Jugendliche im Gespräch
Jugendliche begleiten - Streetworker brauchen dafür Unterstützung.
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Jugendarbeit

Das können Streetworker leisten

Statt von den Streetworkern „Aufräumarbeit“ zu erwarten, sollte der kommunale Ansatz ein anderer sein. Wie Streetworker in der Jugendarbeit erfolgreich sein können und welche Unterstützung sie dabei brauchen!

Man kennt sie aus Filmen und Jugendserien – jene Streetworker, die als Rastahaar-Träger und coole Typen auf die Straße gehen, um Teil der Clique zu werden und Zugang zu finden zu den Herzen und Köpfen der Jugendlichen. In der Realität sind die meisten Streetworker weit entfernt vom Klischee. „Das sind ganz normale Menschen“, sagt Nora Görke, die Bürgermeisterin der Stadt Kyritz. Schließlich gehe es bei der Arbeit der Streetworker darum, sich mit den Jugendlichen zu verständigen  und dazu müsse man nicht „zwangsmäßig hip“ sein. In der Hansestadt Kyritz im Nordwesten von Brandenburg sind schon seit vielen Jahren Streetworker im Einsatz, die sich um das Wohl der Jugend kümmern sollen. „Es geht darum, die Plätze zu besetzen, den Jugendlichen Angebote zu machen und mit ihnen zu sprechen“, sagt Bürgermeisterin Görke. Um dies flächendeckend zu gewährleisten, seien im Rahmen der mobilen Kinder- und Jugendarbeit insgesamt drei Personen auch in den Ortsteilen im Einsatz. Diese Streetworker sind keine direkten Angestellten der Kommune, sondern bei den jeweiligen Trägern angestellt, wobei sich die Kommunen sowie der Landkreis anteilig an den Lohnkosten beteiligen.

Streetworker in Kyritz

In Kyritz sind die Streetworker unterwegs, um insbesondere an den sogenannten „Brennpunkten“ zu wirken, jenen Vierteln also, in denen ansteigende Familien- und Kinderarmut zu beobachten ist und Kinder in sozialen Kontexten aufwachsen, die wenig Aussicht auf Auswege bieten. „Als Kommune wollen wir uns um die Kinder und Jugendlichen mit geringem Sozialstatus kümmern“, sagt Nora Görke, und die Streetworker seien hierfür eine wichtige Hilfe. „Sie kümmern sich, sind zuverlässige Ansprechpartner für die Jugendlichen, sollten möglichst offen sein und ein zuverlässiges Vertrauens- und Respektsverhältnis zu ihrer Klientel aufbauen bauen“, so Görke. Zudem könnten Streetworker in Konflikten vermitteln und als Mediatoren agieren. Dabei sei der zentralste Gedanke des Streetworking, dass die Kinder und Jugendlichen dort abgeholt würden, wo sie sich aufhalten. „Zum Jugendclub müssen die Jugendlichen ja erstmal hingehen“, so Görke, und das sei oft keine Selbstverständlichkeit.

Streetworker in ein Netz eingebunden

In den vergangenen Jahren haben in Kyritz auch Gewaltdelikte unter Kindern und Jugendlichen zugenommen. Ein weiteres schwieriges Thema sei laut Görke die Verbreitung von Hass und Hetze via die sozialen Medien. Streetwork sei hier eine gute Methode, um vorzubauen und präventiv zu arbeiten, gleichwohl ist der Bürgermeisterin klar, dass es sich erst einmal um ein sehr niedrigschwelliges Angebot handle und die Grenzen der Einflussnahme auf der Hand liegen. „Die Streetworker machen natürlich nicht alles wieder gut, aber sie können unterstützend helfen“, so Görke. Schließlich bewege sich dieser Bereich auf einer Ebene mit den Kindern und Jugendlichen und sei explizit keine Eingriffsverwaltung. „Die Sozialarbeiter sind nicht diejenigen mit drohendem Zeigefinder, sondern sollen Verständnis zeigen auch für kritische Situationen.“ Entsprechend steht die vertraute Begleitung der Kinder und Jugendlichen erst einmal im Fokus – sollte es wirklich gefährlich werden, bestehe dann ein enger Draht zum Jugendamt. „Die Streetworker kreisen nicht wie Planeten um uns, sondern sind eng eingebunden in ein internes Netzwerk.“

Was Kommunen von Streetworkern erwarten

Am besten gelingt Streetwork dort, wo sie eingebettet ist in die weitere Jugendarbeit und in die Strukturen vor Ort. Das bestätigt auch Matthias Fack, der Präsident des Bayerischen Jugendrings, der als Körperschaft des öffentlichen Rechts ebenso Streetworker wie Kommunen unterstützt und berät. Wichtig ist ihm, zu betonen, dass Streetwork nie eine Schnellschuss-Lösung für bereits vorhandene Probleme in Kommunen sein dürfe. „Streetworker  kommen oft erst dann zum Einsatz, wenn es schon Probleme gibt. Dabei gäbe es diese Probleme vielleicht gar nicht, wenn schon früher konzeptionell und präventiv gearbeitet worden wäre“, so Fack. Umso wichtiger sei es, als Kommune das komplette soziale Angebot im Gemeindebereich zu sichten und die Streetworker hier bestmöglich einzubinden. „Streetwork ist ein ganz eigener Ansatz“, sagt Fack und nicht selten würde dieser von kommunalen Entscheidungsträgern missverstanden. „Oft werden von den Kommunen ordnungspolitische Aufgabenstellungen mit Streetwork verbunden. Dann heißt es, die Streetworker sollen mal hingehen und aufräumen, damit wieder Ordnung herrscht. So funktioniert es aber nicht.“

