Fachkräfte über Sprachkurse
Bis zum Jahre 2030 werden Waldeck-Frankenberg laut der hessischen Fach- und Arbeitskräfteinitiative etwa 10.000 Fachkräfte fehlen
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Fachkräftegewinnung

Integration: Wie Waldeck-Frankenberg den Arbeitsmarkt neu denkt

24. Juli 2025
Fachkräftemangel trifft auf Potenzial: Der Landkreis Waldeck-Frankenberg geht neue Wege bei der Integration Zugewanderter in den Arbeitsmarkt – mit einem innovativen Ansatz, der auf persönliche Begleitung statt Bürokratie setzt. Das Pilotprojekt „Berufs- und Sprachscout“ zeigt, wie aus Verwaltungsdenken echte Willkommensstrukturen werden. Ein Modell mit Vorbildcharakter für ländliche Räume – und darüber hinaus. Berufs- und Sprachscout Christopher Max Hechsel und der Integrationsbeauftragte Latif Hamamiyeh Al-Homssi stellen das Projekt im Gastbeitrag vor.

Der Landkreis Waldeck-Frankenberg ist flächengrößter Landkreis Hessens und ein dynamischer Standort mit einem breiten Spektrum an Möglichkeiten für globale Marktführer, innovative Mittelständler und Start-ups. Diese Vielfalt und das malerische Umfeld zwischen Seen, Schlössern und winterlichen Sport- und Erlebniswelten schaffen ein inspirierendes Umfeld für unternehmerisches Wachstum und ein attraktives Leben auf dem Land. Oder wie wir von der Kreisverwaltung sagen: Hier lässt es sich gut leben!

Bis 2030 fehlen im Landkreis Waldeck-Frankenberg rund 10.000 Fachkräfte

Dennoch stehen auch wir in Waldeck-Frankenberg unter dem Einfluss nationaler und globaler Entwicklungen. Eine der größten Herausforderungen, mit denen wir uns in den letzten Jahren konfrontiert sehen, ist der hohe Bedarf an qualifizierten Nachwuchs-, Fach- und Arbeitskräften. Bis zum Jahre 2030 werden Waldeck-Frankenberg laut der Hessischen Fach- und Arbeitskräfteinitiative etwa 10.000 Fachkräfte fehlen. 

Zeitgleich erreichen regelmäßig Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern im Zuge bekannter Migrationsbewegungen den Landkreis. Diese Zuwanderung bietet ein enormes Potenzial, um den lokalen Arbeitsmarkt zu stärken und den Bedarf an Arbeitskräften zu decken.

Wie können wir dieses Potenzial optimal nutzen?

Um Potenziale optimal zu nutzen, haben wir ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, bei dem wir als Fachstelle Migration und Integration gemeinsam mit Kooperationspartnern wie der Kreisvolkshochschule, der Kreishandwerkerschaft und der Robert-Bosch-Stiftung im Rahmen des Programms Land.Zuhause.Zukunft ein Konzept mit dem Fokus auf Integration in das Handwerk erprobt haben. Die anschließende Evaluation machte deutlich, was sich im Laufe des Projektes abgezeichnet hat: Wir haben es mit einem enormen Defizit in der unmittelbaren Betreuung und Begleitung neu zugewanderter Personen in den lokalen Arbeitsmarkt zu tun. Die Angebotslandschaft, die aus einem Verwaltungsdenken heraus entwickelt wird, erreicht in Teilen die Zielgruppe nicht.

Latif Hamamiyeh Al-Homssi, Integrationsbeauftragter

Arbeitgeber erhalten eine Ansprechperson in der Verwaltung und damit den Schlüssel für eine direkte Begleitung und Unterstützung."

Latif Hamamiyeh Al-Homssi, Integrationsbeauftragter

Eine Etablierung auf dem Arbeitsmarkt benötigt eine engmaschige Begleitung, Perspektiven für eine langfristige Beschäftigung sowie einen Fokus auch auf die soziale Integration in das Lebensumfeld. Hinzu kommen bürokratische Hürden und ein damit verbundener, als zu hoch empfundener Aufwand für Arbeitgeber und aus Sicht der Unternehmen zu Teilen undurchlässige Verwaltungsstrukturen.

Eine Ansprechperson in der Verwaltung

Unsere Lösung: Eine zuständige Person mit pädagogischem Fokus auf die Potenziale der Zielgruppe. Bei der Beratung wird Stück für Stück ein Portfolio der Chancen und Möglichkeiten erarbeitet, die sich im Landkreis ergeben.  Ziel ist eine Herangehensweise frei von statistischen Zielsetzungen, Verweisen durch den Maßnahmendschungel oder immer wiederkehrende negative Bewerbungserfahrungen. Zudem erhalten Arbeitgeber eine Ansprechperson in der Verwaltung und damit den Schlüssel für eine direkte Begleitung und Unterstützung.

