Frauen im Bürgermeisteramt: In Deutschland sind sie eine Seltenheit. © Reimer - Pixelvario

"Frauen haben oft keine Karrierestrategien"

5. November 2014
Nur jedes zehnte Rathaus in Deutschland wird von einer Frau regiert. Das belegt eine Studie der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF). KOMMUNAL-Redakteurin Ariane Mohl hat mit Jana Belschner, einer der Autorinnen der Untersuchung, gesprochen.

KOMMUNAL: Nur jedes zehnte Rathaus in Deutschland wird von einer Frau geführt. Noch schlechter ist die Situation bei den Landratsposten: Nur 9,5 Prozent der vergebenen Stellen werden von einer Frau bekleidet. Warum interessieren sich so wenige Frauen für Kommunalpolitik? Jana Belschner: In der Tat können vergleichsweise wenige Bürger sich vorstellen, auf der kommunalen Ebene aktiv zu werden. Dies gilt allerdings für Frauen wie Männer gleichermaßen. Schaut man sich die Verwaltungshochschulen an, stellt man fest, dass der Frauenanteil sogar überdurchschnittlich hoch ist. Doch offenbar streben nur wenige Frauen eine kommunalpolitische Führungsposition an. Studien belegen, dass Männer bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt ein konkretes Karriereziel vor Augen haben: Sie wollen Bürgermeister oder Landrat werden und arbeiten zielstrebig darauf hin. Frauen sind zögerlicher und reagieren oft sehr viel stärker auf Impulse von außen. Sie warten darauf, dass sie von ihrer Partei, der Familie oder von Freunden aufgefordert werden, zu kandidieren. Außerdem ist es nach wie vor so, dass die Kultur in vielen Parteien männlich geprägt ist. Und obwohl sich auf diesem Feld in den vergangenen Jahren einiges getan hat, sind es nach wie vor meist die Frauen, die sich für die Kinderbetreuung zuständig fühlen. Viele Frauen haben Angst, Amt und Familie nicht unter einen Hut zu bekommen und verzichten dann lieber auf eine Führungsposition. Untersuchungen legen nahe, dass Frauen bei der Nominierung erst dann zum Zuge kommen, wenn ein Wahlsieg eher unwahrscheinlich ist. Gibt es immer noch zu viele Machos in der (Kommunal-)Politik? Oder sind die Frauen zu zurückhaltend, wenn es um die Spitzenkandidatur geht? Es ist leider tatsächlich so, dass selbst viele hochqualifizierte Frauen, sich das Bürgermeisteramt nicht zutrauen. Während Männer ihre Kampagnen langfristig planen, haben Frauen oft keine Karrierestrategien. Glücklicherweise sind die meisten kommunalpolitisch engagierten Frauen sich heute der Bedeutung von Netzwerken sehr bewusst. Oftmals nehmen sie diese Netzwerke jedoch erst zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt in Anspruch. Von daher muss es auch darum gehen, die Netzwerk-Fähigkeit von Frauen zu fördern. In der Bundes- und Landespolitik ist der Frauenanteil in den vergangenen Jahren stark gestiegen. 36 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind weiblich. Auf kommunaler Ebene sieht das ganz anders aus: Gerade mal 25 Prozent beträgt der Frauenanteil in den Gemeindegremien. Warum klappt es auf Bundes- oder Landesebene besser als in den Kommunen? Die bundes- wie auch die landespolitische Ebene ist sehr viel stärker im Fokus der Öffentlichkeit als das, was in den Städten und Gemeinden passiert. Daher war bzw. ist auch der Handlungsdruck ein anderer. Hinzu kommt, dass viele Parteien zum Teil schon seit Jahren Quotenregelungen haben. Solche parteiinternen Festlegungen haben sich bewährt. Sie sind als Richtungsweisungen wichtig. Die Präsenz von Frauen in politischen Gremien wird als normal und selbstverständlich wahrgenommen. Stichwort Selbstverständlichkeit: Wir haben nun schon seit fast zehn Jahren eine Bundeskanzlerin, auch viele andere politische Spitzenämter sind weiblich besetzt. Wie wichtig sind solche Vorbilder