Berlin
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Neue Bundesregierung

Zukunft wird aus Zuversicht gemacht

Es war ein Wahlkrimi - erstmals in der deutschen Geschichte wurde ein Bundeskanzler erst im zweiten Wahlgang gewählt. Doch nun ist Friedrich Merz im Amt - und die neue Bundesregierung kann starten. Unser Zukunftsforscher sieht eine ganz grundsätzliche Frage, die nicht nur die neue Regierung, sondern die gesamte Gesellschaft beantworten mus: "Wollen wir gemeinsam nach vorne in eine bessere Zukunft – oder zurück in eine Vergangenheit, die es so nie gab?" Warum uns die neue Koalition die wichtigste Entscheidung nicht abnehmen kann – eine Analyse von Zukunftsforscher Daniel Dettling.

Die Zeiger der Zukunft sind in Deutschland auf Niedergang gestellt. Klima, Kriege und Konstrukteure der Angst wie Putin, Trump und andere Despoten haben den meisten Deutschen in den letzten zehn Jahren die Stimmung gründlich verdorben. Hat die Zuversicht noch eine Zukunft? Was wird aus der nächsten Generation in Deutschland, der Jugend? Weniger als die Hälfte der Deutschen glaubt, dass junge Menschen Grund zur Zuversicht haben können. Vor 10 Jahren war das noch komplett anders: 2015 schätzen fast drei Viertel der Deutschen die Zukunftsaussichten der Jüngeren als sehr gut oder einigermaßen gut ein (Quelle: Institut für Demoskopie, Allensbach). Das Land brauche „neue Zuversicht“, fordert Friedrich Merz, der frisch gewählte Bundeskanzler. Die neue Bundesregierung werde „reformieren und investieren“, um das „Land zu neuer Stärke zu führen.“ Dass der bislang kleinsten Großen Koalition die Wende gelingen wird, glaubt nur eine Minderheit im Land.

Der vermeintliche Glanz der Vergangenheit

Gegen die weitverbreitete Resignation und den Alarmismus des „Es ist fünf vor 12“ braucht es neben besseren wirtschaftlichen Zahlen eine Haltung, die der Zukunftsforscher Matthias Horx das „Trotzdem-Prinzip“ nennt. Und, damit verbunden, den Kampf gegen Despoten und Reaktionäre, die sich nach der intakten Welt eines eingebildeten Goldenen Zeitalters zurücksehnen. Der in den USA lehrende Ideenhistoriker Mark Lilla hat ihre Ideenwelt 2018 in seinem Buch "Der Glanz der Vergangenheit" beschrieben: Reaktionäre Populisten kämpfen gegen den humanen Fortschritt und die Aufklärung. Jeder größere soziale Wandel bedeutet für sie und ihre Anhängerschaft die Vertreibung aus dem Paradies. Die Grundbefindlichkeit des reaktionären Populismus ist die politische Nostalgie des „Früher war alles besser“. Zur Zukunft, das lehrt die Geschichte, haben Reaktionäre rein gar nichts beizutragen.

Zuversicht

Klima, Zuwanderung, Europa: eine bessere Zukunft ist näher als wir glauben

Der Kampf gegen die Krisen unserer Zeit und die Profiteure des Nieder- und Untergangs ist nicht verloren, im Gegenteil: Eine bessere Zukunft ist näher und wahrscheinlicher geworden als wir glauben wollen. Das zeigen die Themen Klima, Zuwanderung und Europa.

Beispiel Klimakatastrophe. Trotz des erneuten Ausstiegs der USA aus dem Pariser Klimaabkommen sinken in fast allen Industrienationen die CO₂-Emissionen. Europaweit ist die Kapazität für Wind- und Sonnenstrom in den letzten fünf Jahren mit dem „Green Deal“ um fast zwei Drittel gewachsen. Ein Fünftel der Produktion aus fossilen Brennstoffen wie Gas und Kohle konnte ersetzt werden. In Deutschland beträgt der Anteil der Erneuerbaren Energien inzwischen 60 Prozent und steigt jedes Jahr um sechs Prozent. Das Ziel von 80 Prozent wird voraussichtlich vor 2030 erreicht. Zwei Drittel der Neubauten werden hierzulande mit Wärmepumpen betrieben. Die meisten Indikatoren der Energiewende verlaufen heute exponentiell. Der Absatz von Elektroautos steigt weltweit enorm an, vor allem in China, das mehr Wind- und Sonnenenergie produziert als Europa und die USA zusammen und den Anteil zuletzt um 40 Prozent gesteigert hat. Erstmals seit der Corona-Pandemie sind Chinas CO₂-Emissionen in diesem Jahr gesunken.

