Christian Erhardt
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VERLAGSGESPRÄCH

Zehn Jahre an der Spitze: Christian Erhardt reflektiert über den Weg von KOMMUNAL und die Dynamik lokaler Medien

Christian Erhardt ist Chefredakteur der Zimper Media, die unter anderem KOMMUNAL herausgibt - und das seit dem Start des Unternehmens vor 10 Jahren. Ein Gespräch über die Veränderungen der Medienlandschaft, die Erfolgsgeschichte von KOMMUNAL und persönliche Einblicke in die Themenauswahl und Reaktionen der Leserinnen und Leser.

Christian – der Blick zurück ins Jahr 2014 – welche Erinnerungen hast du an die erste Ausgabe und die ersten Monate bei KOMMUNAL?

Das war eine Aufbruchsstimmung - wir hatten alle eine Vision aber nur eine sehr grobe Vorstellung davon, ob unsere Vision funktionieren kann. Also ein wenig vortasten und gespannt sein, wie die Reaktionen sind und wie die ersten Ausgaben dann wirklich aussehen.

Was war die Vision?

Ich erkläre das mal an mir persönlich – ich war damals schon viele Jahre Gemeindevertreter und Kreistagsmitglied und hatte das Gefühl, nie wirklich zu 100 Prozent informiert zu sein. Als Ehrenamtlicher ohnehin kaum möglich. Und in meiner Gemeinde stieß ich auf viele Mitarbeiter in der Verwaltung, die das Beste wollten, sich aber Lösungen für jede neue Herausforderungen selbst überlegen mussten. Unsere Vision daher: Wie wäre es, wenn wir in den 11.000 Gemeinden in Deutschland viel besser vernetzt wären, viel mehr übereinander wissen und uns so einander helfen könnten. Wenn eine Gemeinde eine Idee hat und die anderen darüber Bescheid wissen, kann jeder selbst entscheiden, ob die Lösung auch für die eigene Gemeinde passt. Und so war unser erstes Titelthema damals der gerade erst einsetzende Flüchtlingsstrom aus Syrien. Die Überschrift: „Helfen – aber wie?“. Eine Kollegin und ich sind quer durch Deutschland gereist, haben uns angesehen, wie Lösungsansätze für Unterbringung und Integration aussehen und haben die sehr verschiedenen Ideen niedergeschrieben. Die Ideensammlung hat uns selbst umgehauen in ihrer Vielfalt. Aber die Reaktionen auf die Erstausgabe waren enorm, wir wissen, dass aus der Reportage mehrere Anträge in Gemeinderäten entstanden sind. Etwa der Vorschlag, eine zentrale Koordinierungsstelle für das Thema Flüchtlinge in jeder Verwaltung zu schaffen, damit die Themen gebündelt und von dort weiter an die Fachabteilungen getragen werden können. Das gab es damals zu Beginn der Flüchtlingswelle fast nirgendwo.

Das klingt nach einem Erfolg – wenn du zurückdenkst an die 10 Jahre – welche Erfolge sind dir besonders in Erinnerung geblieben?

Das sind natürlich unsere zahlreichen Umfragen zum Thema „Gewalt gegen Kommunalpolitiker“ – wir konnten durch die regelmäßigen Analysen über die Jahre hinweg aufzeigen, wie aus anonymen Drohungen in den sozialen Medien mehr und mehr „das Sagbare“ wurde – und das Sagbare schlug dann um in immer mehr Taten – Gewalttaten gegen Haupt- und Ehrenamtliche. Was mich dabei besonders stolz macht ist: dass es uns gelungen ist, damit erstmals auch weit über die kommunale Familie hinaus Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Der Bundespräsident hat sich dem Thema angenommen, später wurden im Bundestag – auch nach einer Anhörung von KOMMUNAL im Fachausschuss – mehrere Gesetze geändert, die auch Ehrenamtliche besser vor Gewalt schützen sollen. Im Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg werden wir sowohl mit den Analysen als auch den Kommentaren mehrfach als Quellen erwähnt - das macht mich stolz und zeigt, dass man etwas bewegen kann.

Wie sieht es insgesamt mit der Wahrnehmung der kommunalen Familie aus?

Es ist schon auffallend, dass kommunalpolitische Themen seit einigen Jahren häufiger auch in großen Publikumsmedien stattfinden. Wenn es etwa um neue Gesetze oder Verordnungen geht, wird auch die kommunale Stimme vermehrt gehört. So habe ich im Januar bei Sat 1 ein sehr ausführliches Interview zu den Auswirkungen der Bezahlkarte für Flüchtlinge auf die Kommunen geben dürfen. Das Interesse zu erfahren, was das vor Ort bedeutet, ist größer geworden. Die ARD thematisierte die zahlreichen Rücktritte von ehrenamtlichen Kommunalpolitikern. Im Interview konnten wir dadurch ansprechen, wie dramatisch es um die Finanzen der Gemeinden bestellt ist, welchen Bürokratie-Irrsinn die Kommunen erleben und wie es um die Wertschätzung von Kommunalpolitikern und Verwaltung bestellt ist. Aber auch Themen wie „beschädigte Wahlplakate“ und die Hintergründe, um die es im Interview bei RTL-Aktuell ging oder die Frage von Marieta Slomka im ZDF Heute-Journal, welche Auswirkungen es auf die Gesellschaft hat, wenn sich nicht mehr genügend Ehrenamtliche finden, ist so vorher nie breit diskutiert worden. Das hat sich geändert. Wobei ich sage: Wir brauchen noch viel mehr Aufmerksamkeit für die Belange der Kommunen, aber wir arbeiten dran.