Bürgermeisterin von Kyritz
Bürgermeisterin von Kyritz



Vielmehr sei die Basis von Streetwork eine vertrauensvolle Beziehung, die Verschwiegenheit und Anonymität umfasse. So hätten die Streetworker eine wichtige Lobbyfunktion für ihre Klientel, die dem Auftrag „Räum doch mal auf“ deutlich widerspreche. Statt von den Streetworkern eine derartige „Aufräumarbeit“ zu erhoffen, sollte der kommunale Ansatz laut Fack eher lauten: „Wir schicken bewusst jemanden dorthin, wo es knirscht und brennt, weil wir wissen wollen, was die Jugendlichen umtreibt und was sie wirklich brauchen. Und dann überlegen wir, wie wir sie darin am besten unterstützen können.“ Ein solch vertrauensvoller Auftrag könne überaus positive Folgen haben, im besten Falle entstehe daraus ein Beteiligungsprozess, der die Jugendinteressen vor Ort miteinbezieht. Um derart vertrauensvoll agieren zu können, sollte der Streetworker in einer Kommune laut Fack „möglichst frei arbeiten können. Eine Vertrauensbeziehung bedeutet Verschwiegenheitspflicht und die Beziehungsarbeit ist der Markenkern der Jugendarbeit.“ Dies führe zu einem besonderen Spannungsfeld, in dem sich der Sozialarbeiter bewege.

Ein Streetworker in einer Kommune sollte möglichst frei arbeiten können.“

Matthias Fack, Präsident des Bayerischen Jugendrings

Der Streetworker selbst sollte nach Erfahrung von Fack „aufgeschlossen und kommunikativ, aber keine Plappertasche sein“, jemand also, „dem man vertrauen kann, der authentisch auftritt, aktiv zuhören kann und empathiefähig ist“. Ist ein solcher Streetworker gefunden, bräuchte er von der Kommune die maximale Unterstützung – und nicht zuletzt ordentliches Arbeitsmaterial, wie Fack sagt. „Wenn jemand Streetworker ist, heißt

das nicht, dass er den ganzen Tag unterwegs ist. Er braucht ein Büro, ein Diensthandy, einen Laptop und einen Ort, an dem er Gespräche führen kann. Und auch eine Handkasse schadet nicht, um seiner Klientel im Zweifelsfall mal einen Döner zu spendieren All das ist oft nicht selbstverständlich.“

Streetwork im Landkreis Lörrach

Diese Erfahrung hat auch Norman Heipel gemacht, der unter der Trägerschaft der Caritas seit Mai 2021 im Landkreis Lörrach als Streetworker unterwegs ist und dort drei Gemeinden betreut. Zu Beginn seiner Tätigkeit mangelte es ihm an ganz praktischen Dingen. „Ein Dienstausweis, Visitenkarten, eine Weste, Sticker fürs Auto vielleicht… ich dachte, das seien Selbstverständlichkeiten.“ Er wurde eines Besseren belehrt und hat sich im Laufe der Zeit selbst darum gekümmert. Dies gilt auch für sein Privatauto, mit dem er täglich rund 100 Kilometer zurücklegt, um in allen drei Kommune präsent zu sein, und das er mittlerweile selbst mit einem Sticker „Mobile Jugendarbeit“ beklebt hat. „Ich bin hier, weil ich euch helfen möchte“ – das ist die Botschaft, mit der Heipel bei seiner Arbeit an die Jugendlichen herantritt und versucht, zu den Jugendlichen Vertrauen aufzubauen und auf Augenhöhe mit ihnen zu kommunizieren. Dabei besuche er die Jugendlichen quasi „in ihrem Wohnzimmer“, wie der Streetworker sagt. „Dort stellen sie die Regeln auf und das ist auch ok so.“

Neben der mobilen Arbeit betreut Heipel zudem die Jugendzentren der Gemeinden, unter anderem in der Stadt Todtnau, und ist bei seiner Tätigkeit mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert. „Der Konsum von Alkohol, Cannabis oder Amphetaminen ist bei den jungen Leuten ein Riesenproblem“, stellt Heipel fest. Zudem sei es extrem mühsam, an die Jugendlichen heranzukommen und sie zu etwas zu motivieren. „Ich versuche, die Jugendlichen zu beschäftigen und zu Aktivitäten einzuladen, aber das ist oft sehr schwer. Das Leben der Jugendlichen ist bestimmt von Instagram, TikTok und Chillen“, berichtet er.

Ich besuche die Jugendlichen quasi in ihrem

Wohnzimmer. Dort stellen sie die Regeln auf und das ist auch ok so.“

Norman Heipel, Streetworker im Landkreis Lörrach

Streetworker-Stellen mindestens doppelt besetzen

Die Arbeit als Streetworker ist ein Balanceakt, das wird bei Heipel deutlich. Um diesen erfolgreich zu bewältigen, braucht es seiner Erfahrung nach eine gute Mischung aus Zivilcourage, Bauchgefühl und sozialem Engagement und auch ein sozialwissenschaftlicher Background helfe. In Krisensituationen wendet sich Heipel erst einmal an erfahrene Kollegen – der Weg zur Behörde sei immer erst der letzte Schritt. Die größte Herausforderung sei, dass er der einzige Verantwortliche für diesen Bereich der Jugendarbeit ist. „Ohne mich läuft nichts und das ist ein Problem“, sagt Heipel. „Um Vertrauen zu den Jugendlichen aufzubauen, ist Kontinuität der wichtigste Faktor und wenn ich mal ausfalle, wird das schwierig.“ Entsprechend empfiehlt er allen Kommunen, