Silent Rider
Bikersaison - Motorradlärm Kampf angesagt
Mühlbach, ein kleiner Ort in der Sächsischen Schweiz. Seit 1986 schon wohnt Bärbel Lehmann hier mit ihrem Mann im eigenen Haus. Ein schönes Fleckchen, keine 30 Kilometer südöstlich von Dresden entfernt. Das Erzgebirge und das Elbsandsteingebirge ganz in der Nähe: Wer hier schon einmal gewandert ist, weiß, wie es ist, wenn es still in einem wird und der Alltagsstress mit jedem Schritt weiter zurückbleibt. Wald und Berge und der Blick auf bizarre Felsformationen locken aber nicht nur Wanderer, sondern auch Biker. Denn: Je kurviger die Straße, desto größer das Vergnügen. „Zu Spitzenzeiten kommen bis zu 1000 Biker an einem Tag an unserem Haus vorbei“, erzählt Bärbel Lehmann. „Der Lärm ist ohrenbetäubend. An Himmelfahrt war es voriges Jahr so schlimm, dass wir nachmittags die Enkelkinder aus dem Sandkasten im Garten hinterm Haus nehmen mussten.“
Die Zahl der Motorräder nimmt zu, der Motorradlärm auch
Seit Jahren nimmt die Zahl der Motorradfahrer in Deutschland zu. Voriges Jahr wurden über 17 Prozent Motorräder mehr zugelassen. 4,5 Millionen Krafträder sind registriert, knapp 16,5 Millionen Deutsche haben einen Motorrad-Führerschein. Die deutsche Motorradbranche setzt pro Jahr 11,6 Milliarden Euro um, etwa 130.000 Arbeitsplätze hängen von ihr ab. „Eines der geilsten Gefühle der Welt“, schwärmen Biker in Foren über die Faszination Motorradfahren.
Die Anwohner zahlen für das „geilste Gefühl der Welt“ mancher Biker einen hohen Preis: Der Lärm ruiniert ihre Nerven und langfristig ihre Gesundheit. Wochenend-Erholung im Garten? Oft gar nicht mehr möglich. „Die Genussfahrer sind ja nicht das Problem“, sagt Bärbel Lehmann, „sondern die „Lärmchaoten, die Knieschleifer“, wie sie die Motorradfahrer nennt, die auf der immer gleichen Strecke ihre Rennen fahren und sich auf hochgetunten, dröhnenden Maschinen fast bis aufs Knie in die Kurve legen. Viele Maschinen erreichen die Lautstärke eines Presslufthammers.
Ist es nicht verrückt? Wir dürfen sonntags nicht mal Rasenmähen, aber dieser Wahnsinns-Dauer-Lärm, der ist erlaubt.“
Zusammen mit elf anderen lärmgeplagten Anwohnern hat Bärbel Lehmann die Interessensgemeinschaft Müglitztal gegründet, sie ist auch Mitglied bei der Initiative Silent Rider, außerdem engagiert sie sich im Vorstand der „Vereinigten Arbeitsgemeinschaft gegen Motorradlärm“.
Die Hilferufe blieben nicht ungehört. Deutschlandweit führen inzwischen Bürgermeister und Politiker auf Landes- und Bundesebene den Kampf gegen den Motorradlärm. Dabei konnten Sie Erfolge erzielen. „Es ist wohl einmalig, dass der Bundesrat eine Initiative von außen derart unterstützt“, stellt Karl-Heinz Hermanns, Vorsitzender von Silent Rider fest. Der langjährige Bürgermeister der Eifel-Gemeinde Simmerath hat mit seinen Mitstreitern dafür gesorgt, dass das Thema im Mai vorigen Jahres in der Länderkammer ankam.
Zuerst ein loser Verbund von acht Eifelgemeinden, gründete sich Anfang 2019 im Rathaus von Simmerath die Initiative, die inzwischen ein Verein ist. Silent Rider heißt übersetzt stiller Reiter. „Momentan sind wir 49 Mitglieder, davon 40 Kommunen und Landkreise aus sieben Bundesländern“, berichtet Hermanns. „Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Sachsen, aber auch Hessen, Bayern und Baden-Württemberg.“
Was will Silent Rider? „Wir sind angetreten, um bundesweit für die Reduzierung von Verkehrslärm, speziell durch die Motorräder, einzutreten“, betont Hermanns. Was ihm wichtig ist: „Wir sind nicht gegen das Motorradfahren, sondern gegen die Krachmacher, die ihre Motorräder manipuliert haben und mit ihrer Fahrweise unnötigen Lärm erzeugen“. Sogar der Bundesverband der Motorradfahrer gehöre der Initiative an.
