
Allein in Männerland
Frauen sind Mangelware in der Politik
Antworten auf diese und ähnliche Fragen gibt eine aktuelle Studie der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF), die im Auftrag der Bundesbeauftragten für die neuen Bundesländer entstanden ist. Für ihre Untersuchung haben Helga Lukoschat und Jana Belschner Fachliteratur ausgewertet und 60 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus allen Regionen Deutschlands befragt. Mit eindeutigem Ergebnis: Bürgermeisterinnen sind in Deutschland Mangelware. Nur jedes zehnte Rathaus wird von einer Frau regiert. Damit liegt der Anteil noch unter dem von Top-Managerinnen in der Wirtschaft. Am präsentesten sind die Frauen in Städten mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern. Der Frauenanteil liegt hier immerhin bei knapp 18 Prozent. In Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern liegt der Anteil der Rathaus-Chefinnen hingegen bei gerade mal 7,7 Prozent. Auch in den Gemeindegremien sind Frauen in der Minderheit: Gerade mal ein Viertel der Mitglieder sind weiblich. Ähnlich deprimierender ist die Situation bei den Landratsposten: nur 9,5 Prozent werden von einer Frau bekleidet.
Chefin zu sein ist ein Knochenjob
Zahlen, die nicht nur Oberbürgermeister Christian Schramm, der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, beunruhigend findet. „Ein höherer Frauenanteil ist nicht nur aus demokratischen Gesichtspunkten wichtig, sondern auch, weil Frauen Kompetenzen, Sichtweisen und Alltagserfahrungen in die Kommunalpolitik einbringen können, die für die Herausforderungen, vor denen die Kommunen aktuell stehen, absolut notwendig sind“, sagte er beim Kongress „Frauen führen Kommunen – Bürgermeisterinnen in Ost und West“ in Berlin. Die Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden müssten alles in ihrer Macht Stehende tun, um es Frauen besser zu ermöglichen, ein kommunalpolitisches Mandat zu übernehmen und ausfüllen. „Dazu gehört insbesondere eine bessere Vereinbarkeit von Familie und politischer Arbeit.“
Eine Forderung, die auch die beiden Autorinnen der Bürgermeisterinnen-Studie stellen. „Chefin einer Kommune zu sein, ist ein Knochenjob, den Frauen mit kleinen Kindern schwer meistern können“, sagt Helga Lukoschat. Hinzu komme eine männlich dominierte Parteikultur mit langen Sitzungen und anderen Abend- oder Wochenendterminen. „Viele Frauen fühlen sich davon abgeschreckt.“
An Bürgermeisterinnen werden höhere Ansprüche gestellt
Auch Barbara Bosch, seit 2003 Oberbürgermeisterin der Stadt Reutlingen, kann ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, Familie und Job unter einen Hut zu bekommen. „Ähnlich wie in Unternehmen gibt es auch in den Kommunen Regeln und Regelwerke, die auf die typische Lebenssituation eines Mannes ausgerichtet sind. Wenn ich mir meine Kollegen in Baden-Württemberg anschaue, dann sind das durchweg Kollegen mit dem klassischen Lebensmodell: Ehefrau zu Haus, versorgt Haushalt, Kinder und weiß alle Geburtstage im Familienkreis.“ Ein Lebensmodell, das Bosch ausdrücklich nicht geringschätzen möchte. „Aber es ist signifikant, dass die Kollegen zu Hause die Absicherung haben, dass die Kolleginnen aber – mich eingeschlossen – berufstätige Männer haben, die in Vollzeit arbeiten.“
Viele Frauen, so ein weiteres Ergebnis der Studie, seien gar nicht erst bereit, sich auf die „Männerdomäne“ Kommunalpolitik und die dort geltenden Spielregeln einzulassen. „In den Führungspositionen von Unternehmen wie auch von Kommunen ist das Beherrschen der männlichen Codes und Verhaltensweisen notwendig. Wer ausschert, wird als Bedrohung des Systems“, sagt Barbara Bosch.
Ingeborg Wagenführ, die sich 2009 mit Erfolg für das Bürgermeisteramt der Einheitsgemeinde Osterwrieck bewarb, geht noch einen Schritt weiter: Sie ist der Meinung, dass an Bürgermeisterinnen höhere Erwartungen gestellt werden als an ihre männlichen Kollegen. „Man unterstellt uns, dem Bild des erwarteten Führungsstils eines Mannes zu folgen. Und das ist natürlich nicht der Fall. Man testet Frauen länger aus, das würde man bei Männern nicht machen.“
Jana Belschner, eine der beiden Autorinnen der EAF-Studie, wiederum weiß von einer Bürgermeister-Kandidatin zu berichten, die sich in der heißen Phase ihres Wahlkampfs fragen lassen musste, wer denn am Sonntag das Essen macht, wenn sie die Wahl gewinnen sollte. Selbst einer der für die Studie befragten Bürgermeister räumt freimütig ein: „Männer dürfen in einem noch so schlecht sitzenden Anzug rumlaufen, noch so übergewichtig und schmierig sein, das spielt alles keine Rolle.“
Förderung von Frauen in der Politik kann gelingen
Um mehr Frauen zu ermutigen, sich kommunalpolitisch zu engagieren, machen sich die Autorinnen der Bürgermeisterinnen-Studie für eine gezielte, kontinuierliche Nachwuchsförderung stark. Insbesondere die politischen Parteien müssten sich stärker um geeignete (junge) Frauen bemühen. Wichtig finden sie auch die Förderung von Netzwerken und Mentoring-Programme. „In der Kommunalpolitik gibt einfach zu wenige weibliche Vorbilder“, sagt Helga Lukoschat.
Eine Feststellung, mit der die Expertin auch Barbara Bosch aus der Seele spricht. Die 56-Jährige wünscht sich, „dass Frauen in Führungspositionen in kommunalen Spitzenämtern nicht immer eine Mischung aus Jeanne d’Arc und Mutter Theresa sein müssen“. Erst wenn eine Frau in einer kommunalpolitischen Führungsposition nicht länger wie ein Mann denken, sich wie eine Dame benehmen, wie ein Mädchen aussehen und wie ein Pferd schuften müsse, könne von echter Gleichberechtigung gesprochen werden.