Flüchtlinge Willkommen

Jedes Bild eine Botschaft für die Welt – Ehrenamtliche engagieren sich spontan als Helfer für Flüchtlinge. Und die Kommunen gehen bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Der Deutschland-Report

Der Autor: Christian Erhardt-Maciejewski

Ich sitze andächtig – nein eher gerührt - in einer der Kirchenbänke, trage mich ebenfalls in die Listen ein, nicht als Reporter sondern an Bewohner des Ortsteils und somit als einer von denen, in dessen Gemeinde in Kürze 250 neue Menschen ziehen. Viele meiner Nachbarn sind dabei, selten habe ich sie so engagiert erlebt, anpackend, helfen wollend.
Rückblende: Es ist in diesen Tagen genau ein Jahr her, dass ich gemeinsam mit Dr. Ursula Weidenfeld für die Erstausgabe von KOMMUNAL für die große Flüchtlingsreportage recherchiert habe. Deutschlandweit waren wir unterwegs, haben uns vor Ort informiert. 1 Jahr nach dem großen Deutschland-Report unter der Überschrift „Helfen – aber wie“ wollen wir wissen: Was hat sich seither verändert in Deutschland?
Nicht alle heißen Flüchtlinge gerne willkommen

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Damals rechneten wir mit 500.000 Flüchtlingen, inzwischen liegen die offiziellen Zahlen für dieses Jahr bei 800.000. Nicht wenige sprechen schon von einer Million Flüchtlingen, die in diesem Jahr zu uns kommen könnten. Schon damals haben wir von überfüllten Asylbewerberheimen berichten müssen, von Feldbetten, die notdürftig zu kleinen Räumen aufgestellt werden. Schon damals die Bilder von ehemaligen Möbelhäusern, in denen nun Hunderte Menschen leben. Containerfirmen melden inzwischen Lieferzeiten von bis zu einem Jahr, sie kommen mit der Produktion nicht mehr hinterher. Doch die Flüchtlingszahlen steigen, wir erahnen nur, wie sich die Situation weiter entwickeln wird angesichts der schrecklichen Bilder aus den Kriegsgebieten dieser Welt. Gewiss: Das Problem der Unterkünfte ist auch heute noch die größte Herausforderung für die Kommunen. Selbst in dünn besiedelten Regionen stoßen die Versuche, möglichst alle Menschen in Wohnungen unterzubringen, langsam an ihre Grenzen. Nur in ländlichen Gebieten sieht es noch besser aus – etwa im Landkreis Prignitz– wir berichteten im vergangenen Jahr – wird noch immer jeder Flüchtling in Wohnungen untergebracht. In Ballungszentren längst undenkbar. Immerhin – im Vergleich zu unserer Reportage von vor einem Jahr gibt es inzwischen zahlreiche Lockerungen, was die Unterbringung angeht. Das Baurecht wurde deutlich vereinfacht. Hier hat Politik reagiert, spät, aber immerhin.
Doch es gibt auch die andere Seite: Der Bürgermeister von Goslar – einer schrumpfenden Kommune in Niedersachen – rief öffentlich auf: „Flüchtlinge kommt zu mir“ – er bat darum, mehr Asylbewerber zugewiesen zu bekommen, will damit dem demografischen Wandel in seiner Stadt ein Schnippchen schlagen. Wilfried Block, Bürgermeister der kleinen Gemeinde Friedland an der schönen Mecklenburgischen Seenplatte spricht gegenüber KOMMUNAL offen darüber, welche Chancen er in Flüchtlingen sieht. 120 sind schon da – für weitere 600 wären noch Wohnungen vorhanden. „Diejenigen die kommen müssen wir überzeugen zu bleiben“. So betrieben heute zwei frühere Flüchtlinge die einzige Änderungsschneiderei im Ort. Nur so habe sein Dorf eine Chance, zu überleben ist er sicher.
Gerade das Thema Arbeitskräfte ist in der politischen Diskussion über die Flüchtlinge in den vergangenen Monaten immer wichtiger geworden. Mussten wir vor einem Jahr in unserer Reportage noch berichten, wie unheimlich schwer es für Flüchtlinge ist, Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen, so hat das Wort „Fachkräfte“ inzwischen eine erstaunliche Dynamik in die Debatte gebracht. Hürden bei der Jobsuche wurden zumindest gesenkt. Rigide Einschränkungen gibt es aber immer noch. Einzelne Initiativen geben Hoffnung. So versucht der Landkreis Bad Hersfeld- Rotenburg (mit Unterstützung des Europäischen Sozialfonds ESF) mit einem Programm, Asylbewerber so schnell wie möglich in Arbeit zu bringen.
Eine Flüchtlingsfamilie in Deutschland

Eines aber berichten alle Protagonisten, die wir nach einem Jahr erneut gefragt haben, unisono. Im Vorfeld der Unterbringung gab es überall Vorbehalte, Ängste, häufig Proteste aus der Bevölkerung. Wie in Borgsdorf versuchten Rechtsradikale, ihre Parolen zu verbreiten. Doch die Sorgen, mit dem Einzug der Flüchtlinge würden Kriminalität, medizinische Versorgungsengpässe oder eine Spaltung der Bevölkerung einhergehen, haben sich nicht bewahrheitet. „Die Welle der Hilfsbereitschaft, die durch unseren Landkreis gegangen ist, war überwältigend. Vorfälle gab es keine“ sagt etwa Thomas Kamm, Bürgermeister von Siegsdorf in einem Interview. Vor einem Jahr musste seine Gemeinde innerhalb weniger Tage mehrere Hundert Flüchtlinge aufnehmen. Inzwischen wurden sie auf die gesamte Region verteilt.
Und so gibt es trotz aller Herausforderungen für die Kommunen nach den Recherchen für mich das gute Gefühl, dass ich auch meinen Nachbarn und Bekannten im Ort ruhigen Gewissens sagen kann, dass ihre Ängste meist unbegründet sind. Dass die Parolen der Rechten auf die Realität treffen und sich dadurch erledigen werden. Dass eine Zivilgesellschaft, wie sie sich in vorbildlicher Weise gerade in meinem Ort und in tausenden anderer Kommunen in Deutschland formiert, die Kraft hat, den Sorgen und Nöten der Menschen zu begegnen. Und das vor allem eines wichtig ist: Die Menschen bei uns als Neubürger – und nicht als Ausländer – Willkommen zu heißen!

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