Beispiel Zuwanderung. „Wir haben unterschätzt, wie sehr Zuwanderung eine Zumutung ist“, so Cem Özdemir, der Berlin nach 20 Jahren Bundespolitik Richtung Baden-Württemberg verlässt. Trotz der Aufregung um Zuwanderung mehren sich die Integrationserfolge. Einwanderung war das große Aufregerthema im letzten Bundestagswahlkampf. Das ganze Land diskutiert darüber, wer bleiben soll, wer gehen muss und wie Integration besser gelingt. Mehr als 15 Millionen Eingewanderte leben in Deutschland. Ihre Integration in den Arbeitsmarkt beschleunigt sich. 

Der Anteil ausländischer Beschäftigter hat sich seit 2010 auf rund 5,5 Millionen mehr als verdoppelt. Der Zuwachs an Beschäftigung erfolgt heute ausschließlich durch Ausländer. Ohne Fachkräfte aus dem Ausland würde das deutsche Gesundheitswesen zusammenbrechen. Die Zahl von ausländischen Medizinern ist seit 2000 auf über 50.000 gestiegen, ein Plus von 673 Prozent. Grund sind insbesondere Erfolge bei der Sprachförderung. Fast zwei Drittel der Eingewanderten, die seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, sprechen fließend Deutsch. Von den rund sechs Millionen muslimischer Menschen hat mehr als jeder Zweite den deutschen Pass. Bei der Bundestagswahl wählten nur sechs Prozent von ihnen die AfD. Fast zwei Drittel der Mieter mit Migrationshintergrund wollen einer aktuellen Befragung nach im Wohneigentum leben. In der jüngeren Generation und Familien mit Kindern sind es sogar 80 Prozent.

Beispiel Europa. Trotz der Wiederwahl Donald Trumps und dem Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine steigt die Zustimmung der Bürger zu Europa. Über 50 Prozent vertrauen der EU, der beste Werte seit fast 20 Jahren. Mehr als zwei Drittel der Europäer sind für eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die NATO, das westliche Verteidigungsbündnis, hat heute mehr Mitglieder als je zuvor. Als Trump mit seiner Zollpolitik Anfang des Jahres Nachbarn wie Kanada, das er als weiteren US-Bundesstaat sieht, zu erpressen, schlug der frühere deutsche Außenminister Sigmar Gabriel vor, das Land in die EU aufzunehmen. Immer mehr Staaten wollen EU-Mitglied werden. Europa wird souveräner und rüstet auf, militärisch, digital und ökonomisch. Fast 800 Milliarden Euro will die EU in den kommenden Jahren in ihre Verteidigungsfähigkeit investieren. Zehntausende neue Jobs entstehen in der Rüstungsindustrie. Deutsche Unternehmen gehören auch hier zu den Weltmarktführern.

Der Kampf gegen die Krisen unserer Zeit und die Profiteure des Nieder- und Untergangs ist nicht verloren.“

Dr. Daniel Dettling, Zukunftsforscher

Mindset ändert sich

Jeder Trend erzeugt irgendwann einen Gegentrend. Das momentane Rollback, das Zurück in die Vergangenheit des fossilen, homogenen und nationalen Zeitalters, wird schneller vergehen als viele glauben. Die liberale Demokratie ist stärker und widerstandsfähiger als jede Staatsform, wirtschaftlich wie gesellschaftlich. Die normative Kraft des Wandels ist auf ihrer Seite. Die soziale und ökologische Transformation wird zur neuen Normalität. Das Mindset, die mentale Bewertung der Veränderungen, ändert sich: weg von Wut und Hass auf „die da Oben“ hin zu einem „Trotzdem“. Freundlichkeit schlägt Missmut, Konstruktivität Ignoranz.  Die rechtsextremistischen Unternehmer des Niedergangs müssen nicht verboten werden, sie werden auch so verlieren. „Schritt für Schritt, Jahr um Jahr wird die Welt besser“, schrieb der schwedische Arzt und Professor für Internationale Gesundheit Hans Rosling in seinem letzten Buch („Factfulness. Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist“).

Wir leben im besten Deutschland, das wir je hatten. Die Entscheidung, vor der wir stehen, kann uns die neue Regierung nicht abnehmen. Wir müssen uns gemeinsam entscheiden: Wollen wir nach vorne in eine bessere Zukunft oder zurück in eine Welt, die es nie gab?

Dr. Daniel Dettling, ist Politikwissenschaftler und Zukunftsforscher.

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