gerade auch für junge Frauen, die mit dem Gedanken spielen, sich (kommunal-)politisch zu engagieren? Sehr wichtig. Unsere Studie hat gezeigt, dass es Frauen oft an Selbstbewusstsein und Zutrauen für das Bürgermeisterinnen-Amt fehlt. Weibliche Vorbilder haben auch die Funktion, potentiellen Kandidatinnen, die noch zögern und zaudern, Mut zu machen. Mindestens genauso wichtig wie Vorbilder sind (weibliche) Netzwerke. Rund ein Drittel der von uns befragten Frauen pflegen informelle Kontakte zu anderen Bürgermeisterinnen im Landkreis bzw. in der Region oder im Bundesland, in dem sie politisch aktiv sind. Von kaum zu unterschätzender Bedeutung gerade für Frauen sind schließlich Mentoren und Mentorinnen. Sie unterstützen die Kommunalpolitikerinnen idealerweise bereits in der Phase der Kandidatur und stehen ihnen auch später zur Seite. Kommunalpolitik ist ein Knochenjob. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben in der Regel eine 60- bis 70-Stunden-Woche. Freie Abende und Wochenenden sind selten. Was halten Sie von Jobsharing- bzw. Teilzeitmodellen in der Kommunalpolitik? Ist das im Bürgermeisteramt überhaupt realistisch? Auf jeden Fall. Es gibt Bürgermeisterinnen, die solche Modelle erfolgreich praktizieren. Zugegebenermaßen ist es nicht leicht, auf diesem Gebiet Vorreiterin zu sein. Bei den Wählern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eine Bürgermeisterin auch Mutter ist und Zeit mit ihren Kindern verbringen will, wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Aber je mehr Bürgermeisterinnen das für sich einfordern, desto selbstverständlicher werden solche Modelle. Erfreulicherweise gibt es ja auch immer mehr junge Männer in der Kommunalpolitik, die Zeit für ihre Familie haben wollen. Von daher betrifft das „Vereinbarkeitsproblem“ im Grunde alle, die sich kommunalpolitisch engagieren. Die befragten Bürgermeisterinnen gaben an, dass an sie höhere Erwartungen gestellt werden als an die männlichen Kollegen – sowohl, was ihr Privatleben als auch was ihr Kommunikationsverhalten angeht. Woher, glauben Sie, kommt das? Und wie kann man dieser Ungleichbehandlung am besten begegnen? In der Tat gibt es noch immer althergebrachte Geschlechterstereotype, mit denen Bürgermeisterinnen auch heute noch konfrontiert werden. Eine Bürgermeisterin aus einer Kommune im ländlichen, konservativ geprägten Raum musste sich fragen lassen, wer bei ihr zu Hause den Haushalt macht, während sie ihrem Job nachgeht. Sätze wie solche sind natürlich nicht nur für die Bürgermeisterin schwierig, die darauf reagieren muss. Sie wirken auch auf andere Frauen abschreckend, die gar nicht erst in die Situation kommen wollen, sich für ihre Lebensführung rechtfertigen zu müssen. Auch in Spitzenpositionen in der freien Wirtschaft gibt es vergleichsweise wenige Frauen. Hier wird seit Jahren über eine Frauenquote diskutiert und zum Teil ja auch bereits umgesetzt. Wäre nicht auch eine Frauen-Quote im Rathaus wünschenswert? Die von uns befragten Bürgermeisterinnen reagierten skeptisch auf die Forderung nach einer Quote. Sehr viel positiver reagierten unsere InterviewpartnerInnen auf Initiativen zur Einführung von Parité-Regelungen. In Frankreich gibt es bereits seit 2001 ein Parité-Gesetz. Der Frauenanteil in den Räten konnte seitdem von etwa 25 Prozent auf mittlerweile fast 50 Prozent gesteigert werden. Egal, wie man zur Quoten-Frage steht: Fest steht, dass die Parteien mehr tun müssen, um kommunalpolitisches Engagement attraktiver zu machen. Eine gemeinsame Kampagne der kommunalen Spitzenverbände könnte ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Die Studie "Frauen führen Kommunen" können Sie hier nachlesen und/oder herunterladen: Studie_Frauen_fuehren_Kommunen