Die Altstadt von Meissen - auch hier spielt Ideologie in der Kommunalpolitik eine immer größere Rolle
Die Altstadt von Meissen - auch hier spielt Ideologie in der Kommunalpolitik eine immer größere Rolle

Stadtrat aus Meißen

Gastkommentar: Sacharbeit statt Ideologie in Kommunen leben

Mit seinem Plädoyer für weniger "Ideologie" und mehr "Sacharbeit" vor Ort hat KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt in der vergangenen Woche viele Reaktionen ausgelöst. Er forderte ein "Anti-Modell" vor Ort zur Politik auf Landes- und Bundesebene. Mit einem ausführlichen Kommentar hat sich auch ein Stadtrat aus Meißen daraufhin an uns gewandt und seine Sicht der Dinge vor Ort in Sachsen beschrieben. Er sieht die Kommunalpolitik in Gefahr, wenn Kommunen zunehmend zu ideologischen Spielwiesen werden.

Als ich im Sommer 2009 mit 21 Jahren das erste Mal in den Meißner Stadtrat gewählt wurde, kam vor der Sitzung der damalige Fraktionsvorsitzende der Linkspartei zu mir und sagte: "Herr Bahrmann, wir leben in einer Stadt mit vielen unterschiedlichen Interessenlagen. Uns geht es in unserer Arbeit immer um die Stadt und die Menschen, die hier leben. Ideologie oder persönliche Befindlichkeiten haben auf dieser Ebene nichts zu suchen." Es hat mir imponiert, dass einer der langjährigsten und erfahrensten Stadträte einer Partei, mit der mich inhaltlich nicht viele Schnittmengen verbinden, zu mir kam und auf Augenhöhe und ohne ideologische Scheuklappen über die Entwicklung der Stadt gesprochen hat. Im Laufe meiner Tätigkeit hat sich bei mir ein großer Respekt für den Herrn und seine Art die Stadt zu sehen entwickelt. Wenn man etwas mit ihm besprochen hat, so hielt diese Vereinbarung. Auch bei schwierigen Entscheidungen, die durchaus für Gegenwind in der Bürgerschaft sorgten, argumentierte er standhaft für die Interessen der gesamten Stadt, welche zu diesem Zeitpunkt knapp an einer Zwangsverwaltung vorbeigeschrammt war. Seine Partei spielte dabei nie eine Rolle. Er ließ sich sogar von besseren Argumenten überzeugen und ging ehrlich und offen auf die anderen Fraktionen zu, wenn es Probleme zu lösen galt. Nach einer Sitzung saß man dann über die Parteigrenzen zusammen beim Bier und hat sich über dies und jenes unterhalten. 

Ideologie setzt sich aber auch vor Ort seit Jahren immer stärker durch 



Ich gestehe, ich vermisse diese Zeit. Es ist nur wenige Jahre her, aber der Ton und die Art und Weise, wie die ehrenamtliche Kommunalpolitik verändert hat, lässt mich zunehmend schaudern. 

Man hat verstärkt das Gefühl, dass der motorisierte Verkehr der Feind aller Entwicklung ist. Schlimmer noch: es wird versucht, in jeder möglichen Form dagegen Stimmung zu machen. Wir haben in Meißen ein 90 Jahre altes zentrales Verkehrsbauwerk, welches dringend einer Ertüchtigung durch das Landesamt für Straßenbau und Verkehr bedarf. Es ist eine Steilkurve der Staatsstraße 177, welche das Stadtgebiet mit der A4 verbindet. In der Stadt ist diese bekannt als "Plossenkurve".

Aktuell ist es in diesem Nadelöhr nicht möglich, dass große Fahrzeuge wie LKW oder Busse in entgegengesetzter Fahrtrichtung aneinander vorbeifahren können. Noch dazu ist die Steigung so enorm, dass LKW, welche stadtauswärts unterwegs sind und verkehrsbedingt vor der Spitzkehre halten müssen, mit dem Anfahren und Manövrieren um die Kurve regelmäßig Probleme bekommen.

Das Ergebnis ist sehr häufig ein kilometerlanger Stau in beide Fahrtrichtungen, bis die Fahrzeugführer entweder aus eigener Kraft oder mit Unterstützung durch Schleppfahrzeuge ihre Gefährte wieder in Bewegung bekommen.

