Was passieren muss, damit sich wieder mehr Ehrenamtliche engagieren - ein Zwischenruf von Christian Erhardt
Was passieren muss, damit sich wieder mehr Ehrenamtliche engagieren - ein Zwischenruf von Christian Erhardt
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Zwischenruf

Wenn Bürgermeister nicht mehr wollen

Was muss sich ändern, damit Menschen wieder bereit sind, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren? Ein Zwischenruf von KOMMUNAL Chefredakteur Christian Erhardt.

Wütende Bürger, ein übergriffiger Staat und immer mehr Aufgaben für Kommunen, die nicht ausfinanziert sind. Das sind die wichtigsten Gründe, warum Gemeinderäte aber zunehmend auch Bürgermeisterinnen und Bürgermeister „nicht mehr wollen“. Anfang des Jahres etwa warf der Bürgermeister von Bingen (bei Sigmaringen) in Baden-Württemberg, Jochen Fetzer, nach 21 Jahren das Handtuch. Als einen von vielen Gründen nennt er eine traurige Anekdote, die vermutlich viele seiner Amtskollegen nur zu gut kennen. Es ging um 250.000 Euro Zuschuss aus einem Fördertopf. Allein die Abrechnung dauerte mehr als ein Jahr. „Wir mussten 1000 Seiten Unterlagen einscannen und die Dateien in Portionen von 10 MB an die Förderbank schicken. Dafür steht ein Mitarbeiter einen ganzen Tag am Scanner. Die Personal- und Verwaltungskosten nur für den Antrag lagen bei 10.000 Euro“, berichtet  Fetzer. Er habe keine Lust mehr auf das Amt. Alle redeten von Bürokratieabbau, aber unterm Strich werde es immer schlimmer.

Die Gründe für die Rücktritte der Bürgermeister ähneln sich sehr 

Andere Bürgermeister berichten über eine gefährliche Mischung aus Anspruchsdenken und Verrohung der Sprache. So gab Anfang März der Bürgermeister von Markt Schwaben, Michael Stolze, seinen Rücktritt zu Ende Mai bekannt. Auch er wartete mit einer traurigen Anekdote auf, einer von vielen. „Im Dezember war in Markt Schwaben an einem Abend viel Schnee gefallen, bis zum nächsten Morgen konnten wir nicht alle Nebenstraßen vom Schnee befreien“, so Stolze. Die Folge: Bürgermeister und Mitarbeiter des Bauhofes mussten sich wüsten Beschimpfungen aussetzen.

Das Ergebnis: Allein in Rheinland-Pfalz wird voraussichtlich bei den Wahlen im Juni in mindestens 450 Kommunen kein Bürgermeisterkandidat antreten.

Was passieren muss, um die Rücktrittswelle der Bürgermesiter zu stoppen: 

Drei Dinge müssen dringend passieren, damit Kommunalpolitik für Gestalter wieder attraktiver wird:

Erstens: Neue Finanzbeziehungen zwischen Ländern und Kommunen. Die erste Ebene des Staates muss finanziell ausreichend ausgestattet sein. Denn dort werden fehlende Investitionen unmittelbar sichtbar - an Schulen, Straßen und bei sozialen Projekten. 

Zweitens: Stärkung des Ehrenamts - mehr Bewusstsein schaffen für die wichtige Rolle vor allem ehrenamtlicher Kommunalpolitiker

Drittens: Konsequentes Vorgehen gegen Hass und Hetze sowie von den Ländern finanzierte, regionale Anlaufstellen für Kommunalpolitiker, die oft auch psychische Hilfe nach Angriffen oder Drohungen benötigen. Positives Beispiel: Der Rems-Murr-Kreis in Baden-Württemberg bietet in Not geratenen Betroffenen eine Anlaufstelle, bei der sie sich Hilfe holen können. Und das nicht erst, wenn sie schon fast nicht mehr können.