Vater und Bürgermeister
Eine Kleinstadt im Aufbruch: Und der Bürgermeister mitten drin
Mehrmals im Jahr dröhnen in Oberlungwitz die Motoren. Auf dem Gebiet der 6.500-Einwohner-Gemeinde in der Nähe von Chemnitz liegt ein Teil des Sachsenrings, einer weltbekannten Rennstrecke: Die Fahrer des Moto-GP-Motorradrennens oder des Deutschen Tourenwagen Masters jagen hier nach neuen Rundenrekorden. “Die Leute im Ort sind Motorsportverrückt”, sagt Bürgermeister Thomas Hetzel. Das Auto sei im Landkreis Zwickau auch schon immer ein Wirtschaftsfaktor gewesen. Zu DDR-Zeiten entstand hier der Trabant, und heute baut Volkswagen im Werk in Mosel bei Zwickau Elektroautos.
In Oberlungwitz selbst ist es indes vor allem ein Unternehmen aus dem Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen, das dem Ort zu einem gewissen Wohlstand verholfen hat. “Wir können die Gewerbesteuerhebesätze seit 2003 konstant halten, haben keine Schulden mehr – aber wir sind auch keine abundante Gemeinde”, sagt Hetzel. Der Gemeinde geht es gut, und das spüren auch die Einwohner: Der Ort im Tal des Lungwitzbaches erlebte in den letzten Jahren zahlreiche Zuzüge. “Wir bieten ein ländliches Leben in der Nähe der Stadt”, so der 39 jährige. Viele, die in den Jahren nach der Wende wegzogen, kehrten mittlerweile wieder in ihre Heimat zurück. Das merkte auch der Bürgermeister im eigenen Umfeld. “Wir haben unser Abitur damals 2002 gemacht – danach sind viele Menschen zum Studieren weggegangen, wollten die Welt erkunden.” Heute lebten viele seiner ehemaligen Klassenkameraden wieder im Ort. Sie hätten ein Haus gebaut, oder das von den Eltern übernommen. “Für ein Klassentreffen muss ich nicht durch ganz Deutschland fahren, das ist doch etwas Schönes.”
Es ist der Ort der Rückkehrer - früher wandte die Jugend dem Ort den Rücken zu
Hetzel hat zuvor in Leipzig auf Lehramt Deutsch und Geschichte studiert. Später arbeitete er für eine Veranstaltungsfirma. An den Wochenenden war er aber immer in Oberlungwitz, engagierte sich im Sportverein und im Karnevalsclub. Schließlich wurde er Stadtrat. Und als in seiner Familie Zwillinge unterwegs waren, entschied sich Hetzel, das Veranstaltungsgewerbe zu Gunsten eines Referendariats an einer Schule in einem Nachbarort aufzugeben. “Aber damals wurde auch ein neuer Bürgermeister gesucht – mein Vorgänger trat nach 25 Jahren im Amt nicht mehr an”, erinnert sich Hetzel. “Die Menschen kamen auf mich zu: Du engagierst Dich doch so im Ort, mach das doch.” Hetzel ließ sich 2014 aufstellen, gewann die Wahl – und sagte das Referendariat wieder ab.
Die Erfahrungen aus der Veranstaltungsbranche kommen dem Bürgermeister heute sehr zu Gute.Denn Thomas Hetzel hat eine eigene Werbekampagne für Oberlungwitz gestartet. “Lungscher Liebe” steht auf dem Hoodie, den der Bürgermeister in seinem Büro trägt, ebenso wie auf dem Laptop oder auf Werbepostkarten, die in der ganzen Gegend in den Kneipen verteilt werden. “Lungscher – das ist sächsisch für Oberlungwitz”, sagt Hetzel. “Die Leute hier nennen uns einfach die Lungscher.” Mit der Kampagne will die Stadt, die in diesem Jahr 750 Jahre alt wird, die Heimatverbundenheit und das Heimatgefühl ihrer Bewohner fördern. Und manches hat man sich auch abgeguckt: “So, wie überall auf der Welt Aufkleber für Baden-Württemberg werben, haben wir eine Mitarbeiterin der Moto-GP-Serie gefunden, die jetzt auf allen Rennstrecken der Welt ein Foto vom Oberlungwitz-Aufkleber macht und in den sozialen Medien postet”, sagt der Bürgermeister. “Lungscher Liebe ist einfach überall.”
Ein stolzer Bürgermeister: "Wir sind ausgezeichnet als die familienfreundlichste Kommune der Region"
Während Hetzel in seinem Büro sitzt und spricht, fällt der Blick auf die Wand seines Büros. Dort hängt eine von einer regionalen Tageszeitung verliehene Urkunde: Oberlungwitz sei die familienfreundlichste Kommune im Verbreitungsgebiet. “Das haben die Leser der Zeitung entschieden, da haben wir gar nichts dazu beigetragen”, sagt Hetzel. “Wir versuchen einfach in vielen Bereichen, etwas für Kinder anzubieten.” Neben den Kitas und Schulen gelte das auch für Stadtfeste, bei denen dann ganz selbstverständlich auch ein Riesentrampolin steht. “In der Coronazeit sind wir mit dem Osterhasen durch die Stadt gefahren, und haben den Kindern, die an den Zäunen der Grundstücke gewartet haben, Süßigkeiten gebracht.” Und die Gemeinde habe in Spielplätze investiert. Spielt es dabei eine Rolle, dass der Bürgermeister auch selbst Kinder hat? “Zumindest wissen meine Kinder, was ich mache”, sagt Hetzel. “Ich nehme sie auch schon mal mit, etwa, wenn die Feuerwehr Hauptversammlung hat und ich anderweitig keine Betreuung bekomme.” Schon als er 2015 sein Amt antrat, habe er allen signalisiert: “Ihr habt jetzt einen Familienvater gewählt, und meine Kinder sind jetzt in der Phase, wo sie etwas von ihrem Vater haben wollen.” Die Menschen in Oberlungwitz hätten sich mittlerweile darauf eingestellt. Und als Hetzel 2022 für eine zweite Amtszeit antreten wollte, waren die Kinder die ersten, mit denen er darüber sprach. “Wenn die gesagt hätten: Lass das, wir werden in der Schule deswegen beleidigt, hätte ich es gelassen”, sagt Thomas Hetzel. “Aber die Kinder waren die ersten, die gesagt haben: Mach das, wir finden das toll.”
Was Thomas Hetzel Menschen raten würde, die sich in einer anderen Gemeinde als Bürgermeister bewerben wollen? “Ich glaube, es gehört eine Menge Empathie mit dazu, weil man sich mit vielen verschiedenen Charakteren und Leuten im Alltag auseinandersetzt”, resümiert er. “Wir sind sachlich in der Diskussion und emotional beim Feiern und beim Miteinander.” Wichtig sei es, dass man als Bürgermeister Verständnis für die jeweilige Situation aufbringen und Dinge erklären könne. “Dann hat man schon viel erreicht”.