Bundestagswahl
Das fordern Bürgermeister von der künftigen Regierung
Sie sind auf die Politik „von oben“ angewiesen und müssen dabei „unten“ vieles ausbaden. Deutschlands Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sehen dringenden Veränderungsbedarf, damit sie noch eff ektiver arbeiten können. Dabei sind sie sich in vielem einig, egal, ob sie in Großstädten oder in kleinen Kommunen die Verantwortug tragen. Das sind ihre Forderungen zur Bundestagswahl 2021!
WENIGER POLIT-THEATER UND WENIGER BÜROKRATIE
Gudrun Donaubauer, Bürgermeisterin von Hauzenberg (Niederbayern), knapp 12.000 Einwohner. Wir brauchen dringend weniger ausufernde Regelungen. Die Kommunen rufen das Geld oft deshalb nicht ab, weil die Förderung viel zu kompliziert konfi guriert ist. Alle haben wir die gleichen Aufgaben, doch jede einzelne Gemeinde macht den Weg für sich durch. Dazu kommen die kurzen Fristen für immer neue Programme! Bei den Förderzusagen werden auch zum Teil enorme Preissteigerungen nicht berücksichtigt; einmal erteilt, bleibt der Deckel drauf. Und es muss viel stärker auf die Situation der ländlichen Kommunen eingegangen werden. Ich würde mich auch freuen, wenn in den Entscheidungen weniger politische Reflexe eine Rolle spielen würden und künft ig statt dessen nur die Sache und die besten Lösungen zählen. Für das sprichwörtliche "Polit-Theater" sollte angesichts der großen Herausforderungen endlich der letzte Vorhang fallen. Letztendlich sind wir doch alle nicht dafür gewählt,sondern dafür, dass wir alle an einem Strang ziehen - egal, wer die zündende Idee hatte. Ansonsten verschwenden wir weiterhin viel Zeit, Energie und Geld.
KÜRZERE PLANUNGSVERFAHREN
Niels Schmidt, Bürgermeister von Wedel (Schleswig-Holstein), 33.700 Einwohner.
Meine Erwartung an die Politik: Wir müssen dringend schneller werden in den Planungsprozessen. Nirgendwo anders gibt so viele Möglichkeiten, demokratisch gewollte Projekte zu torpedieren und Bebauungspläne anzugreifen wie in Deutschland. Das lähmt uns Kommunen. Wir haben in Wedel vor 15 Jahren ein altes Mineralölwerk an der Elbe übernommen und wollen dort innovativen Unternehmen in einem BusinessPark Platz bieten. Doch die Genehmigungsprozesse ziehen sich wegen der Einsprüche schon sehr lange hin. Ich wünsche mir, dass solche rechtlichen Klärungsverfahren auch bei Ausschöpfung aller Rechtswege deutlich abgekürzt werden. Ein Beispiel ist der Fehmarnbelt-Tunnel: Wie dick inzwischen die Unterlagen auf deutscher Seite sind im Gegensatz zu den beteiligten dänischen Nachbarn!
ZWEITER RETTUNGSSCHIRM
Berno Neuhoff , Bürgermeister von Wissen (Rheinland-Pfalz) Verbandsgemeinde, knapp 15.000 Einwohner.
Wissen ist ein alter Montan-Standort mit einem ehemaligen Walzwerk. Wir sind stark verschuldet, um den notwendigen Strukturwandel bewältigen zu können. Die Stadt hat für 14 Millionen Euro einen RegioBahnhof gebaut, er kostet uns rund eine halbe Million Euro Unterhalt im Jahr. Teuer ist auch unser Schwimmbad, das wir als Luftkurort aber brauchen. In einer alten Maschinenhalle des 1995 geschlossenen Walzwerkes ist das KulturWerk entstanden, ein toller Veranstaltungsort. Diese drei Dinge machen uns als Wohnort attraktiv. Unser Stadtrat hat eine Resolution an die Zuständigen beim Bund und dem Land verabschiedet. Wir brauchen dringend einen zweiten Corona-Rettungsschirm – und den vom Bundestag bisher abgelehnten Altschuldenschnitt. Und: Der Bund soll das Geld den Kommunen direkt ohne Umweg über das Land zukommen lassen! Regionalbudgets, über die wir autonom entscheiden können, würden uns am meisten helfen.
EINE PERSPEKTIVE FÜR DIE STADT
Katja Dörner, Oberbürgermeisterin von Bonn (Nordrhein-Westfalen), rund 330.600 Einwohner
Ich erwarte von der nächsten Bundesregierung, dass sie eine Perspektive für Bonn als zweites politisches Zentrum der Bundesregierung schafft, was die derzeitige Regierung nicht umgesetzt hat. Es muss endlich festgelegt werden, welche Bundes-Behörden wir behalten und wie die UN-und internationalen Organisationen in Bonn gestärkt werden. Zudem wünsche ich mir mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Kommunen im Bereich Mobilität und Verkehr. So sollten wir zum Beispiel allein vor Ort entschei
den können, an welchen Stellen wir Tempo 30 einführen. Persönlich wünsche ich mir auch eine Kindergrundsicherung, damit wir eff ektiver gegen Kinderarmut vorgehen können.
MEHR SPIELRAUM FÜR INNOVATIONEN
Claus Ruhe Madsen, Oberbürgermeister von Rostock (Mecklenburg-Vorpommern), knapp 210.000 Einwohner.
