Weg mit den Einkaufsmeilen in der Innenstadt - lasst es endlich wieder menscheln in den Städten, fordert Christian Erhardt
Weg mit den Einkaufsmeilen in der Innenstadt - lasst es endlich wieder menscheln in den Städten, fordert Christian Erhardt
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Leitartikel

Ist das Innenstadt oder kann das weg?

Pandemie und Inflation wirken auf die Innenstädte gerade wie Meteoriteneinschläge. Doch mausetot waren die Einkaufsmeilen schon vorher. „Weg mit den Malls, es muss endlich mehr menscheln in unseren Innenstädten“ fordert Christian Erhardt und macht Vorschläge für die Innenstadt der Zukunft.

Die Innenstadt von gestern hat viele Namen: Hertie, Horten, Kaufhalle, jetzt Peek und Cloppenburg. Der Niedergang der Kaufhäuser ist nicht aufzuhalten. Auch nicht bei Galeria Karstadt Kaufhof – allein der Name klingt schon nach Geschichte des Scheiterns. Daran wird auch das gefühlt siebenundachtzigste Sanierungskonzept nichts ändern. Und das ist gut so! Schon in den 90er Jahren gewannen Einkaufszentren an den Rändern der Stadt an Beliebtheit. Vor allem weil sich die Landbevölkerung dadurch den umständlichen und meist wegen der Parkgebühren teuren Weg in die nächste Stadt sparen konnte. Insbesondere, nachdem die Großstädte den Autofahrern den Kampf ansagten. Mit Elektronikfachmärkten, früher eine Domäne der Kaufhäuser, begann zudem das Zeitalter der Spezialisierung. Sportgeschäfte und eigene Shops von Markenherstellern kamen hinzu. Schöpferische Zerstörung nennen Fachleute solche Prozesse.

Das Internet war nicht der Killer der Innenstadt 

Und nein: Das Internet war definitiv nicht der Sargnagel der Innenstädte. In den 70er Jahren betrug der Anteil der Katalog-Warensendungen über Quelle und Co rund acht Prozent des Gesamtmarktes. Das Internet hat aktuell einen Anteil am Gesamtmarkt von gut 12 Prozent. Es mag damit ein Problem der Innenstädte sein, aber nicht DAS Problem.

Zunächst einmal sind die großen Warenhäuser selber schuld. Ihr Tafelsilber haben sie im Wahn der vermeintlichen Optimierung lange selbst verkauft. Gehörten die Gebäude früher in vielen Städten den Warenhauskonzernen, wurden die Liegenschaften verkauft um sich später über die steigenden Mieten zu beschweren.

Am Markt oder aktuell der Inflation liegt es auch nicht – die Deutschen werden sogar immer kauffreudiger. In diesem Jahr wird der Einzelhandelsumsatz auf den Rekordwert von 650 Milliarden Euro steigen. Ein weiterer Sargnagel: Die völlige Beliebigkeit vor allem vieler Großstädte. Wer sich mit verbundenen Augen in eine Einkaufsmeile stellt und die Augenbinde dann abnimmt, kann kaum wissen, ob er sich gerade in Dortmund, Leipzig oder Hannover befindet. Einöde der immer gleichen Ketten, wohin das Auge blickt.



Also bitte keine Krokodilstränen. Die Einkaufstempel taugen schon lange nur noch für Nostalgie. Für mich sind sie maximal Erinnerung an meine Kindheit, als ich mit meinen Eltern in der Sommerzeit an einem Samstagmorgen in die nächste Großstadt fuhr um ein riesiges Glitzerparadies zu sehen, in dem es alles zu kaufen gab. Heute reicht dafür ein Klick, auch hier auf dem Land.

Innenstadt 1

Das Ende von Galeria und Co ist eine Chance für unsere Innenstädte

Eine Chance, die Emotionen meiner Kindheit ins 21. Jahrhundert zu übersetzen. Städte, vor allem kleinere und mittelgroße, müssen mir eine Geschichte erzählen. Müssen mich emotional ansprechen. Lebendig und lebenswert sind die Stichworte. Shopping muss wieder zum sozialen Ereignis werden. Dinge bieten, die das Internet eben nicht kann. Produkte in den Warenkorb legen und bezahlen, dafür braucht es keine Innenstadt. In unseren Städten muss es endlich wieder menscheln!

Die Stadt Wassenberg, eine 19.000 Einwohner-Kommune an der niederländischen Grenze hat das vorbildlich umgesetzt. Leitgedanke beim Umbau der Innenstadt dort war: „Wir wollen hier nichts anbieten, was es nicht auch woanders im Umkreis von 20 Kilometern gibt“. Mit dieser Idee hat sich die Stadt mit Händlern, Gastronomen, Dienstleistern, Landwirten, Handwerkern und Künstlern aus dem Ort zusammengesetzt. Entstanden sind neben neuen, vor allem kleinen Geschäften auch eine Reihe von Events, wie etwa ein großes Spargelfest. Die Besucher der Events sollten zu Dauerkunden werden, weil sie hier finden, was es im Umkreis eben nicht gibt: Feiern, trinken, gutes Essen und Beisammensein.

Innenstadt 2

Die Zukunft der Innenstadt ist vor allem die Zukunft der Kleinstadt 

Menscheln heißt einmalig zu sein, etwas Besonderes zu bieten. Es sind übrigens nicht die Metropolen, sondern vor allem die kleinen und mittleren Städte, die sich schnell umstellen können. Sie können neben regionalen und lokalen Händlern auch vermehrt lokale Handwerker in die Stadt locken. Den Pullover von Schafen, die vor den Toren der Stadt leben, gibt es eben nur hier, im ländlichen Raum. Das kann keine Metropole der Welt bieten, auch nicht das Internet. Und dank moderner Maschinen und Roboter bietet mir der lokale Schreiner auch wieder ein Regal nach Maß. Dann wird der Schrank eben passend zum heimischen Wohnzimmer fünf Zentimeter breiter gefertigt. Da kann die zentrale Fertigung aus Fernost einpacken.

Gerade kleinste Dörfer haben so wieder die Möglichkeit lokale Wertschöpfung zu betreiben statt die Euros durch die Welt zu schicken. Die Antwort auf die Globalisierung sind also abwechslungsreiche und lokal geprägte Städte, die nicht mehr von monotonen Ketten geprägt werden. Vielleicht dürfen wir an dieser Stelle sogar dem Corona-Virus mal dankbar sein. Vorher siechten viele Innenstädte schleichend dem Niedergang entgegen. Jetzt sehen wir, dass wir endlich etwas tun müssen. Es reicht nicht mehr aus, mit viel Geld sterbende Strukturen zu bewahren. Und das ist gut so, denn Zukunft kann man nur im „Jetzt“ verändern. Packen wir es an! Denn Handel heißt Wandel!