Nach Jahren der Planungen sowohl auf kommunaler als auch Landesebene und der umfassenden Bürgerbeteiligung, soll es nun in die nächste Phase gehen und die Ertüchtigung der Plossenkurves endlich vorankommen.

Hiergegen stellen sich nun allerdings erhebliche Teile, des zumeist linken politischen Spektrums. Es wird agitiert und der Verkehr generell verteufelt. Der "Plossenausbau" verhindere Stadtentwicklung, ist schuld an leerstehenden Immobilien in der Stadt, trage zur Luftverschmutzung bei und würde ein vielfaches an zusätzlichem Schwerverkehr in die historische Altstadt führen. Überhaupt wäre eine Landesgartenschau, in deren Gebiet der Verkehr gänzlich verboten sei, doch ein wünschenswertes Ziel. Das es sich bei dem AUSBAU lediglich um eine Kurvenverbreiterung und Anbringung einer Fahrradspur handelt, wird wissentlich verschwiegen. Es wird so getan, als handle es sich um einen vierspurigen Ausbau. So werden Ängste bei den Anwohnern geschürt und die Bevölkerung bewusst gespalten.

Gesetze werden auch mal ignoriert zugunsten ideologischer Forderungen 



Nun muss man wissen, dass durch Meißen zwei Bundesstraßen führen und die Stadt als Mittelzentrum recht nahe an zwei Autobahnen liegt. Zudem sind wir ein Touristenmagnet. Große Teile der Gewerbetreibenden im Stadtzentrum sind auf die Bedürfnisse von Lang- oder Kurzzeittouristen fokussiert. Diese kommen häufig entweder mit dem motorisierten Individualverkehr, oder schweren Reisebussen in die Stadt. Eine Sperrung des Plossen würde also nicht für weniger Verkehr sorgen, sondern diesen nur anders verteilen. Wie es dann den Anwohnern auf den übrigen Strecken oder der Tourismuswirtschaft ergeht, fragt keiner. 

Wenn man den Verkehr schon nicht ganz unterbinden könne, dann muss der Oberbürgermeister eine Tonnagebegrenzung erlassen, so die Position. Das dies nach § 45 Abs. 9 StVO nicht möglich ist, interessiert nicht, wie auch sachliche Argumente und Fakten nicht mehr interessieren.

Dies ist aber nur einer der ideologisch aufgeladenen Fälle.

An anderer Stelle wird im Rat verhindert, dass ein privater Bauunternehmer, auf seinem eigenen Grundstück Wohnraum schaffen will. Eine Fraktion begründet dies in der Öffentlichkeit damit, dass man dem Bauherren den "unternehmerischen Erfolg nicht gönnt". Es werden Gerichtsurteile des BGH angezweifelt oder gutachterliche Studien zu Umweltbelangen oder Klimafaktoren wie so genannten Frischluftschneisen als unglaubwürdig deklariert. Man glaubt nur das, was zur eigenen Agenda passt.

Ein Stadtrat erzählte unter Zeugen und in der Öffentlichkeit, dass ihm Recht und Gesetz egal seien, sondern nur (sein) gesunder Menschenverstand zähle. Es kann einfach nicht sein, was nicht sein darf. Missgunst, Neid und Ideologie, sind zur Triebfeder politischer Entscheidungen, oder Verhinderungen, geworden. Das dafür in der Zukunft der Bürger bezahlen muss, wird dabei vergessen oder geflissentlich ignoriert.

Meißen ist in Sachen Ideologie leider kein Einzelfall 



Nun könnte es sein, dass diese spezielle Situation ein Problem Meißner Kommunalpolitik ist. Leider höre ich dies aber zunehmend auch aus anderen Städten und Gemeinden. Es wird mit Halbwissen und Kompromisslosigkeit agiert, um seine Positionen durchzusetzen. Es herrschen ähnliche Grabenkriege und der Respekt im Umgang und mit anderen Meinungen lässt zunehmend nach. Das macht mir große Sorgen für die Zukunft. Die Wähler wenden sich zunehmend ab und wer möchte sich unter diesen Umständen noch zur Wahl stellen und für seine (anderen) Überzeugungen zum Wohle der Stadt und Gemeinde eintreten?

Hier gehts zum Original-Kommentar von Christian Erhardt