Sind das auch die Themen, die die Leser besonders interessieren oder worauf bekommt ihr besonders viele Reaktionen?

Die Themen sind natürlich sehr viel breiter, häufig auch aktuellen Debatten geschuldet. Aber es gibt die – wie ich sie nenne – „drei Klassiker“, die vermutlich jeden Bürgermeister und jede Bürgermeisterin emotional besonders bewegen. Da ist die klamme Finanzsituation verbunden mit einer gigantischen Förderkulisse, die kaum eine kleine Kommune noch überblicken kann. Womit wir beim zweiten Thema, dem Bürokratie-Irrsinn sind und in dem Zusammenhang bei den fehlenden Entscheidungsbefugnissen. Sprich: Bund und Länder bestimmen neue Gesetze, die Kommunen müssen sie dann umsetzen. In den Haushalten sind daher heute meist weit mehr als 90 Prozent Pflichtaufgaben, für Gestaltung und freiwillige Aufgaben bleibt da immer weniger Spielraum. Und das dritte Thema ist damit einhergehend die fehlende Wertschätzung insbesondere im Ehrenamt. Wir dürfen nie vergessen: Von den 11.000 Bürgermeistern in Deutschland sind fast 7000 neben ihrem Hauptberuf tätig. Gedanklich werden diese Ehrenamtler aber oft in einen Topf mit „Berufspolitikern“ im Bundestag oder in den Landtagen geworfen.

KOMMUNAL ist ein Polit-Magazin, aber die Ausrichtung ist ja doch auffallend anders als bei Fokus, Spiegel und Co. Von aufgedeckten Skandalen hat man bei euch noch nie gelesen...

Das ist richtig und das ist auch gewollt. Was alles nicht funktioniert, wissen unsere Kommunalpolitiker selbst. Die Baustellen erleben sie jeden Tag. Ich finde es gut, wenn andere Magazine den Finger in die Wunde legen, aufzeigen, was schief läuft. Aber das bringt unsere Leserinnen und Leser nicht weiter, das wissen sie schon.  Wir gehen daher den komplett umgekehrten Weg, zeigen die besten Umsetzungen auf, versuchen Mut zu machen, Begleiter im Alltag der kommunalen Entscheiderinnen und Entscheider zu sein. Das ist vielleicht auch der Grund, warum die Rückmeldungen unserer Zielgruppe sehr oft positiv sind. Ich kannte es vorher in meiner Arbeit, dass man nach einem Artikel Kritik erfährt von Leuten, die eine andere Meinung dazu haben. Das gibt es bei KOMMUNAL auch, aber auffallend häufig bedanken sich auch Menschen für neue Inspirationen, Einblicke oder konkrete Leitfäden. Oder sie zeigen weitere Beispiele auf, wie sie oder andere eine Herausforderung gemeistert haben. Daraus entstehen dann ganz oft neue Themen, Diskussionen und Artikel.

Wie siehst du die Zukunft von Printmagazinen im digitalen Zeitalter?

Print lebt – ist aber nur ein Verbreitungsweg. Die Rückmeldung unserer Leser ist, dass sie die Printausgabe sehr häufig abends auf dem Sofa lesen, wenn mehr Ruhe dafür ist. Das wird auch bleiben, nicht für tagesaktuelle Informationen, wohl aber für hochwertig gemachte Magazine mit Hintergrundinformationen und vor allem mit ansprechender Optik. Das kann online so nur bedingt bieten. Aber im tagesaktuellen Geschäft wird das Digitale natürlich immer wichtiger. Die schnelle Information über ein neues Urteil oder die klassische News funktioniert online. In Print können wir dann Analysen der Urteile vornehmen, erste Empfehlungen geben oder Hintergründe von Meldungen beleuchten. Und Digital ist ja auch viel mehr als die klassische Webseite. So haben wir regelmäßige Online-Webinare mit sehr tiefgehenden Hintergrundinformationen im Angebot, machen Podcasts und vieles mehr. Jeder Verbreitungsweg hat seine speziellen Vor- und Nachteile und wir schauen immer: Welches Thema, welche Information passt für welches Medium am besten.

Gibt es neue Projekte oder Initiativen, die ihr in Zukunft starten möchtet?

Mein Traum ist noch eine Datenbank, in der zentral alle Informationen, die ich in meiner Kommune brauche, jederzeit abrufen kann. Also alle Informationen, Hintergründe, potenzielle Förderprogramme, passende Schulungen und Lernangebote auf einer Seite. Ich denke, in diese Richtung kann sich unsere Online-Plattform entwickeln. Glücklich bin ich, wenn jeder Entscheider in einer Kommune unsere Webseite zur Startseite seines Browsers macht, mit dem Ziel, jeden Morgen dort den Überblick zu bekommen, um für den Tag und die Herausforderungen gut gerüstet zu sein. www.kommunal.de als Startseite empfehle ich ohnehin schon jetzt jedem Gestalter in den Kommunen.

Und dann ist da unser Vernetzungsgedanke – wir haben in der Corona-Zeit gespürt, wie wichtig der persönliche Kontakt ist. Darum haben wir Formate wie das Forum KOMMUNAL und jetzt ganz neu die Messe KOMMUNAL gestartet. Hier treffen sich Entscheider persönlich, können sich austauschen, voneinander lernen. Ich glaube, da ist noch viel möglich und darum investieren wir auch in dem Bereich aktuell stark.

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