Bevölkerung als Kämmerer

In Frankfurt am Main gibt es 93 Stadtverordnete, fast 300 Ortsbeiräte und beispielsweise 16 Seniorenbeiräte. Kein Pflasterstein wird in der Main-Metropole umgedreht, ohne dass es der Ortsbeirat erfährt. Ist die Bürgerbeteiligung in Deutschland wirklich schon so gut? War das am Ende auch der Grund, warum das Projekt Bürgerhaushalt in Frankfurt (und anderswo) so grandios gescheitert ist? KOMMUNAL begibt sich auf die Suche nach Vor- und Nachteilen von Bürgerhaushalten.

Was denken Politiker und Verwaltungen über Bürgerhaushalte?

Auf der Suche nach mehr Demokratie sind die Erfahrungen der vergangenen Jahre sehr gespalten. Nach einer Untersuchung der Universität Hagen unter mehr als 400 Städten und Kreisen sagen nur 7 Prozent der Kämmerer, der Bürgerhaushalt habe sie bei ihrer Arbeit unterstützt. Fast 70 Prozent der Befragten vereinten die Aussage jedoch. Und auch bei den Kommunalpolitikern zeigt sich ein gemischtes Bild. Da ist eine Studie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) wenig verwunderlich. Sie legten den Entscheidungsträgern in verschiedenen Bundesländern fünf kommunale Ziele vor. Sie sollten sie ihrer Rangfolge nach ordnen. Die meisten Ratsmitglieder setzten Bürgerbeteiligung auf den letzten oder vorletzten Platz.
Die Beteiligung gibt den Kritikern Recht
In der Tat haben nach Analysen der DFG bisher weniger als 10 Prozent der größeren deutschen Kommunen (über 10.000 Einwohner) einen Bürgerhaushalt aufgestellt. Gleichzeitig sagen Kritiker, könne in vielen großen deutschen Städten von einer Beteiligung der Bürger ohnehin keine Rede sein. So haben sich in Frankfurt am Main gerade mal 0,7 Prozent der Bevölkerung an dem 1,2 Millionen Euro teuren Projekt beteiligt. In Köln und Essen (0,8 beziehungsweise 0,9 Prozent) sehen die Werte nur unwesentlich besser aus.
Über die Qualität der Beteiligung sagen diese Zahlen natürlich noch nichts aus. Doch auch hier sprechen Kritiker angesichts der Beteiligung der „üblichen Verdächtigen“ wahlweise und je nach persönlichem Empfinden von einer Elite-, Klientel- oder Rentnerpolitik.
Kann der Bürger wirklich Haushalt?
Doch die drängende Frage ist ja: Was kann und will der Bürger wirklich leisten? Was ist mit den – wenn auch wenigen - Aktiven, die sich einmischen wollen? Sind deren Vorschläge wirklich hilfreich?
Vor dem Hintergrund der Haushaltskrise bewerten die befragten Ratsmitglieder der DFG-Umfrage zufolge die Rolle der Bürger eher kritisch. Eine sehr große Mehrheit der ehrenamtlichen Abgeordneten geht davon aus, dass die Bürger sich nicht stärker für die kommunale Haushaltspolitik interessieren und auch nicht die Kompetenz haben, sich sinnvoll einzubringen. Auch die Universität Hamburg hat ganz ähnliche Ergebnisse in ihrer Analyse erzielt. Als denkbare Gründe dafür, dass das Thema Bürgerhaushalte von vielen eher kritisch gesehen wird, nennt die Uni „zu hohe oder falsche Erwartungen“, aber auch die Wahrnehmung einiger Kämmerer als „Eingriff in ihre Kompetenzen“.
Welche Potentiale stecken in Bürgerhaushalten überhaupt?
Die Analysen der verschiedenen Institute sehen dennoch auch Chancen für Bürgerhaushalte. Immerhin verbinden die kommunalen Entscheidungsträger nach allen Umfragen mit Bürgerhaushalten mehrheitlich die Möglichkeit, den Haushalt transparenter zu gestalten.
Das DFG-Projekt „Ursachen kommunaler Haushaltsdefizite“ geht aber noch einen Schritt weiter. „Die Konsolidierungssumme der geplanten Maßnahmen beim Bürgerhaushalt in Essen, die in Abstimmungen des Beteiligungsverfahrens mehrheitlich unterstützt wurden, lag bei 117 Millionen Euro“, heißt es dort. Das sei immerhin fast die Hälfte des geplanten Einsparvolumens gewesen. Kurzum: Die Bürger waren hier auch bereit, Einsparungen durchzuwinken. Wobei sich an dem Beispiel auch zeigt, dass eben nicht in allen Bereichen die Bereitschaft der Bürger, Geld einzusparen, vorhanden ist. „So erhielten die von der Verwaltung geplanten Konsolidierungsmaßnahmen im Bereich Kinder-Jugend und Soziales nur eine Unterstützung von 11 Prozent“, heißt es im Bericht. Demgegenüber habe die Zustimmung für Einsparungen im Bereich Politik und Verwaltung beim Höchstwert von 85 Prozent gelegen.
Als Ergebnis der DFG-Studie fordert das Netzwerk Bürgerbeteiligung , in dessen Auftrag die Analyse erstellt wurde, der Haushaltskonsolidierung beim Bürgerhaushalt einen höheren Stellenwert einzuräumen. Das sei vor allem eine Möglichkeit der Bürgerbeteiligung für Kommunen, die hoch verschuldet sind und sich daher eigentlich kein „Verteilen“ von Geld erlauben können.
Was bleibt ist die Frage, der Organisation. Denn alle Analysen zeigen, dass Bürger vor allem dann bereit sind zu beteiligen, wenn sie sich als „Partner“ fühlen, das Gefühl haben, wirklich an Entscheidungen frühzeitig beteiligt zu sein. Das Beispiel Stuttgart 21 zeigt nur zu gut, was passiert, wenn Bürger erst NACH einer Entscheidung eingebunden werden. Die Bertelsmann Stiftung hat am Beispiel des Projekts „Kommunaler Bürgerhaushalt“ in NRW eine umfangreichen Broschüre mit zahlreichen Tipps für Städte- und Gemeinden herausgegeben.
Hier geht’s zur Broschüre.

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