Die Bremer Postboten sollen in Zukunft nach den Senioren schauen

Altenpflege: Postboten kümmern sich um Senioren

16. April 2018
Bremen will seniorenfreundlicher werden – und setzt dafür auf sechs Projekte. Mit wem die Verwaltung dafür eine Kooperation eingeht und wieso sie sich scharfer Kritik stellen muss, lesen Sie hier...

Es fühlt sich an wie eine schwere Wolke, die über dem eigenen Leben schwebt. Eine Wolke, die unablässig auf Motivation, Freude und Glück drückt. Einsamkeit – das Gefühl trifft besonders häufig Senioren. Denn je älter sie werden, desto mehr Freunde verlieren sie durch Krankheit, Demenz oder plötzlichen Tod. Wenn dann auch noch der Ehepartner stirbt oder die Kinder wegziehen, fühlen sich viele vergessen, unbedeutend oder allein. Häufig kommen mit dem Alter körperliche Beschwerden hinzu, sodass viele Senioren ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen können und in ein Pflegeheim ziehen müssen. Doch die Kosten für eine Unterbringung im Heim sind hoch und belasten nicht nur die Kassen des Staates, sondern auch viele Familien. Was also gibt es für Möglichkeiten, um ältere Menschen länger im eigenen Haus leben zu lassen? Und wie kann der Aufenthalt in so einer Einrichtung angenehmer gestaltet werden? Diesen Fragen sind der Bremer Staatsrat Hans-Henning Lühr und der Senior Researcher Professor Herbert Kubicek vom Institut für Informationsmanagement Bremen (ifib) nachgegangen. Und tatsächlich entstanden aus ihren Ideen mehrere Altenpflege - Projekte, die jetzt umgesetzt und vom ifib wissenschaftlich begleitet werden. So sollen die Senioren, die bereits Kunden eines Hausnotrufdienstes sind, zusätzlich bei der Post einen Service buchen können, bei dem die Zusteller die Post persönlich übergeben und sich nach dem Wohlbefinden erkundigen. Fällt dem Postboten etwas Merkwürdiges auf, zum Beispiel, dass die Person über Herzrhythmusstörungen klagt, kaum sprechen kann oder dass niemand die Tür öffnet, ruft er umgehend die Johanniter-Unfallhilfe. Eine medizinische Fachkraft ersetzen soll der Briefzusteller damit aber nicht. Stattdessen soll er sich mehrmals in der Woche mit den Senioren unterhalten.

Neues Projekt soll mehr Ehrenamtliche für die Altenpflege gewinnen!

Die Stadt Bremen will außerdem die organisierte Nachbarschaftshilfe fördern. Dafür werden Freiwillige gesucht, die den Senioren beim Putzen, Einkaufen und Wäsche waschen helfen oder sie zum Arzt begleiten. Für ihr Engagement erhalten die Helfer eine Aufwandsentschädigung von acht Euro pro Stunde und maximal 2.400 Euro pro Jahr. Das Problem dabei: Momentan ist die Nachfrage größer als das Angebot an Helfern. Um mehr Freiwillige zu gewinnen, sollen die Briefzusteller an der Haustür klingeln und die Bremer über das bezahlte Ehrenamt aufklären und ihnen dann eine Postkarte mit allen wichtigen Informationen da lassen. „Wir hoffen, dass wir durch die direkte Ansprache an der Haustür mehr Menschen für die Nachbarschaftshilfe begeistern können und sich pro Stadtteil circa 50 neue Ehrenamtliche melden“, erklärt Professor Kubicek.

Senioren ticken anders als Jugendliche

Doch neben schweren Einkaufstüten oder Putzeimern gibt es noch ein ganz anderes Problem, das im Alltag auf Senioren wartet. Sie brauchen Bargeld – um sich ein Brötchen beim Bäcker zu holen, den Kaffee zu bezahlen oder sich ein Taxi zum Arzt zu rufen. Doch anstatt die Kosten einfach über die Giro- oder Kreditkarte abzubuchen, bezahlen die meisten Senioren lieber in bar, wie eine Umfrage der Deutschen Bundesbank zeigt. Ein Besuch bei der Bank? Lässt sich für viele ältere Menschen gar nicht vermeiden, wenn sie am sozialen Leben teilnehmen wollen. In der Regel finden Bremer alle vier Kilometer eine Sparkassen-Filiale. Doch viele Senioren leiden unter körperlichen Beschwerden und schaffen es deshalb gar nicht mehr zur Bank. Einen Weg aus dem Dilemma hat nun die Bremer Sparkasse gefunden: Die Kunden der Bank können telefonisch Bargeld abheben und bekommen es dann in einem versicherten Wertbrief geliefert.

