Wie gelingt es, dass sich mehr Menschen für die Kommunalpolitik engagieren? Eine Analyse im BR Fernsehen mit Christian Erhardt-Maciejewski
Wie gelingt es, dass sich mehr Menschen für die Kommunalpolitik engagieren? Eine Analyse im BR Fernsehen mit Christian Erhardt-Maciejewski
© BR24

Rücktritte von Kommunalpolitikern

Bürgermeister am Limit: "Respekt und Anstand gehen verloren"

6. März 2024
Was muss sich ändern, damit Menschen wieder bereit sind, sich als Bürgermeister zu engagieren? Das wollte das Bayrische Fernsehen von unserem Chefredakteur Christian Erhardt-Maciejewski wissen. Hintergrund ist der jüngste Rücktritt eines Bürgermeisters. Er könne nichts mehr für seine Gemeinde tun, hatte er vergangene Woche frustriert erklärt.

"Respekt und Anstand gehen verloren" - mit diesen Worten hat der Bürgermeister von Markt Schaben vor wenigen Tagen die Reißleine gezogen. Michael Stolze kündigte seinen Rücktritt zu Ende Mai an. Er habe die Nase voll von den anhaltenden Debatten um eine Flüchtlingsunterkunft. Wobei diese Diskussion nur den Gipfel eines Eisbergs in dem 14.000 Einwohner-Ort in Bayern darstellte. Der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. So erzählte Stolze in einem Gespräch auch etwa von einer - wie er es nannte - "Anekdote von vielen" aus dem Dezember vergangenen Jahres. Damals sei in Markt Schwaben viel Schnee gefallen, so dass nicht schon bis zum nächsten Morgen alle Nebenstraßen vom Schnee befreit werden konnten. Die Folge: Bürgermeister und Mitarbeiter des Bauhofs mussten sich wüsten Beschimpfungen aussetzen. 

Die Stimmung kippt - gefährliche Mischung aus Anspruchsdenken und Verrohung der Sprache 

Immer mehr Bürgermeister und Gemeinderäte berichten über ganz ähnliche Vorfälle. Da führt selbst der vermeintlich falsch berechnete Abwasserbescheid zu einem Shitstorm, der sich meist zusammenfassen lässt mit den Worten: "Alle Politiker sind unfähig". "Viele Kommunalpolitiker sind deshalb inzwischen am Rand der Belastbarkeit", erklärte KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt-Maciejewski die Situation am Sonntag im Bayerischen Fernsehen. In seiner Analyse macht er drei Gründe aus, warum es immer häufiger zu Rücktritten kommt. 

Erstens: Verrohung der Sprache - gerade ehrenamtliche Kommunalpolitiker beklagen, "in einen Topf mit Berufspolitikern geworfen zu werden". Eine Unterscheidung zwischen Bund, Land und Ort wird oft nicht vorgenommen, dem Ehrenamt fehlt jegliche Wertschätzung.

Zweitens: Die desolate Finanzlage vieler Kommunen führt dazu, dass nicht einmal die Pflichtaufgaben erfüllt werden können, ohne neue Schulden aufzunehmen. Was den Gestaltungsspielraum für die Gemeinde praktisch auf Null senkt, freiwillige Leistungen sind überhaupt nicht mehr möglich. 

Drittens: Ein Bürokratie-Wahnsinn und damit zusammenhängend fehlende Entscheidungsbefugnisse. Das Gefühl "Ich kann trotz extremem Engagement nichts mehr für meine Gemeinde tun" ist einer der Sätze, die von Kommunalpolitikern, die das Handtuch werfen, am häufigsten zu hören ist.

Was passieren muss, damit sich wieder mehr Menschen engagieren - als Bürgermeister oder Gemeinderat 

Im Interview wollte der Bayerische Rundfunk von Christian Erhardt-Maciejewski auch hören, welche Lösungsansätze es gibt. Auch hierzu zeigte er drei wesentliche Punkte auf, die unbedingt nötig sind. 

Erstens: Neue Finanzbeziehungen zwischen Ländern und Kommunen. Die erste Ebene des Staates muss finanziell ausreichend ausgestattet sein. Denn dort werden fehlende Investitionen unmittelbar sichtbar - an Schulen, Straßen und Sozialleistungen. 

Zweitens: Stärkung des Ehrenamts - mehr Bewusstsein schaffen für die wichtige Rolle ehrenamtlicher Kommunalpolitiker

Drittens: Konsequentes Vorgehen gegen Hass und Hetze - hier hat der Bund in den vergangenen Jahren einiges getan. Was aber weiter fehlt sind regionale Anlaufstellen für Kommunalpolitiker, die oft auch psychische Hilfe nach Angriffen oder Drohungen benötigen. Positives Beispiel: Der Rems-Murr-Kreis in Baden-Württemberg bietet in Not geratenen Betroffenen eine Anlaufstelle, bei der sie sich Hilfe holen können. Und das nicht erst, wenn sie schon fast nicht mehr können.

Die Zukunft der Kommunen und Bürgermeister in Deutschland 

Im Gespräch mit dem BR wagt Christian Erhardt-Maciejewski die Prognose, dass in wenigen Jahren mindestens 500 bis 600 Kommunen ohne Bürgermeister darstehen werden. Einfach, weil sich niemand mehr findet. Was dann folgt, werden häufig Zwangsfusionen von Gemeinden sein. Das wiederum stellt eine Gefahr für die Demokratie dar, wie zahlreiche Studien belegen ( hier gehts zur Studie: Gemeindefusion zerstört das Heimatgefühl) 

Das komplette Interview können Sie hier bei Youtube noch einmal ansehen: