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  1. Politik
  2. Junge Kommunalpolitiker: Das Fell wird dicker!
Nurgül Senli und Ahmed Béjaoui
Nurgül Senli und Ahmed Béjaoui
© Privat

Migrationshintergrund

Junge Kommunalpolitiker: Das Fell wird dicker!

von Annette Lübbers
Reporterin
24. Februar 2025
Sie ist die Enkelin von kurdischen Gastarbeitern, er ist aus Tunesien eingewandert. Beide engagieren sich in der Kommunalpolitik. Sie in Rostock, er in Chemnitz. Ein Gespräch mit Nurgül Senli und Ahmed Béjaoui über Fremdenfeindlichkeit im Wahlkampf, Parteien im Sinkflug, Sippenhaftung und Solidarität.

KOMMUNAL Frau Senli, Herr Béjaoui, warum engagieren Sie sich politisch?

Nurgül Senli: Als Enkelin von Einwanderern habe ich früh Ausgrenzung und Rassismus erlebt. Mein Weg zum Studium war sehr steinig, weil ich – nicht unüblich in Deutschland – zunächst nur auf die Hauptschule gehen durfte. Ich möchte mitreden und mitgestalten. Soziale Gerechtigkeit, ein fairer Umgang miteinander, Ungleichheiten abbauen und Benachteiligungen beseitigen – nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund! Das sind meine Themen.

Ahmed Béjaoui: Im Jahr 2015, zwei Wochen nach meiner Ankunft in Chemnitz, bin ich das erste Mal auf der Straße angegriffen worden. Damals habe ich mir gesagt: Ich will nicht nur über all das reden, was in Deutschland schlecht läuft, auch, aber nicht nur im Bereich Migration. Ich will mich dafür einsetzen, dass Dinge besser werden. Meckern ist mir zu einfach.

Sie sind bei den Kommunalwahlen im Sommer 2024 angetreten. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Nurgül Senli: Beim Aufhängen von Wahlplakaten sagte mir ein Mann, den ich davon abhalten wollte, Plakate wieder herunterzureißen: „Du siehst doch auch aus wie eine Kanakin – euch sollte man alle an die Wand stellen.“ Ich war wütend, fühlte mich ohnmächtig und hatte Angst. Der Mann war nicht allein und ich wusste: Noch ein Satz oder eine falsche Bewegung und der Mann schlägt zu. Beschimpfungen ist man als Politikerin gewohnt. Aber die Qualität des Hasses hat zugenommen. Es tut nicht mehr so weh wie am Anfang, das Fell wird dicker. Trotzdem bleibt es schwer.

Ahmed Béjaoui: Mir ging es auch nicht besser. Ich musste mir anhören, dass Leute wie ich erschossen gehören. Angespuckt zu werden ist schon Normalität. Wenn ich darüber nicht lachen würde, dann würde ich von solchen Sätzen und den hasserfüllten Blicken wahrscheinlich krank. Ich muss ehrlich zugeben: Ich hatte Momente, in denen ich abhauen wollte. Aber meine Mutter sagte: Ahmed, Du wirst nicht aufgeben und alles wegwerfen, was Du Dir aufgebaut hast. Stattdessen habe ich einen besseren Weg gefunden: Ein Teil der Veränderung sein, die wir einfordern. Vielleicht können wir den ein oder anderen Menschen dafür gewinnen, sich für eine andere, eine bessere Gesellschaft einzusetzen.

Nurgül Senli: Es trifft auch nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund. Sorge macht mir vor allem: Früher haben wir böse Blicke bekommen, einen dummen Spruch – und dann waren die Menschen schnell in der Menge verschwunden. Heute sind die Pöbler auch noch stolz – weil sie sich als Vorkämpfer der angeblich schweigenden Mehrheit verstehen. Die schweigende Mehrheit, das sind aber die anderen, die Menschen guten Willens.

Wie erklären Sie sich die Erfolge der AfD?

