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Dschihad in der Stadt?

Die Anschläge von Paris haben auch in Deutschland viele Kommunen erneut aufgerüttelt. Wie groß ist die Gefahr von Anschlägen wirklich? Haben Städte und Gemeinden vor Ort überhaupt Möglichkeiten, potentielle Extremisten früh genug zu erkennen? Können solche Anschläge verhindert werden? KOMMUNAL Redakteur Christian Erhardt-Maciejewski sprach mit dem Terrorismusexperten Elmar Theveßen über die Gefahrenlage und konkrete Tipps für Kommunen.

Herr Thevesen – nach Paris: müssen wir mit Anschlägen auch in deutschen Städten rechnen?
Wir müssen seit Jahren mit Anschlägen in deutschen Städten rechnen, weil wir genügend Personen in Deutschland haben, die willens und in der Lage sind, solche Anschläge zu begehen. Paris kann Nachahmungstaten hervorrufen – der Anschlag sollte uns bewusst machen, dass schon ein oder zwei Personen mit einfachen Mitteln solche Anschläge verüben könnten.
Wo sitzen diese Personen? Gibt es diese Extremisten flächendeckend in den Kommunen oder nur in Ballungszentren?
Wir haben Islamisten und gefährliche Personen vor allem in den Ballungsräumen Rhein/Main und Berlin und deutlich weniger zum Beispiel in München oder Hamburg. Aber auch in den ländlichen Räumen in Deutschland haben wir vereinzelt Personen, weil die sich in den letzten Jahren bewusst dorthin zurückgezogen haben, um in Ruhe ihre extremen Ansichten weiterzuentwickeln.  Wenn es jedoch um die Zielauswahl geht, dann wird eher in größeren Städten etwas passieren, in Städten, die auch einer Weltöffentlichkeit bekannt sind, also etwa Frankfurt, Köln oder eben München, Hamburg oder Berlin.
Trotzdem machen sich viele Bürgermeister auch in kleineren Kommunen Gedanken, was sie denn tun können, um Verdächtige zu erkennen. Haben Sie konkrete Tipps?
Also das erste ist, Ruhe zu bewahren. Es bringt nichts, jedem mit Skepsis zu begegnen oder gar die Bevölkerung zu beunruhigen. Die Gefahr eines Anschlags in Deutschland ist immer noch extrem gering im Vergleich zum Beispiel zu dem Risiko, bei einem Autounfall zu sterben. Je mehr wir Angst erzeugen, desto mehr erledigen wir auch das Geschäft dieser Terroristen. Aber davon abgesehen muss man auch in den ländlichen Regionen schauen, welche Gruppierungen es da gibt,  ob etwa einige in Wäldern üben oder versuchen, sich Waffen zu besorgen. Das gilt übrigens nicht nur für Salafisten sondern auch für Rechtsextremisten. Man muss aufmerksam sein, Hinweisen aus der Bevölkerung nachgehen, aufklären und das Gespräch suchen – das ist das Wichtigste, auf die Menschen, die Ängste haben, zuzugehen.
Viele Kommunen setzen ja bereits auf Vorbeugung – ist das also der richtige Weg?
Es hilft sogar sehr, wenn man es richtig macht. Wir haben uns in den vergangenen Jahren zu sehr auf das Thema Repression gestürzt. Es ist auch viel einfacher, gleich nach Gesetzesverschärfungen oder Überwachung zu rufen – nach dem Motto: Kameras in jede Moschee! Das vermittelt zwar das Gefühl, man tue etwas gegen Bedrohung – dabei wurde aber massiv vernachlässigt, dass Prävention viel wichtiger ist. Die Vita praktisch jedes erkannten Extremisten in den vergangenen Jahren ist nahezu deckungsgleich – das sind meist junge Menschen, die persönliche Probleme haben, die Verlierer der Gesellschaft sind, Probleme in der Schule oder ihrem Umfeld haben, die sich benachteiligt fühlen, die vielleicht kaputte Elternhäuser haben. Solche Menschen sind anfälliger für Versprechungen von Extremisten. Übrigens können sich kleinere Kommunen und Städte viel besser sich um diese Menschen kümmern, als das in Großstädten möglich ist.
Wenn Sie sagen, es werde zu sehr nach Repressionen gerufen – heißt das, die Instrumentarien der Sicherheitsbehörden reichen aus? Stichwort Vorratsdatenspeicherung?
Wir haben fast alle Instrumentarien, die wir brauchen. Über Vorratsdatenspeicherung könnte man reden, wenn man sie ganz strikt an verfassungskonforme Regularien bindet. Aber man muss sich auch nicht in die Tasche lügen: Vorratsdatenspeicherung wird uns nicht helfen, Anschläge abzuwehren, sondern nur hinterher helfen, Netzwerke und Beteiligte aufzufinden. Es hilft also erst nach einem Anschlag. Es fehlt aber vor allem an Personal bei Polizei und Ermittlern. Einige Bundesländer stocken nun endlich ihr Personal auf – das ist auch dringend nötig. Ansonsten bleibe ich dabei, die eigentliche Verpflichtung sollte sein, sich mehr um Prävention zu kümmern, da ist in den vergangenen 14 Jahren zu wenig gemacht worden.
Wenn Sie Bürgermeister einer Kommune mit 10.000 Einwohner wären – was würden Sie als erstes tun?
Ich würde zum offenen Gespräch, zu einer Bürgerversammlung einladen. Ich würde Experten dazu holen, die den Ängsten mal die Fakten entgegensetzen – auch den Vorurteilen Fakten entgegensetzen – so dass man sich miteinander austauscht, kennenlernt und ein Gefühl vor Ort entwickelt, welche Herausforderungen auf einen zukommen und wie man sie meistern kann. So kann man vorbeugen, dass sich die Meinung der Bevölkerung pauschal gegen eine Bevölkerungsgruppe richtet. Solche Maßnahmen sind viel besser, als immer von oben herab irgendetwas zu beschließen.

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