©Fotolia

Kaserne a.D. - Adé Kaserne

24. März 2015
2011 fiel die Entscheidung 31 Bundeswehrstandorte zu schließen und 60 weitere zu verkleinern. Viele betroffene Gemeinden waren überrascht und enttäuscht. KOMMUNAL hat nachgefragt, wie es vier Jahre danach vor Ort mit der Konversion aussieht.

Kahlschlag oder Chance? Das war und ist die große Frage für die von den Reformen betroffenen Gemeinden. Seit 2010 unter dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die Entscheidung fiel, aus der Wehrpflicht eine Berufsarmee zu formen, zog die Angst vor Schließungen durchs Land. Jeder Garnisonsstandort hoffte, es würde andere treffen. Und jede Reduzierungsentscheidung zog energische Kritik aus den betroffenen Regionen nach sich.
Der Empörung folgten die Mühen der Ebene. Eine Zwischenbetrachtung fällt recht unterschiedlich aus.
Die Schließung des Bundeswehrstandortes hätte für das Baden-Württembergische Immendingen das wirtschaftliche Aus bedeutet. Über Jahre hinweg kündigte sich das Ende der militärischen Nutzung an. Daher betrieb die Kommune kurzerhand selbst die Konversion und bat um die Schließung. Die Aussicht auf eine Alternative erleichterte es, dem Militär nach gut 50 Jahren Adieu zu sagen.
Auf dem einstigen Übungsgelände möchte die Daimler AG ein "Prüf- und Technologiezentrum" betreiben. Seit April 2012 gibt es in der Stadt das "Daimler Forum ", ein Informationszentrum, das allen Bürgerinnen und Bürgern offen steht. 2013 vereinbarten der Konzern und das Verteidigungsministerium die schrittweise Freigabe der Liegenschaften. Wenn 2017 der volle Testbetrieb läuft, wird Daimler 200 Millionen Euro investiert haben.
Am Standort Immendingen sollen Pkw und Transporter des Stuttgarter Herstellers über Teststrecken rollen. Die Umweltbelastung soll deutlich geringer ausfallen als beim Militär. Geringer ist allerdings auch die Zahl der Arbeitsplätze. 300 Beschäftigten im Technologiepark stehen 970 Bundeswehrangehörige und 120 Zivilbeschäftigte gegenüber.
Mit der Vermarktung der Militärgelände ist die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) betraut. Momentan beschäftigt sie sich mit ca. 160 Liegenschaften. Die Bundeswehr gibt sie bis zum Jahr 2020 frei, bislang rund 60 Objekte. Zehn davon behält der Bund. 20 Liegenschaften und Teilflächen, darunter Dienstgebäude und Kreiswehrersatzämter hat die BImA bisher veräußert.
Zügig geht das, wenn keine aufwändigen Untersuchungen nötig sind und das Baurecht vorliegt. Kommunen halten sich bislang als Erwerber die Waage mit privaten Investoren. Im Koalitionsvertrag vereinbart, aber noch nicht vom Bundestag beschlossen, ist die Möglichkeit für Kommunen, Konversionsflächen verbilligt zu erwerben.
Für die BImA zählt, was für Immobilien immer entscheidend ist: die Lage. Als „marktfern“ gelten Konversionsflächen im strukturschwachen oder ländlichen Raum. Bei schwierigen Fällen will die BImA Nischenlösungen finden und mit Alleinstellungsmerkmalen werben. Den Immobilienspezialisten ist jedoch klar, dass Militärgelände echte „Verwertungshindernisse“ aufweisen können.
Schadstoffe in Böden, Munitionsreste, fehlende Entwässerungen, Vorgaben des Naturschutzes, unterirdische Bunker – all dies erfordert ein sehr breites Herangehen des Verwerters zusammen mit Ländern und Kommunen. Die Konversion wird so ganz praktisch von der regionalen zur nationalen Aufgabe.
Auch für Deutschlands nördlichste Stadt ist die Standortschließung eine Chance. Seit 1956 befand sich hier das Flottenkommando der Marine – in traumhafter Lage, direkt an der Küste der Flensburger Förde. „Besser geht’s nicht“, sagt Bürgermeisterin Kristina Franke. Die Top-Immobilie wird nicht lange auf Investoren warten, ist sie sich sicher.
2012 gab die Marine ihren Ausstand, doch es ist ein Abschied auf Raten. Die unterirdische Kommandozentrale, das „Maritime Operations Centre MOC“ wird weiter betrieben, bis in Rostock ein neues Objekt bezugsfertig ist. Damit bleiben 400 Soldaten und Zivilbeschäftigte von einst 920 am Standort und Marineblau in Glücksburg als Farbe im Stadtbild, zumindest bis 2016.
Kristina Franke kann sich vieles vorstellen: Tourismus, Wohnpark, Klinikareal. Am liebsten wäre ihr, ein Investor übernehme alles. Die soliden, zweigeschossigen Klinkerbauten bilden ein attraktives Ensemble, das nicht den spröden Charme einer Kaserne verströmt. Seit Anfang 2015 gibt es eine Arbeitsgemeinschaft zur Stadtentwicklung, die den Bewohnern offen steht.
