Forsa-Chef Manfred Güllner

Analyse der NRW-Wahl

Der Niedergang der Kommunalpolitik?

Die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen haben einige traurige Erkenntnisse gebracht. Es gibt einen massiven Vertrauensverlust der Bürger in die Kommunalpolitik, stellt Forsa-Chef Manfred Güllner fest. Für KOMMUNAL fasst er die Ergebnisse in einer Analyse zusammen.

Wie alle lokalen Wahlen war auch die nordrhein-westfälische Kommunalwahl kein Stimmungstest für die Landes- oder Bundespolitik – auch wenn viele Medien oder politische Beobachter das immer unterstellen. Vielmehr haben sich auch die Bürger an Rhein und Ruhr bei ihrer Wahlentscheidung am Zustand der Parteien vor Ort und deren personellen und inhaltlichen Angeboten orientiert. Gleichwohl ist das Ergebnis insgesamt ein weiterer Beleg für den drastischen Vertrauens- und Bedeutungsverlust von CDU und SPD auf der kommunalen Politikebene.

Kommunalpolitik: CDU und SPD verlieren bei NRW-Wahlen

Nur noch 30 von 100 Wahlberechtigten gaben am 13. September in NRW der CDU oder der SPD ihre Stimme – 70 aber wählten eine andere Partei oder gingen gar nicht zur Wahl. Damit erreicht die Bindekraft beider Parteien einen Tiefpunkt. In den 1960er und 1970er Jahren wählten bis zu zwei Drittel und in den 1980er Jahren immer noch mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten CDU oder SPD.



SPD und CDU konnten bei der Kommunalwahl auch nur einen Teil der ihnen bei der letzten Bundestagswahl 2017 verbliebenen Wähler wieder zur Stimmabgabe bewegen. So sank der Anteil der CDU von 24,4 Prozent 2017 (bezogen auf alle Wahlberechtigten) um 28 Prozent auf 17,5 Prozent

bei der Kommunalwahl. Der Wählerschwund der SPD war noch größer: Ihr Anteil schrumpfte von 19,4 auf 12,4 Prozent aller Wahlberechtigten. Während die Verluste der SPD in den kreisfreien Städten und den Landkreisen mit 37 beziehungsweise 36 Prozent gleich groß waren, fielen die Verluste der CDU in den Städten mit einem Rückgang von 36 Prozent deutlich größer aus als in den ländlichen Regionen mit 24 Prozent.

Große Stimmenverluste in Köln und Duisburg



Die größten Verluste im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 hatte die CDU in den Städten Köln, Bottrop, Bochum, Duisburg und Herne mit einem Stimmenrückgang zwischen 45 und 50 Prozent. Etwas moderater fielen die Verluste mit einem Minus von 18 bis 25 Prozent in Essen, Hamm, Münster oder Düsseldorf aus. Deutlich niedriger war der CDU-Stimmenrückgang in Kreisen wie Heinsberg, Düren oder Höxter und dem Hochsauerlandkreis. In einigen Landkreisen waren aber durchaus auch größere Rückgänge zu registrieren: So im Kreis Unna (- 38 %) oder im Ennepe-Ruhr-Kreis (- 36%).

 

Auch die SPD-Verluste waren in den einzelnen Städten und Kreisen unterschiedlich groß. Noch eher moderat fielen die Verluste in Hamm, Remscheid oder Bottrop mit einem Stimmenrückgang zwischen 16 und 21 Prozent aus. Die größten Stimmenrückgänge verzeichnete die SPD in den Städten Mülheim an der Ruhr (- 52 %), Hagen (- 49 %), Duisburg (- 46 %), Oberhausen und Essen (jeweils – 45 %). In den Kreisen gab es den größten Wählerschwund im Kreis Heinsberg (- 57 %).

Grüne holen auf dem Land deutlich auf



Während die CDU und die SPD bei der Kommunalwahl große Mühe hatten, ihre Wähler von 2018 wieder zur Stimmabgabe zu bewegen, erhielten die Grünen deutlich mehr Stimmen als bei der Bundestagswahl. Ihr Anteil (bezogen auf alle Wahlberechtigten) stieg von 5,7 Prozent 2017 um 78 Prozent auf 10,2 Prozent.

