
Flüchtlinge: Deutsch lernen per Fingerwisch
Geflüchtete gingen fast spielerisch an das Lernen heran
Die Geschichte ist schnell erzählt: Kirchenstiftungsvorstand Martin Obrikat hatte Kontakt zu einem Lehrer. In Privatinitiative hatte dieser unbegleitete jugendliche Flüchtlinge betreut und ihnen einen Laptop zur Verfügung gestellt. Darauf die Software „Rosetta Stone“ – eine moderne, computergestützte Sprachlernsoftware. „Das hat uns inspiriert, der Umgang der jungen Menschen mit der Computerstimme hat uns fasziniert, es wirkte alles fast spielerisch“, so Martin Obrikat. In der Adventszeit wurden mehr als 30.000 Briefe verfasst, um Spenden für Computer und Geld für die Software gebeten.
Heute – nur 7 Monate später – stehen im Kirchenkreis Aachen fast 140 Laptops an 25 verschiedenen Orten mit Lizenzen von „Rosetta Stone“, finanziert aus Spenden.
Computer zwingt die Geflüchteten zum Deutsch-Sprechen
An einem dieser Geräte übt auch Abil H. seit Ende des Jahres die deutsche Sprache. Der Erfolg gibt ihm recht: Ja, stellen wir im Gespräch mit ihm fest, da sind noch grammatikalische Fehler, aber alltagstauglich ist sein Deutsch inzwischen allemal. Wie konnte er in solcher Rekordzeit ein solches Level erreichen? Nur mit dem Computer? „Im klassischen Frontalunterricht hören Sie viel Deutsch, kommen aber in der Klasse vielleicht zweimal in der Stunde zu Wort. Das Rosetta Stone Programm zwingt die Menschen zum Reden. Jeder Satz muss wiederholt werden, 50 Prozent der Zeit spricht der Computer, die andere Hälfte der Schüler“, so Martin Obrikat. Die grammatikalischen Feinheiten blieben dabei zwar manchmal etwas außen vor, „es ist aber eine tolle Grundlage“, so Obrikat.
Unterrricht kann sofort beginnen
Rosetta Stone löst mit der Software zudem zahlreiche Probleme, vor denen Kommunen und Ehrenamtliche immer wieder stehen. Zunächst dauert es oft lange, bis Flüchtlinge einen klassischen Deutsch-Kurs beginnen können. Die Zahl der geeigneten Lehrer ist begrenzt, viele Ehrenamtliche versuchen, die Lücken zu schließen. Aber sie brauchen gutes Handwerkszeug, damit ihr Engagement Erfolg hat. Nur selten sind sie dafür ausgebildet, was oft wiederum viel Zeit in Anspruch nimmt.
Der Kirchenkreis hat zusammen mit Partnern aus dem Kirchenbereich an verschiedenen Stellen sogenannte Sprachlerntreffs eingerichtet. Ehrenamtliche betreuen die Treffs und stehen den Flüchtlingen als Ansprechpartner und Kontaktpersonen zur Verfügung. „So ist auch die wichtige menschliche Komponente gegeben, die Lernenden sitzen nicht nur vor dem Computer, haben auch direkte Ansprechpartner“, so Obrikat. Die emotionale Bindung sei neben der Software zweites wichtiges Standbein, vor allem für die Motivation.
Deutsch lernen erhöht die Bleibeperspektive
Abil H. gilt als jemand, der mit Rosetta Stone besonders schnell sehr erfolgreich war. „Es ist aber für jeden geeignet, denn anders als im klassischen Unterricht kann hier jeder in seinem eigenen Rhythmus lernen. Es ist ein unmittelbarer, individueller Zugang zur Sprache und somit zur Integration“, lobt Obrikat das Programm. Was Abil H. so motiviert? „Ich weiß, wenn ich glaubhaft machen kann, dass ich gut Deutsch spreche, gut integriert bin, vielleicht hier eine Ausbildung mache, dann steigen auch meine Bleibechancen“, so der 25 jährige Sportler. Und er ist er auf dem besten Weg. Er hat schon ein Praktikum in einer Werbeagentur im Bereich Werbetechnik gemacht. Jetzt ist er auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz, am liebsten im Bereich Werbetechnik, wie er sagt.
Und Martin Obrikat ist dankbar für das Wissen, dass er dank der Spendenaktion für Laptop und Software Menschen wie Abil und vielen anderen eine neue Perspektive geben kann. „Diese Menschen haben in den vergangenen Jahren ums nackte Überleben gekämpft, nicht um gute Noten in der Schule. Jetzt können Sie das nachholen“, sagt er. Und er plant, das Programm noch weiter auszubauen. Über Spenden, seien es Laptops oder Geld für Rosetta Stone freut er sich daher weiterhin.