Symbolbild für Genossenschafte: eine Hand und Menschen
Gemeinsam nachhaltig wirtschaften - das versprechen Genossenschaften.
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Genossenschaften

Genossenschafts-Gründungswelle steht bevor

Die 175 Jahre alte Rechtsform ist angesagter Zukunftsgestalter. Warum die Zeit reif ist und wie Kommunen vom Genossenschaftsmodell profitieren, erläutert Dr. Christian Ege im KOMMUNAL-Gastbeitrag.

Unsere Welt ist an Wachstumsgrenzen gestoßen: Klimakrise, Pandemie, Demografiewandel und auch der Krieg in der Ukraine erfordern neues Denken und Handeln. Nachhaltigkeit ist das Gebot der Stunde und zugleich die Agenda der Vereinten Nationen. Wieder kommen neue Wünsche auf Kommunen zu, doch die finanzielle Lage ist limitiert. Mit gewohnten Methoden wird es schwer, Zukunft zu gestalten. Genossenschaften sind daher eine Unternehmensform der Zukunft – auch für die Kommunen.

Genossenschaften ermöglichen nachhaltiges Wirtschaften

„Was einer allein nicht schafft, das vermögen viele“. Diesen Leitgedanken haben die Gründerväter Raiffeisen und Schulze-Delitzsch der Genossenschaftsbewegung als DNA mitgegeben. Damit begründeten sie eine Wirtschaft, die dem Menschen dient. Eine Haltung, die sich in fast 7.000 Gemeinschaftsunternehmen fortpflanzt. Diese wachsen mit Werten, nicht mit purer Gewinnmaximierung, sondern sie fördern den Nutzen ihrer Mitglieder und der Gesellschaft. Die Rechtsform ist ein ideales Instrument, um das Leben von Menschen, die Zukunft in Regionen und gesellschaftliche Innovation durch nachhaltiges Wirtschaften gemeinschaftlich zu verbessern.

Wie das Genossenschaftsmodell entstand? Der Sommer 1846 war sehr kalt. Vulkanausbrüche in Java und Tonga verbreiteten monatelang Asche über die Welt. In Deutschland gab es fatale Ernteausfälle, Nahrungsmittelpreise explodierten. Friedrich Wilhelm Raiffeisen war Bürgermeister von Weyerbusch im Westerwald und wollte die Not der Menschen lindern. Staatliche Getreidehilfen durften aber nur gegen Barzahlung verkauft werden. Die wenigsten konnten das. Der junge Bürgermeister handelte und gab die dringend benötigten Nahrungsmittel gegen Schuldschein heraus. Nach dieser einschneidenden Erfahrung finanzierten Bürger ein gemeinschaftliches Backhaus vor und auch Saatkartoffeln für das Frühjahr. Ein regionaler Wirtschaftskreislauf kam in Gang.

Genossenschaftliche Unternehmen

Genossenschaftliche Unternehmen haben ein vielfältiges Erscheinungsbild: von der Landwirtschaft, über erneuerbare Energie- und Wohnungsgenossenschaften, Ärztehäuser, Mobilitätsnetzwerke, mittelständische Unternehmensnachfolgen, Bildungsgenossenschaften bis zu den größten Handels- und Finanzunternehmen. Sie sind Zukunftsgestalter, finden Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit und tragen zum Wohlstand bei.

Warum sind Genossenschaften heute für Städte und Gemeinden hoch relevant?

  • Weil in Kommunen Menschen und Netzwerke an vielfältigsten Ideen arbeiten, die für mehr Nachhaltigkeit sorgen können, die autarkere Strukturen aufbauen und betrieben, die regional verankert Lösungen für und im Interesse der Bürger umsetzen.
  • Weil es zur Energiewende, fürs gemeinwohlorientierte Bauen, Seniorenbetreuung, die Rettung des Dorfladens oder den Vertrieb regionaler Produkte gute Verbindungen mit kommunalen Interessen gibt. In München haben sich sogar Reinigungskräfte zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen, die unterstützt von der Stadt Frauen aus der Langzeitarbeitslosigkeit befreien.
  • Weil auch in der Start-up-Welt der Trend zur Genossenschaft zu sehen ist. Junge Menschen denken, arbeiten und kommunizieren heute in Communities, Netzwerken, in Projekten und Ökosystemen. Sie wollen in Angelegenheiten, die ihnen wichtig sind, mitentscheiden. Dabei lehnen sie ausschließlich aktienbasierte Modelle ab, sie fordern Nachhaltigkeit. Sie wollen dort leben und wirken, wo ihre Zukunftsvorstellungen am besten in Erfüllung gehen können: in Städten und gerade auch in Gemeinden des ländlichen Raums.