Dabei ist der Stimmengewinn der Grünen im ländlichen Raum größer als in den urbanen Regionen: Ihr Wähleranteil stieg 2020 im Vergleich zu 2017 in den Kreisen um 98 Prozent, in den kreisfreien Städten um 58 Prozent. Allerdings erhielten die Grünen bei der Kommunalwahl 2020 deutlich weniger Stimmen als bei der Europawahl im letzten Jahr. Die Zahl der Grünen-Wähler sank von 1.854.000 im Mai 2019 auf 1.452.000 im September 2020. Besonders groß war der Stimmenrückgang der Grünen im Vergleich zur Europawahl in den Städten Hamm und Solingen (jeweils – 41 %) sowie in Oberhausen  (- 42 %), Hagen und Remscheid (- 46 bzw. 48 %).

AfD verliert an Zuspruch

Deutlich weniger Stimmen als bei der Bundestagswahl 2017 erhielt bei der Kommunalwahl 2020 die AfD, deren Anteil von 7,0 Prozent aller Wahlberechtigten um 63 Prozent auf 2,6 Prozent schrumpfte.

Mehr Nichtwähler in den kreisfreien Städten

Die Zahl der Nichtwähler war in den kreisfreien Städten größer als in den Landkreisen: So beteiligte sich in 16 der 23 kreisfreien Städte (einschließlich der Stadt Aachen), aber nur in 3 der 31 Landkreise (einschließlich des alten Landkreises Aachen) über die Hälfte der Wahlberechtigten nicht an der Wahl oder  gab eine ungültige Stimme ab. Die „Partei der Nichtwähler“ war zahlenmäßig am stärksten in der Stadt Duisburg, am geringsten in der Stadt Münster.

Oberbürgermeisterkandidaten zunächst weniger Stimmen als die Partei



Dass die Entscheidung der Wähler bei lokalen Wahlen keinesfalls – wie oft zu hören – ein bloßer Reflex der politischen Großwetterlage ist, sondern vom Zustand der örtlichen Parteien und vor allem deren personalem Angebot abhängt, belegt auch ein Vergleich der Personenstimmen im ersten Wahlgang mit den Stimmen der die Kandidaten tragenden politischen Parteien. So haben vier Oberbürgermeisterkandidaten beziehungsweise Kandidatinnen im ersten Wahlgang weniger Stimmen erhalten als die Partei oder Parteigruppen, die sie nominiert hatten. Die anderen 19 Kandidaten aber erhielten mehr Stimmen als „ihre“ Partei. Bei der in 15 kreisfreien Städten (einschließlich der Stadt Aachen) erforderlichen Stichwahl erhielten die Gewählten mehr Stimmen als im ersten Wahlgang. Nur 3 erhielten in der Stichwahl weniger Stimmen.



Allerdings war die Wahlbeteiligung in allen kreisfreien Städten und Landkreisen, in denen eine Stichwahl erforderlich wurde, deutlich niedriger als im ersten Wahlgang. Im Durchschnitt der 15 Städte sank die Wahlbeteiligung von 50,5 auf 38,7 Prozent, im Durchschnitt der 11 Landkreise sogar noch stärker von 52,3 auf 33,3 Prozent. In 24 der 26 kreisfreien Städte und Landkreise, in denen eine Stichwahl erforderlich war, siegten die Bewerber, die schon im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten hatten. Das nährt Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer Stichwahl.

Grafik Wähler-Nichtwähler bei NRW-Kommunalwahl 2020



Märchen wurden auch bei dieser nordrheinwestfälischen Kommunalwahl wieder einmal über die die Wahl entscheidenden Themen verbreitet. So meinte der Bonner Politologe Frank Decker unter Berufung auf Angaben des WDR, dass bei dieser Kommunalwahl „nicht die Abwehrmaßnahmen gegen die Pandemie oder ihre Folgen für die Wirtschaft, sondern der Klimaschutz“ wahlentscheidend gewesen sei. Doch das ist großer Unfug. So spielten etwa in der Stadt Dortmund, wo die Grünen immerhin zweitstärkste Partei wurden, wie auch in anderen Städten, in denen forsa vor der Kommunalwahl Umfragen durchgeführt hatte, die Umwelt und der Klimawandel so gut wie keine Rolle.

Neben der Bewältigung der Corona-Krise waren die Verkehrsprobleme, der Dreck in der Stadt, die Lage am Arbeitsmarkt, die Kriminalität und die Sicherheit in der Stadt, der Zustand der Schulen und das Ausmaß des Rechtsextremismus die Probleme, die die Bürger bewegten und Einfluss auf ihre Wahlentscheidung hatten.