Gewalt gegen Ehrenamtliche
Es droht der Kollaps im Ehrenamt
„Die Phase bevorstehender Säuberungen wurde mit Walter Lübcke eingeleitet“. Das ist ein erschreckendes Original-Zitat aus Drohbriefen, die vor wenigen Tagen die Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein und die Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reeker erhalten haben. Beide wurden ja bereits Opfer von Messerattacken. Und sie sind keine Einzelfälle. Rund 900 andere Städte und Gemeinden in Deutschland haben Erfahrungen mit körperlicher Gewalt gemacht. Sehr häufig die Bürgermeister selbst, oft auch Gemeindevertreter und immer häufiger Mitarbeiter der Verwaltung. Diese dramatischen Zahlen lassen sich aus unserer neue Umfrage unter mehr als 1000 Bürgermeistern klar ablesen. Vor gut zwei Jahren haben wir den Bürgermeistern die gleiche Frage schon einmal gestellt. Das Ergebnis: Die Zahl der körperlichen Übergriffe ist seither um 25 Prozent gestiegen. Aus den verbalen Anfeindungen der Jahre 2015 und 2016 sind immer häufiger Taten geworden. Die verbale Radikalisierung hat dazu geführt, dass mehr Menschen auch vor körperlicher Gewalt nicht mehr zurückschrecken.
Wir erleben Staatsversagen und politische Untätigkeit
Die Verrohung der Sprache, die nun in Sonntagsreden von allen Seiten massiv und oft nicht weniger verbal aggressiv angeprangert wird, ist aber nur ein Mosaikstein.Weitere, mindestens ebenso wichtige Bausteine sind Staatsversagen und fehlende politische Konsequenzen.
Beginnen wir beim Staatsversagen: Nach dem Mord an dem Regierungspräsidenten Walter Lübcke glänzte der Verfassungsschutz vor allem mit Schweigen. Der mutmassliche Täter sei seit 10 Jahren nicht mehr auffällig geworden, hieß es. Daher sollen Akten vernichtet worden sein. Erst als Medien berichteten, dass der vermutliche Täter zuletzt im März beim Besuch eines verbotenen Neonazi-Netzwerks fotografiert wurde, hieß es: Die Akten existieren doch noch. Wie soll ein Bürgermeister, wie soll ein Ehrenamtlicher oder ein Hauptamtlicher in einer Kommune Vertrauen zum Verfassungsschutz haben, wenn Akten erst verschwunden sind und dann, oh Wunder, doch wieder auftauchen? Wie soll Vertrauen entstehen, wenn bekannt wird, dass Neonazi-Netzwerke offenbar Todeslisten mit Namen, Telefonnummern und Adressen von unliebsamen Personen führen? 35.000 Namen sollen dem Verfassungsschutz bekannt sein, 10.000 allein im Zusammenhang mit den NSU-Morden. Die potentiellen Opfer wissen davon seit Jahren meist nichts. Auch Walter Lübcke soll übrigens auf einer dieser Listen gestanden haben.
Kommen wir damit zur Verantwortung der Politik:„Im Rahmen des Kommunalwahlkampfes patroullierte eine Menschenmenge mitten in der Nacht in Zweiergruppen vor meinem Grundstück, vor meinem Haus und brüllte Hassparolen. Damals waren unsere Kinder sieben und neun Jahre alt“. Das berichtet im Gespräch mit KOMMUNAL etwa Holger Frase, Bürgermeister der 6400 Einwohner Gemeinde Adelebsen in Niedersachsen. Kein Einzelfall, ähnliche Aussagen haben im Rahmen unserer Recherchen zahlreiche Kommunalpolitiker gemacht. Reden wollen Sie mit uns oft nur im Vertrauen, haben Angst vor Repressionen. Denn geholfen wird ihnen von öffentlicher Seite kaum. So blieb auch Frase nur eine Möglichkeit: „Mittlerweile habe ich eine Kameraüberwachung mit Aufzeichnung und Datenübermittlung auf meinem Smartphone installiert, was insbesondere das Sicherheitsgefühl meiner Frau gestärkt hat“. Von offizieller Seite kommt kaum bis gar keine Unterstützung für die Betroffenen. Selbst ein Satz wie: „Ich kenne den Schulweg deines Sohnes“ gilt rechtlich bisher noch nicht als direkte Morddrohung, wird von der Polizei oft nicht verfolgt. Zum Vergleich: Wird ein Wahlplakat beschmiert, übernimmt der Staatsschutz.
Was von Experten seit Jahren gefordert wird, von der Politik aber nicht umgesetzt wird, ist ein Straftatbestand „Politiker-Stalking“. Warum eigentlich nicht? Ist es nur Untätigkeit oder wem will der Bundestag mit der Nichteinführung nicht auf die Füße treten?
Ehrenamt retten, zentrale Anlaufstelle schaffen
Noch wichtiger und vor allem effektiver wäre, endlich eine zentrale Anlaufstelle für Beschimpfungen und Übergriffe zu schaffen.Der neueste Bericht des Verfassungsschutzes zählt fast 13.000 gewaltbereite Rechtsextremisten. Er tut aber weiter so, als wären das alles Einzelfälle, die nichts miteinander zu tun haben. Diese Neonazis vernetzen sich aber, sei es in Kameradschaften, im Internet, bei Facebook, in Foren oder in Chats. Eine zentrale Anlaufstelle für Kommunalpolitiker könnte sehr viel besser mögliche Netzwerke aufdecken, Zusammenhänge erkennen, Gemeinsamkeiten recherchieren, gemeinsam agieren. Spätestens der jüngste Drohbrief an einige Bürgermeister mit dem Zitat „die Phase bevorstehender Säuberungen wurde eingeleitet“, sollte den Bundesländern Warnung genug sein. Es gibt diese Netzwerke! Die Netzwerke des Staates müssen besser und effektiver sein, als die der Neonazis.
Wenn die Hetze, wenn die Drohungen und wenn die körperlichen Übergriffe nicht schnellstens massiv sinken, droht auch der Kollaps des Ehrenamtes in Deutschland. „Für ein Taschengeld will ich keinen Märtyertod sterben“, formuliert es etwa der SPD-Vorsitzende im Radeberger Land in Sachsen. Er hat sich inzwischen als Mandatsträger im Kreistag von Bautzen zurückgezogen, ist einer der vielen Opfer, die angegriffen wurden. „Wenn Sie Bedrohungen anzeigen, werden Sie auch noch belächelt“, so der frustrierte Ehrenamtler. Er spricht vielen anderen tief aus der Seele. Es ist kein Zufall, dass sich immer weniger Menschen finden, die ehrenamtlich bereit sind, Kommunalpolitik zu machen. Berufspolitiker lassen ausgerechnet die Stützen der Zivilgesellschaft hemmungslos im Regen stehen. Das Sterben des Ehrenamtes droht so zum Flächenbrand zu werden, der Hass ist das Brennmaterial, das „Hände in den Schoss legen“ der Politik der Brandbeschleuniger. Die Demokratie wird zur Feuerstelle!