Wo sind Schnittstellen zwischen Kommunen und Genossenschaften? Jeder Neugründung geht eine Lösungsidee voraus von Menschen, die einen Bedarf erkennen. Genossenschaften werden meist durch eine Gemeinschaft zum Leben erweckt. Ob in einem Stadtviertel, in LEADER-Netzwerken oder rund um politische Aktivitäten: eine Hauptaufgabe ist, diese Ideen aufzuspüren in einer Phase, in der sie „nur“ in einem oder mehreren Köpfen „herumgeistern“. Eine weitere, den genossenschaftlichen Gedanken an den richtigen Stellen ins Gespräch zu bringen, um nachhaltige Ideen auszulösen und Projekte zu inspirieren. Die genannten Netzwerke und Personen sind in kommunalen Strukturen meist gut bekannt und können im besten Eigeninteresse und mit Unterstützung durch die Genossenschaftsbewegung gefördert werden.

Wenig Beratungsmöglichkeiten zu Genossenschaften

Über Möglichkeiten, die Genossenschaften bieten und wie man sie gründet, wissen zu wenige Bescheid. Man muss lange nach den richtigen Personen suchen in der Verwaltung, der Wirtschaftsförderung, selbst bei der IHK oder in Genossenschaftsbanken. Die Folge: keine Information, keine Beratung, zu wenig Neugründungen. Vereine und GmbH hingegen meint fast jeder zu kennen, doch für nachhaltige Geschäftsmodelle mit Sinn und Werten passen diese oft nicht optimal. In der Folge werden Ideen mit Potenzial für eine Genossenschaft zu früh als kompliziert verworfen, einfach weil kein Wissen über die Rechtsform vorliegt, sie zu unbekannt ist. Dabei gibt es bei Genossenschaftsverbänden viele passende Unterstützungsangebote für Gründer und für Kommunen. Das kann und muss besser vernetzt werden.

Die Fakten zu Genossenschaften

  • Deutschland steht vor einer Gründungswelle neuer Genossenschaften.
  • Genossenschaftliche Unternehmen sind Zukunftsgestalter. Das Leben von Menschen zu verbessern ist ihr Ziel. Sie tragen zu Wohlstand und Nachhaltigkeit bei. Deutschland braucht mehr davon!

Jetzt ist die Zeit, sich wieder auf die eigenen Wurzeln zu besinnen und das nachhaltige Wachstum der eigenen Region zu befördern. Mit den Angeboten und Möglichkeiten der genossenschaftlichen Gemeinschaft gelingt dies leichter. So zu handeln liegt im ureigensten Interesse jeder Gemeinde und jeder Stadt.

Erfahrungaustausch beim MakerCamp

Welche Erfahrungen gibt es in Ihrer Kommune mit Genossenschaften, von welchen Gründungserfahrungen ben wissen Sie im Netzwerk Ihrer Stadt / Gemeinde? Das MakerCamp Genossenschaften sucht den Kontakt zu Erfolgsbeispielen und bietet Unterstützung für laufende Projekte an. Das MakerCamp Genossenschaften (www.makercamp-geno.de) ist die Initiative zur Förderung der Genossenschaftsbewegung. Das Ziel ist eine Gründungswelle neuer Genossenschaften und die Förderung des genossenschaftlichen Ökosystems. Die Vision ist, die Anzahl der genossenschaftlichen Unternehmen zumindest zu verdoppeln, besser noch zu vervierfachen. Warum? Weil Genossenschaften das Leben von Menschen verbessern.

Beim  MakerCamp Genossenschaften 2022  treffen sich vom 16. bis 18. Mai in Berlin Fans und Förderer der Genossenschaftsbewegung -  Menschen aus der Nachhaltigkeits-, Innovations-, Gründer- und Startup-Szene, aus genossenschaftlichen Unternehmen und Verbänden und aus Städten, Gemeinden, Politik und Wissenschaft.

Der Gastautor Christian Ege ist Innovations-Berater. 2020 gründete der ehemalige Staatssekretär die Generation Ü eG.