Kernforderungen von Silent Rider sind geringere Lärmgrenzwerte, Strafen für technische Manipulationen und effektivere Messverfahren zur Geräuschentwicklung. Die Vollmitgliedschaft bei Silent Rider kostet einmalig zwischen 1000 und 5000 Euro, je nach Größe und Finanzkraft des Mitglieds, wie der Leiter der Geschäftsstelle, Dennis Winands erläutert. Grundsätzlich könne man aber auch als Privatperson mit 10 Euro jährlich als Förderer beitreten. Mit dem Geld wird die bundesweite Kampagne finanziert.Auch die Verbandsgemeinde Altenahr in Rheinland-Pfalz gehört Silent Rider an. Die Ahreifel gilt als Traum für jeden Motorradfahrer. Reiseanbieter werben für Motorradtouren in einer der "aufregendsten und vielseitigsten Regionen" auf dem Weg zur bekannten Rennstrecke, dem Nürburgring. Vor allem in jenen Orten, die an den Hauptzufahrtsstraßen zur Rennstrecke liegen, sei die Situation von Frühjahr bis Herbst unerträglich geworden“, beklagt Bürgermeisterin Cornelia Weigand. "Viele Motorradfahrer scheinen unsere Straßen mit dem Nürburgring zu verwechseln.“
Lärmdisplays helfen den Lärm zu verringern
Immer mehr Kommunen haben inzwischen Lärmdisplays am Straßenrand installiert. Damit appellieren sie an die Motorradfahrer, Rücksicht zu nehmen. Ein solches rund 15.000 Euro teures Gerät erkennt zu laute Motorräder durch Sensoren und ermahnt über die blinkende Anzeige, leiser zu fahren. Das System zeigt Wirkung: Display-Prototypen, die das Land Baden-Württemberg beschafft hatte, sorgten dafür, dass der Lärm sich durchschnittlich um 1,1 bis 2,2 Dezibel verringerte. Der Anteil der Motorradfahrer, die besonders laut vorbeifuhren, sank um 40 Prozent.
Ein großer Erfolg: Der Bundesrat hat die Bundesregierung aufgefordert, sich bei der EU-Kommission für strengere Lärmemissionswerte einzusetzen. Die in der EU geltenden Grenzwerte bei der Zulassung neuer Motorräder sollen auf maximal 80 Dezibel Geräuschemissionen begrenzt werden. Schon jetzt gilt, dass Motorräder, die seit 1. Januar 2016 neu zugelassen wurden, den Grenzwert von 77 Dezibel einhalten müssen. Bei den Tests wird die Lautstärke jedoch nur auf einer kurzen Strecke gemessen, in der die Maschine beschleunigt. Dabei erreicht sie aber nicht ihre spätere Geschwindigkeit. Auch das unzulässige Tunen von Motorrädern soll härter bestraft werden. Zudem fordern die Länder das Recht für Polizisten, Fahrzeuge bei gravierenden Lärmüberschreitungen sofort sicherzustellen. Raser dürften nicht länger häufig einer Strafe entgehen, weil sie wegen der Helmpflicht und fehlenden Frontkennzeichens am Motorrad nicht erkannt würden. Und: An Sonn- und Feiertagen sollen zeitlich beschränkte Verkehrsverbote für Motorräder erlassen werden. Davon ausgenommen Maschinen mit alternativen Antriebstechniken.
Auch unter Bürgermeistern sind Motorradfans. "Das Gefühl beim Fahren kann man kaum beschreiben", sagt Ralf Müller, Bürgermeister der sächsischen Stadt Dohna. Er sagt aber auch:"Motorradfahren muss weder laut noch besonders schnell sein." Privat sei bei seinem Auto der E-Antrieb einbezogen und das Fahrgefühl werde ohne Lärm nur besser. Warum soll das beim Bike anders sein?"
Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte-und Gemeindebundes, ist ebenfalls begeisterter Motorradfahrer. "Die große Mehrheit der Fahrerinnen und Fahrer verhält sich korrekt", unterstreicht er. Sein Appell: "Wir brauchen vernünftige Kompromisse vor Ort, um den Lärm zu reduzieren. Hier sind auch die Hersteller gefordert".
Der Bürgermeister von Bretten, Martin Wolff, fährt seit über 40 Jahren Motorrad. Er sagt: "Extrem laute Maschinen haben auf unseren Straßen nichts verloren." Damit werde die Gesundheit anderer Menschen gefährdet. Er bezeichnet sich als Wanderfahrer. "Mir geht es um den Naturgewinn und nicht unbedingt ums schnelle Fahren."
Gegen den Beschluss des Bundesrates protestierten in zahlreichen Städten Tausende von Bikern mit knatternden Maschinen. Eine Online-Petition gegen Fahrverbote von Motorrädern an Sonn- und Feiertagen haben 205.165 Unterstützende unterschrieben. „Das Problem Motorradlärm ist absolut ungelöst“, kritisiert nicht nur der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann. „Der Bund muss endlich handeln.“ Die Bürgermeister lassen nicht locker, die Länder auch nicht.