Einen Teilabzug gibt es auch in Ulm. Trotz der Schließung von zwei Kasernen ist von Untergangsstimmung keine Spur. 2015 räumen die Soldaten die Hindenburg-Kaserne, 2018 folgt die Bleidorn-Kaserne. Das Kommando Operative Führung und das Bundeswehr-Krankenhaus werden in der Stadt und die Bundeswehr damit als ein zentraler Wirtschaftsfaktor bleiben. Die Mehrzahl der in der Stadt Beschäftigten pendelt ohnehin täglich.
Zentral im Stadtgebiet gelegen, ist die Hindenburg-Kaserne sehr attraktiv. Ulm hat das Geld, die Immobilie zu erwerben. Die Stadt sieht auf dem fast 9 Hektar großen Gelände künftig ein innovatives Stadtquartier mit Wohnungen für bis zu 2.500 Menschen. Zwischenzeitlich könnten einige Bauten zur Unterbringung von Flüchtlingen dienen. Studenten fänden hier künftig ebenfalls Wohnraum. Eine Ideenwerkstatt setzt auf breite Beteiligung der Bürger.
Seit 2001 ist Peter Dirks ehrenamtlicher Bürgermeister im Schleswig-Holsteinischen Seeth. Für ihn ist die Schließung eine Schreibtischtat: „Von denen war nicht einer hier.“ Dirks hat zu den 42 eingezäunten Hektar eine Machbarkeitsstudie und eine Biotopkartierung und dennoch schlechtere Karten als andere. Daß sich zwei Landkreise, Schleswig und Nordfriesland, das Konversionsgebiet teilen, macht die Sache nicht einfacher. Zwei Bauämter haben mit das Sagen, was künftig hier geschieht.
Die Seether Kaserne hat besten Breitbandanschluß, eine Waschanlage, Tankstelle, viele Hallen mit Kränen, doch bis zur nächsten Autobahn sind es 20 Kilometer. Ab Ende Juni steht der Komplex, leer. Dirks wünscht sich, wie viele Kollegen in ähnlicher Situation, den einen Investor. Einen Interessenten gibt es schon. Der Bürgermeister hält ihn lieber geheim. Er weiß, dass die Zeit drängt.
Einen ruinösen Schandfleck möchte Dirks hier nicht haben. „Wir haben die Kaserne nicht gewollt“, sagt er, doch sie habe 30 Jahre lang viele Familien der 600-Seelen-Gemeinde ernährt. 100 Einwohner fielen durch die Schließung weg, die als Inhaber von Zweitwohnsitzen zählten. Als Folge davon ist bereits die Schlüsselzuweisung für Seeth um 30.000 Euro reduziert.
Fahrschulen, ein Ärztezentrum – für Dirks ist manches denkbar. Die alleinige Zuständigkeit eines Landkreises hält er für notwendig. Wer sich jetzt verzettele und Fehler macht, so weiß der gelernte Maurer, werde die Folgen lange zu tragen haben: „Wenn der erste Stein falsch liegt, dann wird das ganze Gebäude schief.“
Konversion ist notwendig, aber ist auch jede der beschlossenen Maßnahmen an jedem der vorgesehenen Standorte sinnvoll? Im hessischen Rotenburg an der Fulda gibt es seit 1962 die Ahlheimer-Kaserne. 40 Millionen Euro an Steuergeldern flossen ab 2007, wie Bürgermeister Christian Grunwald betont, bis zur Schließungsentscheidung und auch noch danach für die Sanierung in den Komplex. Wo einst rund 1.000 Soldaten und Zivilbeschäftigte Arbeit hatten, steht jetzt nur noch eine Kompanie Feldjäger recht verloren da. „Diese Schließung ist nicht vermittelbar, nicht politisch und kaufmännisch auch nicht“, so Grunwald.
Er vermutet hinter der Schließung politische Motive. Das Verteidigungsministerium reagiert auf seine Briefe mit stereotypen Dreizeilern oder gar nicht mehr. Warum die Soldaten von Rotenburg weg in schimmelige Unterkünfte ziehen sollten, ist dem Bürgermeister unerklärlich. Chancen für eine zivile Nutzung sieht er nicht. Eine Machbarkeitsstudie, für 100.000 Euro anteilig vom Land und der BImA finanziert, hat ergeben, dass über 20 Kilometer Distanz zu Autobahnanschlüssen für Gewerbe ebenso unattraktiv sind wie der Umstand, mit Lkw die historische Altstadt durchqueren zu müssen.
So hat Rotenburg einen top sanierten Ladenhüter. Vollmundige Prognosen brachten keine Käufer und auch nicht die vielen Kontakte. Besser für alle Beteiligten, so Christian Grunwald, wäre die Weiternutzung. Die Bundeswehr hätte hier auch keine Nachwuchssorgen wie an anderen Standorten, wo sie mit attraktiven zivilen Arbeitgebern konkurriere. Mit der unsinnigen Schließung werde der Bund zum Totengräber des ländlichen Raumes, so der Bürgermeister.
Grunwald sieht Berlin in der Pflicht, die gesamte Struktur des Landes im Blick zu halten. Er hofft auf Einsehen oder veränderte sicherheitspolitische Prioritäten. Meldungen zur Stärkung der Panzertruppe, mögliche Korrekturen der bisher als unumstößlich geltenden Reform und die mögliche Erhöhung des Wehretats lassen ihn und andere hoffen. Doch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen lehnte es jüngst ab, die Entscheidung gegen Rotenburg zu revidieren. Aufgeben will der kämpferische Bürgermeister dennoch nicht.

Schlagwörter