Gangelt Bürgermeister

Porträt

Bürgermeister im Zentrum der Corona-Pandemie

Bernhard Tholen ist Bürgermeister von Gangelt im Kreis Heinsberg, wo die Corona-Pandemie in Deutschland ihren Anfang nahm. Jeder siebte Einwohner war hier infiziert.

Es gibt einen großen Naturpark und einen wunderschönen Wildpark. Eine historische Eisenbahn fährt mit einem Dampfzug die Ausflügler durch die Gegend. „Wir haben hier Windmühlen, Tennisplätze, eine Minigolfanlage und einen Wohnmobilstellplatz“, sagt Bernhard Tholen. „Unser Ort ist grün – es gibt sehr viele Radwege.“ Die Gemeinde strahle Geborgenheit aus, Heimat. „Die Menschen kennen sich untereinander“, so der Bürgermeister. Es gibt Nachbarschaftshilfe, fast neunzig Vereine, sechs Dorfgemeinschaftshäuser. „Man trifft fast alle überall, man feiert gern zusammen, man kann immer jemanden um Rat und Hilfe fragen.“

Bürgermeister Tholen schwärmt über die Geselligkeit seiner Gemeinde

Wenn der Bürgermeister von Gangelt im Kreis Heinsberg, direkt an der Grenze zu Belgien und Holland gelegen, über seine Gemeinde spricht, kommt er ins Schwärmen. Seit 1997 ist er Bürgermeister der 12.000 Einwohner zählenden Gemeinde – doch in seinem letzten Dienstjahr, kurz vor dem Ruhestand, war es genau die Geselligkeit in Gangelt, die die Gemeinde unversehens bundesweit in die Schlagzeilen brachte. Vor Karneval fanden in der ganzen Gemeinde Karnevalssitzungen statt, unter anderem auch in Langbroich. „Wir haben sechs große Karnevalsvereine hier. Bei den Langbroichern weiß man, dass alle Darsteller aus dem Ort selber kommen und dass die Sitzung deswegen immer äußerst unterhaltsam ist.“, sagt Tholen. „Da kommen die Menschen auch aus den Nachbarorten hin.“ So war das auch in diesem Jahr. Nur dass mindestens ein Karnevalsjeck mit dem Coronavirus infiziert war.

Plötzlich war Corona für Bürgermeister und Gemeinde sehr nah

„Am Dienstag vor dem Aschermittwoch habe ich eine Whatsapp-Nachricht bekommen, dass es einen Corona-Fall im Kreis gab – und der kam aus der Gemeinde Gangelt“, erinnert sich Tholen. „Eine Viertelstunde später rief der Leiter meines Ordnungsamts an.“ Schon am selben Abend beschloss der Kreis, am nächsten Tag die Schulen zu schließen. Doch es war zu spät: Bis heute ist der Kreis Heinsberg eine der am stärksten von der Pandemie betroffenen Gegenden in Deutschland. „Am Anfang war das so, dass wir alle verblüfft waren“, so Tholen. „Man musste sich an diese neue Situation gewöhnen.“ Bis zum Dienstag Mittag war Corona auch in Gangelt ganz weit weg. „Man hatte das wohl mal im Fernsehen gesehen, eine Krankheit in China – aber doch nicht hier bei uns.“ Und dann war der Virus da.

Die Solidarität zwischen Nachbarn ließ nicht lange auf sich warten

Die ersten zwei, drei Tage habe sich in Gangelt kaum jemand aus dem Haus getraut, so der Bürgermeister. Dann aber habe sich der Ort an seine Stärken erinnert. „Es kam so etwas wie Solidarität auf.“ Die Menschen hätten sich an ihre Nachbarn erinnert: „Wer könnte jetzt Hilfe brauchen in der Quarantäne?“ Bis heute gab es im Ort 470 positive Tests. Die Studie des Bonner Virologen Hendrik Streeck ergab, dass es im Ort rund 2.000 Infizierte gegeben haben muss. Und acht Menschen aus Gangelt, überwiegend Senioren, starben. Wird Gangelt nach der Pandemie noch so sein, wie zuvor? „Ich glaube, dass der Mensch Nähe braucht“, sagt Tholen. „Und dass man diese Nähe auch nach Corona haben wird – dass es eine Zeit geben wird, wo man Menschen wieder begrüßen und umarmen darf.“

Es gibt Situationen im Leben, auf die man sich einfach nicht vorbereiten kann

Und was hat die Epidemie mit dem Bürgermeister gemacht? „Der eigentliche Krisenmanager war natürlich der Landrat“, sagt Tholen. Dennoch sei er die ersten Tage über kaum zu einer Pause gekommen. Vor allem das Medieninteresse sei gewaltig gewesen. Fernsehteams aus der ganzen Welt seien nach Gangelt gekommen, unzählige Interviews habe der Bürgermeister geben müssen. Den Medien aber zollt Tholen großes Lob: „Ich habe mich immer fair behandelt gefühlt.“ Ansonsten musste vieles in den letzten Wochen auch einfach improvisiert werden. Denn vorbereitet war auf eine Situation wie in Gangelt eigentlich niemand. „Ich glaube auch, dass es Situationen im Leben gibt, die man einfach nicht vorbereiten kann“, sagt Tholen. „Dazu zählt auch so ein Virus.“ Das, was im Frühjahr 2020 über Gangelt hereingebrochen sei, habe man nicht ahnen können. „Eine Kommune unserer Größenordnung kann ein Brandschutzkonzept entwickeln“, sagt Tholen. „Aber eine Pandemie, ein für uns bis dahin nicht vorstellbares Ereignis, muss in weit größeren Einheiten geplant werden.“

Bürgermeister Tholen wünscht sich, dass Deutschland Lehren aus der Pandemie zieht

Und dennoch: Den Bürgermeister von Gangelt ärgert manches, was er im Verlauf der Pandemie erlebte. „Man muss schon sagen, dass unser Gesundheitssystem durch die Globalisierung Schäden erlitten hat“, sagt Tholen. „Dass wir nicht mehr alle Medikamente in Deutschland herstellen können und unseren Bedarf an Schutzausrüstung hier nicht mehr decken können – das ist fahrlässig gewesen.“ Hier wünscht sich der Gangelter Bürgermeister, dass Deutschland Lehren aus der Pandemie zieht. Selbst hofft der Bürgermeister indes, dass bis zum Herbst das Gröbste überstanden ist. Denn nach 23 Jahren im Amt will Tholen im Oktober eigentlich in den Ruhestand treten – und dann in Gangelt wohnen bleiben. Denn die Gemeinde wird auch nach der Corona-Pandemie ein lebenswerter Ort für seine Einwohner bleiben. Davon ist Bernhard Tholen überzeugt.