Christopher Max Hechsel, Berufs- und Sprachscout

Besonders im Fokus stehen Personen, die nicht aus dem SGB II kommen und eine gute Bleibeperspektive haben."

Christopher Max Hechsel, Berufs- und Sprachscout

Bisherige Erfahrungen des Berufs- und Sprachscouts

Kann eine Kreisverwaltung, die keine Optionskommune ist, so die Integration in den lokalen Arbeitsmarkt aktiv gestalten? Als neuer Berufs- und Sprachscout in Waldeck-Frankenberg war es mir zu Beginn wichtig, die allgemeinen Strukturen und Abläufe transparent zu gestalten. Ein zentraler Aspekt meiner Arbeit ist die fachdienstübergreifende Zusammenarbeit und als Bindeglied zwischen den Behörden, Fachdiensten und Unternehmen im Landkreis zu wirken, denn von Anfang wurde deutlich – es geht nur gemeinsam!

Besonders im Fokus stehen Personen, die nicht aus dem SGB II kommen und eine gute Bleibeperspektive haben. Ich verfolge den Ansatz, frühzeitig nach der Zuweisung und der Unterbringung einen Kontakt zur Zielgruppe herzustellen. So konnten bereits zu Beginn meiner Tätigkeit erfolgreiche Vermittlungen in maßgeschneiderte Maßnahmen realisiert werden. Dabei habe ich die Schnittstellen zu den Fachdiensten Ausländerwesen, Jugend und Soziales genutzt, um einen gemeinsamen Austausch zu fördern.

Im Laufe der Monate habe ich wertvolle Verbindungen zu relevanten Akteuren aufgebaut. Parallel dazu wurden externe Netzwerke aktiviert, um die bestehenden Synergien in Waldeck-Frankenberg besser zu koordinieren.

Unter anderem stellte sich heraus, dass die Situation bezüglich der Anerkennungsberatung von im Ausland erworbenen Qualifikationen netzwerkübergreifend als prekär und überlastend empfunden wird. Daher wurde ein Konzept mit Wegweisern zur Fachberatung und Begleitung für die Anerkennung im Bereich Schule, Hochschule sowie Ausbildung/Beruf erstellt und erfolgreich durchgeführt. Dieser Prozess ist flexibel und wird aufgrund seiner komplexen Einzelfälle kontinuierlich angepasst.

Onlineberatung angeboten

Im Bereich der Berufsberatung wurde ein Verfahren zur Erhebung von Persönlichkeits-Profilen etabliert. So konnte die erste Person bereits nach sechs Wochen in meiner Begleitung in Arbeit übergehen. Die Vermittlung in Ausbildung gelang bei weiteren Personen rechtzeitig, sodass sich diese auch sprachlich auf den Ausbildungsstart vorbereiten konnten. Zusätzlich habe ich eine Onlineberatung eingerichtet, um das Angebot zu erweitern und Beratungsangebote flexibel für den ganzen Landkreis zu ermöglichen. Kurzfristig, unkompliziert und ohne weitere Fahrten.

Die Kontaktaufnahme zu den Unternehmen im Landkreis erfolgte ebenfalls frühzeitig. Es wurden bereits Firmenberatungen durchgeführt. In Planung ist eine Firmen-Enzyklopädie, die als Unterstützung für die tägliche Arbeit in den Netzwerken dient.

Die bestehenden Maßnahmen und Sprachkurse im Landkreis wurden gesichtet, wobei die Bearbeitung des Sprachkomplexes aufgrund des hohen Beratungsaufkommens im Arbeitsmarktbereich weitestgehend in der Fachstelle Migration und Integration erfolgt.

Weniger Verwaltung, mehr Begleitung

Auch der Blick in die Zukunft bleibt nicht auf der Strecke - es gibt nicht nur Info- und Austauschveranstaltungen für Arbeitgeber. Die Gründung neuer Initiativen wie einem Mentoring-Programm für potenzielle Auszubildende und Arbeitskräfte ist bereits in Planung und soll noch in diesem Jahr starten.

Im Hinblick darauf, wie sich der Arbeitsmarkt in Zukunft weiter wandeln und die Integration von Zugewanderten entwickeln wird, gibt es diverse Fragestellungen, die auf anderen Ebenen entschieden und die Situation vor Ort prägen werden.

Eines ist jedoch klar: Der Landkreis Waldeck-Frankenberg hat mit der Stelle des Berufs- und Sprachscouts ein Instrument etabliert, das mit weniger Verwaltung und mehr Begleitung in kurzer Zeit durchgehend Erfolge verzeichnet und die Menschen mit ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten stets in den Mittelpunkt stellt.

Fotocredits: Latif Hamamiyeh Al-Homssi Privat Christopher Max Hechsel Privat