Ich wünsche mir von der Bundespolitik, dass sie den Kommunen mehr Spielraum für eigene Innovationen lässt. Wir haben viel zu viele Gesetze und Verordnungen. Die müssen unbedingt auf den Prüfstand! Und es sollten nur Entscheidungen getroff en werden, die auch wirklich umsetzbar sind. Als Kommunen sind wir im direkten Dialog mit den Menschen, da werden Schwachstellen schnell sichtbar
ANSIEDLUNGEN UNTERSTÜTZEN
André Knapp, Oberbürgermeister von Suhl (Thüringen), knapp 36.500 Einwohner. Das Ziel müssen gleichwertige Verhältnisse in Deutschland sein. Die Bundesregierung muss dazu strukturschwache Regionen in Deutschland gezielt fördern. Zur Zeit der politischen Wende hatte Suhl als ehemalige Bezirksstadt der DDR und wirtschaft liches Zentrum rund 55.000 Einwohner, heute sind es nur mehr rund 36.470 Einwohner. Ein Stadtteil musste zurückgebaut werden, weil die Menschen abgewandert sind und weniger Kinder geboren werden. Suhl ist die Stadt in Deutschland mit der ältesten Bevölkerung – das Durchschnittsalter liegt bei 55 Jahren. Viele Arbeitskräft e pendeln ins benachbarte Bayern. Hier brauchen wir Unterstützung bei der Ansiedlungspolitik, um ein Gegengewicht auf Thüringer Seite entstehen zu lassen.
MIETEN REGULIEREN
Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, rund 3,7 Millionen Einwohner.
„Die neue Bundesregierung muss stärker dafür sorgen, dass sich jeder Mensch ein bezahlbares Dach über dem Kopf leisten kann. Besonders in Städten mit angespannter Wohnungslage müssen die stetig steigenden Mieten reguliert werden. Dafür muss der Bund endlich den gesetzlichen Rahmen für ein bundesweites Mietenmoratorium zumindest in angespannten Wohnlagen schaff en. Zudem brauchen wir mehr Förderung für den Neubau von Sozialwohnungen.“
KÜSTENSCHUTZ SICHERN
Jürgen Kolk, Bürgermeister der Hallig Gröde (Schleswig-Holstein), derzeit 10 Einwohner.
Wir merken hier die direkten Auswirkungen des Klimawandels. Der Meeresspiegel hat sich auch in den vergangenen 20 Jahren erhöht, was uns alle vor große Herausforderungen stellt. Die Bundespolitik muss dem Klima- und Umweltschutz noch mehr Bedeutung einräumen. Bund und Länder dürfen nicht aufh ören, sich auf EU-Ebene für den Küstenschutz einzusetzen. Pläne der EU, nur noch Projekte zu fi nanzieren, wenn sie lokal geplant und betreut werden, müssen verhindert werden. Das könnten wir hier gar nicht leisten.
RETTUNGSSCHIRM FÜR DIE INNENSTADT
Alexander Heppe, Bürgermeister von Eschwege (Hessen), 21.113 Einwohner. Wir brauchen einen Rettungsschirm für Innenstädte. Nach Corona müssen wir „Innenstadt neu denken!“ Multifunktional mit Wohnen, Einkaufen, Gastronomie, Kultur und (Laden-)Handwerk, außerdem barrierefrei, familiengerecht, verspielt, nachhaltig und bunt müssen unsere Städte werden. Wir wollen einfach mehr MACHEN können. Gebt uns dazu - unbürokratisch! - die Mittel. Wir Kommunen schaff en das! Die Kreisstadt Eschwege fördert innovative Gründer mit der Übernahme der Kaltmiete bis zu einem Jahr und stellt über „lokale Ökonomie“ Mittel zur Modernisierung in Einzelhandel, Ladenhandwerk, Gastronomie und Kreativwirtschaft zur Verfügung.
STRUKTURWANDEL VORANTREIBEN
Christine Herntier, Bürgermeisterin von Spremberg (Brandenburg), 22.800 Einwohner.
Die neue Bundesregierung muss das umsetzen, was versprochen war, aber auf sich warten lässt: In den vom Kohleausstieg betroff enen Regionen muss eine Einzelförderung der Unternehmen möglich sein! Deutschland muss das europäische Beihilferecht mit der EU dahingehend verhandeln, dass Unternehmen einen Anreiz bekommen, sich bei uns anzusiedeln. In der sogenannten Kohlekommission, in der ich 58 Kommunen in der Lausitz vertreten habe, bestand Einigkeit, dass die Städte und Gemeinden Strukturmittel erhalten, mit denen sie weiche Standortfaktoren entwickeln können. Dazu zählen Bildungsprojekte und Infrastruktur- sowie Kulturprojekte. Man kann nicht den totalen Wandel wollen, aber in diesem wichtigen Punkt so weitermachen wie bisher. Was generell notwendig ist: Die Kommunen brauchen ein viel größeres Mitspracherecht bei der Vergabe der Mittel.
MEHR SELBSTBESTIMMUNG
Dirk Neubauer, Bürgermeister von Augustusburg (Sachsen), 4500 Einwohner.
Wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung und mehr freie Entscheidungskompetenz der Kommunen. Direkte Finanzierung statt immer weiterer Förderprogramme! Eine auskömmliche Finanzierung: Pro Kopf, ohne Antragstellung. Bislang steht die kommunale Selbstverwaltung nur auf dem Papier. Die Gemeinden müssen endlich mehr selbst bestimmen können!