung - Das Ziel schon vor 20 Jahren 

So entwickelten wir das Strategiepapier "Wunsiedler Weg Energie", das eine klare Richtung für die Entwicklung der SWW definiert. Sich lediglich auf den reinen Energiehandel und den Netzbetrieb zu konzentrieren, war angesichts der zu erwartenden weiteren Regulierung keine zukunftsfähige Option mehr. Doch wir beließen es nicht bei der Absage an eine Fortschreibung des Status quo, sondern präzisierten vor allem unsere Vision einer nachhaltigen Energieversorgung aus eigener Kraft – sozusagen die Energiewende vor Ort, lange bevor die bundesweit ausgerufen wurde.

Das Ziel war und ist es, eine regionale Energiewirtschaft aufzubauen, die ausschließlich erneuerbare Energiequellen und nachwachsende Rohstoffe der Region nutzt. So wollten wir den Geschäftsbereich Erneuerbare Erzeugung, Vernetzung der dazu gehörenden Anlagen und Speicherung massiv ausbauen. Und wir konnten die Entscheider davon überzeugen. Ein starkes Argument: Jedes einzelne Projekt schrieb von Anfang an schwarze Zahlen. Was unter den Aspekten Sicherheit der Versorgung und Ökologie notwendig war und ist, rechnet sich also – und das nicht „nur“ volkswirtschaftlich, sondern ganz konkret für die Kommune und damit die Region, also jede Bürgerin und jeden Bürger.

Marco Krasser ist Geschäftsführer der SWW Wunsiedel GmbH sowie der ZukunftsEnergie Fichtelgebirge GmbH.
Marco Krasser ist Geschäftsführer der SWW Wunsiedel GmbH sowie der ZukunftsEnergie Fichtelgebirge GmbH. 

unabhängige Energieversorgung gemeinsam mit Nachbarkommunen gestalten 

Zehn Jahre nach dem Start, 2011, gründeten wir gemeinsam mit drei weiteren Kommunen die ZukunftsEnergie Fichtelgebirge GmbH , die letztes Jahr zur ZukunftsEnergie Nordostbayern GmbH umfirmiert worden ist. Neben dem Namen hat sich auch das Portfolio verändert. War es 2011 vor allem Wind, ist das neue Unternehmen nun mit allen Aufgaben rund um die Energiezukunft betraut. Sie hat mittlerweile 18 rein kommunale Gesellschafter. Angesichts der Komplexität der Herausforderungen ist ein Netzwerk wie dieses aus meiner Sicht unabdingbar. Hier werden Kompetenzen, Knowhow und Manpower gebündelt – und die Kommunen können darauf zurückgreifen, um jeweils angepasst an ihre speziellen Standortbedingungen Lösungen für eine nachhaltige regionale Energieversorgung zu finden.

In der Praxis werden zunächst für jede Kommune die vor Ort vorhandenen Potenziale ermittelt, daraus eine Strategie abgeleitet und diese dann konsequent umgesetzt. Nie wird nur das einzelne Projekt betrachtet, sondern immer auch, ob es in das Gesamtbild aller Vorhaben passt. Eine Photovotaikanlage zum Beispiel erfordert zunächst ein Flächenscreening. Anschließend legen wir fest, wer welche Aufgaben bei der Realisierung übernimmt, wie genau diese abläuft und wie die Zeitschiene aussieht. Schließlich geht es um die Ausbildung lokaler Stromprodukte und die Konzeption von Bürgerbeteiligung. Beides vereinfacht die Finanzierung.

Wertschöpfung in der Region halten und das Know-How mehren...

Auch der Grad an Unabhängigkeit steigt, was für Haushalte und Betriebe maximale Sicherheit bei der Versorgung bedeutet. Den Spekulationsrisiken in den Energiemärkten können Kommunen nur entgegenwirken, wenn sie selbst direkten Zugriff auf die Energieerzeugung haben. Dann profitiert die Wirtschaft von stabilen Preisen, die Region wird gestärkt und eine starke Region ist Garant für eine ausreichende Zahl an Arbeitsplätzen. In Wunsiedel sind wir auf dem Weg dorthin, allerdings noch nicht am Ziel angekommen.

Letztlich schaffen wir kommunale Infrastrukturen in einem föderalen System, welches die Stärken der Dezentralität stärkt und die Schwächen einer zentralen Organisation durch intelligente Vernetzung vor Ort anstelle neuer langer Überlandleitungen schwächt. Motto: Köpfchen statt Kupfer. Ein Benefit für Bürger und Natur gleichermaßen. Das Umfeld, um in dieses Thema einzusteigen, war nie besser als heute. Und die Kommunen sind die dafür prädestinierten Akteure! Sie und nur sie können den „Käfer der Energiezukunft“ schaffen, den wir dringend brauchen.