Hasswelle erreicht die Kommunen

Fast jeder zweite Bürgermeister in Deutschland hat wegen seiner Flüchtlingspolitik schon Beschimpfungen oder Beleidigungen erdulden müssen. Den Verwaltungsmitarbeitern und Hundertausenden ehrenamtlichen Stadt- und Gemeinderäten geht es nicht viel besser. Es ist Zeit, gemeinsam aufzustehen, fordert Christian Erhardt-Maciejewski.

Gegen die Hasswelle gemeinsam aufstehen

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Es ist daher Zeit, gemeinsam aufzustehen. Die Politik muss einschreiten. Doch bisher ist sie auch Teil des Problems. 52 Prozent der deutschen Bürgermeister sind der Meinung, dass sich der Bund in der Flüchtlingsfrage aus der Verantwortung stiehlt. Und nicht nur das: Wenn Politiker in den großen Nachrichtensendungen täglich selbst neue Schreckensbilder malen, von Wirtschaftsflüchtlingen reden, mit Zahlen um sich werfen, statt von Menschen zu sprechen, dann trägt das nicht gerade zu einem deeskalierenden Klima bei. Es hilft auch kein Flüchtlingsgipfel, auf dem endlos diskutiert wird. Die Kommunen erhoffen sich vom Bund endlich ein Integrations- und Förderprogramm, das diesen Namen wirklich verdient. Und das für Neubürger ebenso gilt wie für Menschen, die schon immer bei uns sind. Denn Fakt ist auch: Die Zahl der Übergriffe ist – so die exklusive KOMMUNAL-Umfrage – in den ostdeutschen Bundesländern deutlich größer als im alten Bundesgebiet. Sind es bundesweit 48 Prozent, die beschimpft wurden, liegt dieser Anteil in den neuen Bundesländern bei rund 75 Prozent. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich vorwiegend um Menschen handelt, die sich selbst als Verlierer sehen, Hartz IV tut dann sein Übriges. Auch unter diesen Menschen sind viele, die einen normalen Alltag kaum noch kennen oder verlernt haben, welche Vorteile Teilhabe an einer Gesellschaft und seinen Prozessen haben kann.

Bund und Länder können konkretes tun

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Was konkret können Bund und Länder (38 Prozent der Bürgermeister sagen, auch die Länder nehmen ihre Verantwortung nicht wahr) tun? Die Länder sind zuständig für die Erstaufnahme. Wer diese Massenunterkünfte gesehen hat, weiß, dass Menschen hier oft monatelang zum Nichtstun verdammt sind. Ihre Fähigkeiten, ihre Hoffnungen, ihre Aufbruchsstimmung, die sie im Gepäck hatten, verkümmern hier. Was passiert mit einem Menschen, der monatelang auf engstem Raum mit Fremden in einer Halle ausharren muss? Was Abertausende Flüchtlinge in deutschen Erstaufnahmelagern meist friedlich aushalten, ist beeindruckend. Ich fürchte, ich würde – wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin – beim totalen Verlust von Privatheit, sinnvoller Arbeit, von Familie, Sprache und vielem mehr – innerhalb kürzester Zeit aggressiv, wütend, ja womöglich gewalttätig. Es ist für mich ein Wunder an Friedfertigkeit, das wir in deutschen Flüchtlingsunterkünften in diesen Tagen erleben.

Christian Erhardt:

Doch was ist konkret zu tun? Schweden macht uns vor, wie Integration und Sprachförderung schon im Erstaufnahmelager gelingen kann. Selbst die Vermittlung in Arbeit ist hier vom ersten Tag der Aufnahme an Realität. Was wir brauchen, ist eine Sprachförderung aus einem Guss, ein bundesweites Programm – zentral organisiert und finanziert vom Bund. Dazu muss der Bund in ein breit angelegtes und für viele Zielgruppen offenes Bildungsangebot investieren und zu Beginn auch Arbeitsplätze subventionieren – denn eine Beschäftigung ist und bleibt der Schlüssel zur Integration. Zu tun gibt es in Deutschland bekanntlich genug – regional jedoch sehr unterschiedlich. Daher wird auch kein Weg daran vorbeiführen, Icon_S.06_02Einwanderer da anzusiedeln, wo entsprechende Arbeitskräfte gebraucht werden. Aus kommunaler Sicht gilt: Ehrenamtliche Arbeit kann genauso wertvoll sein, wie Erwerbsarbeit. Wer die Zivilgesellschaft stärken will, tut daher gut daran, auch seine Neubürger möglichst schnell für das Ehrenamt zu begeistern und einzubinden. Warum nicht – wie die Stadt Trier – eine Weinkönigin küren, die ihre Wurzeln in Syrien hat? Ein hervorragendes Beispiel für alle, die immer von Integration reden und es problematisieren – die Realität hat die Sonntagsreden an vielen Stellen, wie etwa in Trier, ohnehin schon lange überholt.

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