Leitartikel
Impfpflicht und Debattenkultur: Infektionsgefahr Vertrauenskrise
Nicht erst seit der Diskussion um die Impfpflicht wissen wir: Jeder zweite Deutsche hat laut Umfrage inzwischen Angst, öffentlich seine Meinung zu sagen. Es ist nicht die Angst vor rechtlichen Konsequenzen. Es ist die Angst vor der Moralkeule, vor der gesellschaftlichen Ächtung. In Corona-Zeiten hat diese Angst noch erheblich zugenommen. Wer Maßnahmen zur Corona-Eindämmung hinterfragt droht in die Ecke „Aluhut“ gestellt zu werden. Oder wie es neudeutsch heißt: „Er gehört zur maßnahmenkritischen Klientel“. Weshalb in vielen Städten vorsorglich Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen flächendeckend verboten wurden. „Man kann seine Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln“, behauptet etwa Innenministerin Nancy Faser. Eine obrigkeitsstaatliche Anmaßung, die ich von einer Regierungspolitikerin noch vor zwei Jahren für undenkbar gehalten hätte. Die Richter in Karlsruhe geben ihr aber Recht. Die im Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit wird von ihnen daran geknüpft, dass sich der Veranstalter einer Versammlung im Vorfeld kooperativ zeigen muss. Demonstrationsrecht? Ja, aber nur für artige Bürger! Guter Protest – schlechter Protest, ist die neue Devise.
Wer sich nicht gehört oder respektiert fühlt, der wendet sich ab. Ein gigantischer Nährboden für Radikale.
Ob Impfpflicht, Spaziergänger oder sonst abweichende Meinungen - der Konformitätsdruck steigt....
Das Ergebnis ist eine Gesellschaft, in der sich immer mehr Menschen – übrigens auch immer mehr Kommunalpolitiker – an ihren Schreibtischen mit Selbstzensur beschneiden. Alle relativieren alles und distanzieren sich dauernd von sich selbst. „Eigene Meinung: Nein, danke“ Besser nichts falsches sagen, denkt sich der besorgte Kommunalpolitiker und verlässt seinen privaten Schutzraum nicht mehr. Der Shitstorm ist ja sonst vorprogrammiert. Als ich mich an dieser Stelle etwa vor einigen Monaten gegen die Umbenennung diverser Straßen, wie etwa der Mohrenstraße wandte, war die Reaktion vorher absehbar. „Rassist, Neonazi“, es war so ziemlich alles Erwartbare dabei. Und so halten sich Menschen an unbeschriebene Regeln der „allgemeingültigen Meinungen“, um nicht zu provozieren. Der Konformitätsdruck zu Corona-Zeiten ist massiv gestiegen. Hinzu kommt eine Unart auch meiner Berufsklasse, der Journalisten. Es gibt inzwischen, in Studien nachweisbar, eine riesige Diskrepanz zwischen den Themen, die mediale Aufmerksamkeit bekommen und den Themen, die viele Menschen bewegen. So muss es übrigens keinen Zeitungsmacher wundern, wenn seine verkauften Auflagen sinken und sinken.
Wir sollten nicht versuchen, die Welt durch immer neue Tabus zu rettten, die übrigens ausgerechnet diejenigen aufstellen, die sich sicher sind, immer und überall im Besitz der unumstößlichen Wahrheit zu sein!
Mit dieser Politik laufen wir aber Gefahr, die Hälfte des Landes abzukoppeln. Wer sich nicht gehört oder respektiert fühlt, der wendet sich ab. Ein gigantischer Nährboden für Radikale. Die Betroffenen vernetzen sich, auch um den Preis zu wissen, dass sie es mit vermeintlichen Mitstreitern zu tun haben, die an einer ausgewogenen Abwägung von Meinungen nicht im Geringsten interessiert sind.
Die Gesellschaft bezahlt für diese offenbar gewollte Spaltung einen hohen Preis. Den Preis, dass Menschen in eine „Bubble“ gedrängt werden, die nur noch ihre eigenen Sichtweisen kennt. Die Spaltung wird bewusst herbeigeführt mit apokalyptischen Sprüchen wie: „3 G – das heißt Geimpft, Genesen oder Gestorben“. Das klingt schon nach Himmel, Fegefeuer oder Hölle. Fehlt eigentlich nur noch die Inquisition und das – dem Corona-Vergleich mit der Pest sei Dank – Bild des Mittelalters ist perfekt. Genau das betreibt Politik aber, wenn sie andere Meinungen nicht zulässt, ihnen nicht einmal zuhört, sie gleich ins Reich der „Querdenker“ verbannt. Früher hätte man die Schriften dieser Leute verbrannt, heute will man sie im Netz sperren oder verbieten. In der Hoffnung, dass niemand die „falsche Meinung“ erfährt, wenn man sie denn nur verbietet. Das wird nicht funktionieren, was früher die Klowand mit den primitiven Sprüchen war, ist heute das Internet.
Sie suchen das Gespräch mit Impfgegnern - mutige Bürgermeister zeigen wahres Interesse an Debattenkultur
Mutig und aufrichtig wirken da auf mich Bürgermeister, die den offenen Dialog mit Menschen suchen, die vom „Mainstream abweichende Meinungen“ haben. Der stellvertretende Landrat von Bautzen etwa, der sich vor die wütende Menge stellt, die gegen die Impfpflicht protestiert. Dort mit ihnen spricht. Ihnen Hoffnung gibt. Er mag geahnt haben, dass er dafür anschließend von der Landespolitik „verprügelt wird“. Aber er hat gesprochen, wie ihm „der Schnabel gewachsen“ war. Wissend, dass jedes Wort auf die Goldwaage gelegt würde. Oder der Oberbürgermeister von Kamenz, der Impfskeptiker ins Rathaus eingeladen hat. Wissend, dass das Wort nicht stumm bleiben darf, wenn es im Unterholz längst köchert und brodelt. Denn unsere Gesellschaft, sie ist nicht nur gespalten, sie ist vor allem zersplittert. Und da gibt es eben viele unterschiedliche Tendenzen, Richtungen und Meinungen. Sie alle sind es wert, erst einmal gehört und sachlich besprochen zu werden. So lange es denn halbwegs sachlich bleibt.
Aber eines muss uns auch klar sein: Wir werden populistische Auswüchse in unserer Gesellschaft nicht dadurch eindämmen können, dass wir die offene Diskussion unterdrücken. Wir sollten nicht versuchen, die Welt durch immer neue Tabus zu rettten, die übrigens ausgerechnet diejenigen aufstellen, die sich sicher sind, immer und überall im Besitz der unumstößlichen Wahrheit zu sein!