Der Zugang zu Wissen und Unterhaltung gehört zu einer guten Altenpflege dazu

Das vierte Projekt, das sich an die Bremer Senioren richtet, ist durch eine Kooperation zwischen der Stadtbibliothek und den Altenheimen der Bremer Heimstiftung entstanden. Senioren, die in einem Heim leben, können sich ab Mai online oder telefonisch Bücher, DVDs oder CDs bestellen. Pro Einrichtung wird ein Tablet-PC und ein E-Book-Reader zur Verfügung gestellt. Ein Mitarbeiter der Bibliothek liefert die Medien einmal in der Woche aus. Außerdem soll er den Bewohnern zeigen, wie sie die Geräte benutzen können. „Eigentlich gibt es keine Zielgruppe, für die sich die Digitalisierung mehr lohnen würde als für ältere Menschen. Denn sie könnten sich übers Internet Essen bestellen, Unterhaltung suchen oder einfach nur mit anderen Menschen in Kontakt treten“, weiß Kubicek. Und auch E-Books eignen sich eigentlich hervorragend für Senioren, weil sie während des Lesens an die Buchstaben heranzoomen können. „Doch gerade die Altersgruppe, die die Digitalisierung am dringendsten braucht, weiß oft nicht, wie sie mit der Technik umgehen soll“, bedauert Kubicek. Die regelmäßige Unterstützung soll deshalb denjenigen zugutekommen, die sie am meisten brauchen.

Verwaltungen können Senioren gezielt unterstützen!

Ab Juli können sich die Bewohner von rund 20 Altenheimen direkt vor Ort ummelden. Dafür kommt alle drei Monate ein Mitarbeiter der Verwaltung vorbei. „Zusätzlich haben wir auch das Bürgertelefon in Bremen (115) erweitert, weshalb sich die Einwohner jetzt auch telefonisch Formulare wie zum Beispiel zum Wohnberechtigungsschein anfordern können, die sie dann per Post erhalten. Damit sparen sie sich den Gang zum Amt“, erklärt Staatsrat Hans-Henning Lühr.

Altenpflege neu gedacht: Was will Bremen mit den Projekten erreichen?

Mit diesen Projekten will Bremen erreichen, dass Senioren länger allein in der eigenen Wohnung leben können und dass diejenigen, die bereits in einem Heim wohnen, einen besseren Anschluss an Medien, Wissen und Kultur haben. Doch gerade die Idee mit den Briefzustellern, die nach den Senioren schauen sollen, stößt auf starke Kritik. In Frankreich etwa läuft seit einem Jahr ein ähnliches Projekt. Die Kunden bezahlen 20 Euro dafür, dass der Postbote immer am selben Tag vorbeikommt, um sich mehrere Minuten lang mit dem Kunden zu unterhalten und nachzufragen, wie es der Person so geht. Doch die veränderten Arbeitsbedingungen seien unhaltbar, beschwerten sich viele französische Briefzusteller: Die Mitarbeiter hätten weder genug ärztliches Fachwissen noch genug Zeit, um die Symptome der Senioren richtig zu interpretieren. Und auch die Schulung für die Mitarbeiter sei zu oberflächlich und gehe zu wenig in die Tiefe, kritisierten viele Post-Angestellte. In Deutschland wurde das Projekt bereits in anderen Städten wie Gelsenkirchen und Mühlheim gestartet – jedoch mit wenig Erfolg. Der Service wurde nicht oft genug gebucht und heftig kritisiert. Unter anderem sogar von der Deutschen Stiftung Patientenschutz, die den Service als „Frechheit“ beschimpfte, weil er mit 40 Euro teurer sei als herkömmliche Hausnotrufdienste – und das, obwohl die Post nicht mal am Wochenende bei den Senioren vorbeischaut. Die Folge: Die Projekte wurden nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Doch in Bremen soll es durch die wissenschaftliche Betreuung vom Institut für Informationsmanagement Bremen gar nicht so weit kommen: „Dadurch, dass wir uns ständig mit den Mitarbeitern der Post, der Johanniter-Unfallhilfe, der Stadtbibliothek und den anderen Partnern im Verbund austauschen, beugen wir vor, dass die Projekte erst so lange schieflaufen, dass sie Unmut hervorrufen“, erklärt Professor Kubicek. Und Henning Lühr ergänzt: „Außerdem sollen die Briefzusteller keinen Pflegedienst ersetzen, sondern vielmehr als Ergänzung dazu auftreten. Der Postbote nimmt damit eigentlich nur die Rolle eines aufmerksamen Nachbarn ein, der bemerkt, dass es dem anderen nicht gut geht oder der Briefkasten seit Tagen nicht geleert wurde.“ Wie das Projekt in Bremen jedoch angenommen wird und ob sich dadurch wirklich weniger Senioren einsam fühlen, bleibt mit Spannung abzuwarten. Aber keine Sorge: KOMMUNAL bleibt für Sie auf jeden Fall am Ball.