Tolle Beispiele
Der Check für attraktive Fußgänger-Wege
Was brauchen Fußgänger?
Doch was macht einen guten Fußweg aus? „Oft geht es ganz banal darum, dass ein Weg überhaupt sicher begangen werden kann“, sagt Stimpel. Dazu brauche es genügend breite Gehwege, die nicht zugestellt und zugeparkt sind. Außerdem sollte es keine Stolperfallen geben, die Wege sollten nicht befahren werden und nachts gut beleuchtet sein. Besonders wichtig sind zudem die Übergänge, wenn Straßen gequert werden. Denkt man als Kommune über den Fußverkehr nach, sollte man die ganz alltäglichen Wege in den Blick nehmen. Fußgängerzonen seien zwar nett, aber der Fußverkehr dürfe keine Insel-Veranstaltung sein, rät der Experte.
Fußverkehrswege-Check empfohlen
Die angestrebte Verkehrswende hat für Stimpel auch eine ausgeprägt soziale Seite. Schließlich laufen vor allem jüngere und ältere Bürger besonders viel zu Fuß. Klar ist: Gewinnt der Fußverkehr an Bedeutung, müssen die anderen Verkehrsteilnehmer Kompromisse eingehen. Letztlich gehe es darum, den begrenzten Raum so zu gestalten, „dass möglichst viele ihn nutzen können und möglichst wenige ausgeschlossen werden“. Für den Fußverkehr in Kommunen gibt es seiner Erfahrung nach selten die eine große Lösung. Vielmehr brächten meist viele kleine Nachbesserungen schon Erfolg. Um einen derartigen Prozess zu starten, ist ein Fußverkehrswege-Check ratsam. Ein solcher wurde gerade erst in Aachen durchgeführt und markiert dort den Beginn einer Trendwende.
Die nordrheinwestfälische Stadt liegt mit über 30 Prozent Fußgängerverkehr deutlich über dem Durchschnitt, wie Claudia Nowak sagt. Sie betreut den Aktionsplan Verkehrssicherheit. Der Autoverkehr ist ihrer Ansicht nach viel zu beherrschend. Weg von der Dominanz des Autos, hin zu einer Stadt der kurzen Wege - das sei nun das Ziel, bei dem es neben der Sicherheit auch um einen generellen Wandel der Mobilität geht. „Je attraktiver das Zufußgehen ist, desto klimafreundlicher sind die Leute unterwegs“, sagt Nowak. Nachdem die Interessen der Radfahrer in Aachen bereits intensiv behandelt werden, wendet man sich nun bewusst den Belangen der Fußgänger zu. So ist die Einführung der Stelle eines Fußverkehrsbeauftragten geplant, zudem wird versucht, an möglichst vielen Strecken Gehwege von 2,50 Metern Breite zu sichern und die Themen verkehrsberuhigte Bereiche und Geschwindigkeits-Reduzierung mehr in den Blick zu nehmen.
Fast jeder ist auch Fußgänger
Der vom Zukunftsnetz Mobilität NRW finanzierte Fußverkehrscheck war ein öffentlichkeitswirksamer Einstieg und die Bürgerbeteiligung bei den insgesamt zwei Begehungen laut Nowak rege und konstruktiv. „Fußgänger sind ein Querschnitt der Gesellschaft und nahezu jeder ist auch Fußgänger. Deshalb sollte diese Entwicklung eigentlich im Interesse aller liegen“, sagt Nowak. Gleichwohl sind die Rückmeldungen gemischt. Das Problem sei vor allem: „Jeder Verkehrsteilnehmer will eine separate Fläche haben – das ist selten umsetzbar.“ Um zentrale Wege vom Zentrum ins äußere Stadtgebiet attraktiver zu machen, hat Aachen bereits vor einiger Zeit das Premium-Fußwege-Netz geplant, bestehend aus zehn Routen von der Innenstadt ins Umland. Diese werden sukzessive umgesetzt, zu ihnen gehören eine gute Beschilderung, neue Sitzbänke und Abfallbehälter. Bäume werden gepflanzt und die Plätze entlang der Strecken hergerichtet.

