kommunale Selbstverwaltung Kinder
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Bundesverfassungsgericht

Neues Urteil stärkt kommunale Selbstverwaltung

Die Stadt Remscheid und neun weitere kreisfreie Städte haben einen historischen Sieg vor Gericht errungen. Dank ihnen darf der Bund Zusatzleistungen für Kinder, die von Sozialhilfe leben, nicht auf die Kommunen abwälzen. Es geht etwa um Schulausflüge, Mittagessen aber auch Nachhilfe. Uwe Lübking vom DStGB erläutert die konkreten Auswirkungen.

Mit der Föderalismusreform 2006 wurde es dem Bund untersagt, Aufgaben auf die Kommunen zu übertragen. Ziel war es, die Kommunen vor finanziellen Lasten zu schützen. Es war jedoch immer wieder strittig, wie dieses Aufgabenübertragungsverbot im Detail zu verstehen ist. Bund und Länder haben immer wieder vorgetragen, das Verbot finde keine Anwendung, wenn eine bestehende Regelung nur erweitert würde. Gerade in dem für die Kommunen kostenträchtigen Sozialhilfe- und Jugendhilferecht werden in der Regel keine neuen Gesetze erlassen, sondern bestehende Ansprüche erweitert mit der Folge der finanziellen Belastung der Kommunen.

Länder lehnen Ausgleich der Mehrbelastungen ab

Die Länder wiederum verweisen auf die Aufgabenüberragung durch den Bund und lehnen einen Ausgleich der Mehrbelastungen durch die landesrechtlichen Konnexitätsregelungen ab. So auch im vorliegenden Fall. Hintergrund der Entscheidung war eine Verfassungsbeschwerde kreisfreier Städte aus Nordrhein-Westfalen gegen 2012 neu getroffene Regelungen der Bedarfe für Bildung und Teilhabe im Sozialhilferecht.

Städte: Verstoß gegen das Aufgabenübertragungsverbot

Die Städte machten geltend, dass die angegriffenen Vorschriften gegen das bundesrechtliche Aufgabenübertragungsverbot verstießen, weil die Regelungen die ihnen als örtlichen Trägern der Sozialhilfe bereits zugewiesenen Aufgaben wesentlich verändert, erweitert und um neue Aufgaben ergänzt hätten, so durch die Kosten für Klassenfahrten, den Zuschuss zum Schulbedarf, zur Lernförderung oder auch die Mittagsverpflegung.

Der Bund versucht immer wieder, teilweise sogar mit Unterstützung durch die Länder, den Kommunen Aufgaben neu zu übertragen oder sie zu erweitern. Das ist deshalb problematisch, weil für den Mehraufwand der Kommunen in der Regel kein Kostenausgleich erfolgt und so der finanzielle Handlungsspielraum stetig kleiner zu werden droht. Die Länder lehnen nämlich in diesen Fällen in der Regel einen Mehrbelastungsausgleich ab mit der Begründung, der Bund hätte lediglich eine bestehende Aufgabe modifiziert.

Urteil des Bundesverfassungsgericht: Übertragung von Aufgaben erfolgt durch Länder

Hier hat das Bundesverfassungsgericht nun mit seinem Beschluss Klarheit geschaffen. Der Bund darf weder den Kommunen eine bestimmte Aufgabe erstmals zuweisen noch eine bundesgesetzlich bereits zugewiesene Aufgabe erweitern. Das Gericht stellt eindeutig klar, dass Aufgabenübertragungen durch die Länder zu erfolgen haben und die den Kommunen dadurch entstehenden Kosten von den Ländern auszugleichen sind.

Kommunale Selbstverwaltung wird gestärkt

Die Entscheidung stärkt das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen vor der einseitigen Übertragung von Aufgaben, ohne dass die Mehraufwendungen erstattet werden. Damit wird die Finanzhoheit der Kommunen verletzt: Der effektive Gewährleistungsbereich kommunaler Selbstverwaltung im Allgemeinen und der Finanzhoheit im Besonderen ist in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt, wenn die Kommunen ihre eigenen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen und mangels finanziellen Spielraums Prioritätsentscheidungen bezüglich der Aufgabenwahrnehmung nicht mehr treffen können.

Dem Gesetzgeber bleibt bis 2021 Zeit nachzubessern

Die Erweiterung einer bereits bundesgesetzlich übertragenen Aufgabe unterfällt dann dem Durchgriffverbot, wenn sie in ihren Wirkungen einer erstmaligen Aufgabenübertragung gleichkommt. Eine Änderung bundesgesetzlich zugewiesener Aufgaben überschreite daher die Übergangskompetenz und stelle eine unzulässige Aufgabenübertagung dar, wenn sie Leistungstatbestände schaffe, bestehende Leistungstatbestände auf neue Gruppen von Berechtigten ausweite oder wenn sie die Dauer des Leistungsbezugs so verlängere, dass damit zugleich ihr Charakter verändert werde. Im konkreten Fall hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bis Ende 2021 Zeit gegeben, die für verfassungswidrig befundenen Normen anzupassen. Damit geht die Entscheidung nicht zu Lasten der Leistungsberechtigten.

„Wer bestellt, bezahlt“

Die konsequente Bestätigung des im Grundgesetz verankerten Durchgriffsverbotes, das dem Bund seit der Föderalismusreform 2006 die direkte Übertragung von Aufgaben auf die Kommunen untersagt, kann nicht ohne Auswirkungen auf anstehende Gesetzgebungsverfahren bleiben, etwa den geplanten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung der Grundschulkinder oder die Reform des Kinder- und Jugendhilferechts. Beide Gesetzgebungsverfahren können zu erheblichen finanziellen Mehrbelastungen führen. Das Bundesverfassungsgericht sichert die Anwendung der landesrechtlichen Konnexitätsregeln auch bei der Vollziehung von Bundesgesetzen. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist klar, dass eine Aufgabenübertragung nur durch die Länder möglich ist, die nach dem Prinzip „Wer bestellt, bezahlt“ handeln müssen. Die Mehrausgaben der Kommunen müssen erstattet werden.

Uwe Lübking ist Beigeordneter beim Deutschen Städte- und Gemeinde­bund und dort unter anderem für die Themen­bereiche Soziales, Bildung und Sport zuständig.