Nurgül Senli: Wir Linken kommen bei den Menschen einfach nicht mehr durch, auch weil wir so stark mit uns selbst beschäftigt waren. Dabei haben wir gerade für die Menschen, die sich abgehängt und benachteiligt fühlen, Lösungen im Angebot. Ganz im Gegensatz zur AfD. Mit ein Grund für den Erfolg im Osten sind sicherlich auch die dortigen schwächeren Parteienbindungen. Ich kenne sowohl den Osten als auch den Westen recht gut. Die Ungleichheit wächst hüben wie drüben. Ich befürchte, dass die Protestwähler nur die Minderheit bilden. Ich habe den Eindruck, dass die meisten AfD-Wählerinnen und Wähler genau wissen, was sie tun. Das Hauptproblem: Die etablierten Parteien machen alle eine Politik auf dem Rücken und nicht für den sogenannten kleinen Mann. Das Erstarken der AfD ist die Quittung dafür.

Ahmed Béjaoui: Wir sollten mehr von der AfD lernen.

Was meinen Sie damit?

Ahmed Béjaoui: Natürlich nicht von den parteipolitischen Inhalten. Aber von der Art, wie sie ihre Standpunkte in die Bürgerschaft tragen. Die sind viel näher dran an den Menschen. Davon sollten wir uns was abgucken. Und wir brauchen mehr politische Bildung in den Schulen und die politische Bildung muss deutlich effizienter werden. Politik zu durchschauen ist ja nicht nur für junge Menschen zunehmend ein Problem.

Stichwort junge Menschen. Gerade in der jungen Generation verfangen die politischen Thesen der AfD besonders gut. Woran liegt das?      

Ahmed Béjaoui: Mein Opa hat immer gesagt: Es gibt keine dummen Kinder, es gibt nur dumme Lehrer. Da ist was dran. Ich begleite viele junge Menschen im Alltag und spreche auch mit deren Eltern. Manchmal bin ich entsetzt, dass ich als gebürtiger Tunesier mehr über die deutsche Geschichte weiß als viele, die hier eine Schule besucht haben.  

Nurgül Senli: Ich halte es für fatal, dass wir bei jeder Haushaltskürzung dort kürzen, wo Zukunft sich entscheidet: Bildung, Soziales, Inklusion, Integration. Das betrifft junge Menschen besonders oder wird sie in der Zukunft besonders betreffen. Und das ist brandgefährlich. Ein ebenso großes Problem ist die immer größere Komplexität unserer Welt. Die Menschen, gerade auch die jungen, erwarten aber auf komplexe Sachverhalte einfache Antworten.  Das kann so nicht mehr gelingen. Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass die Menschen zunehmend das Gefühl haben, dass die Politik mit ihren Sorgen und Ängsten zu spielen scheint und sie nicht zum Leitfaden für ihre Politik macht.

Es droht eine weitere Zersplitterung der Parteienlandschaft und die Unmöglichkeit, Koalitionen zu bilden.  Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Nurgül Senli: Als eine nicht minder gefährliche. Am Ende des Tages muss jede Partei mit einer demokratischen „Verfassung“ für eine Koalition infrage kommen. Stattdessen wird die Linke genauso als regierungs- und koalitionsunfähig eingestuft wie die AfD. Teilweise empfinde ich diese Diskurse nur noch als kindisch. Statt eine große und die Menschen einigende Agenda gemeinsam voranzubringen, verlieren wir uns im Klein-Klein. Das darf so nicht weitergehen.   

Welche Vorurteile erleben Sie?

Ahmed Béjaoui: Wenn ein Mann mit arabischen Wurzeln in der Republik ein Attentat oder ein Verbrechen begeht, dann bin ich – wortwörtlich – der Cousin dieses Mannes. Das ist eine traurige und sehr beängstigende Form der Sippenhaft.   

Nurgül Senli: Neu ist das natürlich nicht, aber es ist, mein Kollege hat völlig Recht, traurig und beängstigend. Genauso traurig finde ich in diesem Zusammenhang die politischen Scheindebatten: Nach dem Messerattentat von Solingen haben wir nicht über die Abwehr von islamistischem Terror gesprochen, sondern über die Abschiebung von unbescholtenen Migranten. Da werden unterschiedliche Themen vermischt und am Ende landen wir immer bei den Menschen mit ausländischen Wurzeln. Als läge in diesem Bereich die Lösung für alle Probleme, die dieses Land hat.

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