Schongau ausgezeichnet als Wohlfühlstadt für Fußgänger
Ein Platz zum Verweilen ist auch in Schongau entstanden, wo die Umgestaltung des Marienplatzes gerade erst mit dem 1. Preis beim Wettbewerb „Wohlfühlplätze – Fußgänger*innenfreundliche Stadt- und Dorfplätze“ des VCD Bayern ausgezeichnet wurde. Für Schongau ist das ein großer Schritt. So gibt es in der Kleinstadt rund 80 Höhenmeter zu überwinden, um ins Zentrum zu kommen, wie Bürgermeister Falk Sluyterman sagt. Das Auto galt deshalb lange Zeit als unverzichtbar, eine Fußgängerzone gab es nicht und der zentrale Marienplatz war ebenso dicht befahren wie zugeparkt Durchschnittlich 4.000 Fahrzeuge drehten jeden Tag beim Kreisverkehr ihre Runden, „die Aufenthaltsqualität war dadurch stark eingeschränkt“, wie der Bürgermeister feststellt.
Parkplätze fielen weg
Daher entstand die Idee, „die Autos aus dem Herzen der Altstadt herauszubekommen“. 2015 gab es schließlich eine klare Entscheidung im Gemeinderat für eine Verkehrsberuhigung und Umgestaltung des Platzes. Dabei war von Beginn an klar: „Wir können die Autos nicht komplett verbannen, vielmehr bedarf es einer intelligenten Lösung.“ In Schongau war das ein begleitend zur Platzumgestaltung eingeführtes Parkraumkonzept. Dies bedeutete konkret: Die Parkplätze am Marienplatz fielen weg, dafür kamen neue am Stadtrand hinzu, ergänzt durch ein gestaffeltes Parkzonensystem und ein gutes Stadtbusnetz. Für die Platz-Umgestaltung fielen Baukosten von rund 241.000 Euro an sowie Nebenkosten von rund 71.000 Euro, wovon 60 Prozent durch die Städtebauförderung gefördert wurden. Ein großer Kostenpunkt war zudem die Umsetzung des neuen Parkraumkonzepts, darunter der Neubau des Parkplatzes am Buchenweg sowie das Aufstellen von Parkscheinautomaten und Verkehrszeichen für insgesamt rund 385.000 Euro.
Kritische Stimmen vor Umgestaltung
Neben vielen positiven Rückmeldungen kamen seitens der Bürger auch kritische Stimmen: Da waren die älteren Menschen, die nicht auf das Auto verzichten wollen oder auch können, und da war insbesondere der Einzelhandel, der Einbußen fürchtete, weil die Kunden nicht mehr direkt vor der Türe parken können. Aus Sicht des Bürgermeisters hat sich diese Befürchtung nicht bestätigt, vielmehr sei die Frequenz sogar höher als zuvor. Seit 2016 ist der Marienplatz fertiggestellt. Der Platz ist zusammen mit den Zufahrtsstraßen barrierefrei gestaltet, Parkplätze wurden verbannt und stattdessen ein Trinkbrunnen installiert. Außerdem wurden über den ganzen Platz variable Sitzmöglichkeiten verteilt und Sonnenschirme aufgestellt. Und auch wenn manche Gegenstimmen geblieben sind, so hat sich die Umgestaltung nach Ansicht des Bürgermeisters gelohnt. „Der Platz wird heute ganz anders angenommen als früher“, sagt Sluyterman. So treffen sich nun viele junge Leute, Familien und Mütter mit Kindern im Zentrum von Schongau. Der Marienplatz sei jetzt ein sicherer Ort und die Innenstadt deutlich belebter. Kein Wunder, meint Schongaus Bürgermeister. „Schließlich werden Menschen von Menschen angezogen, nicht von Autos.“

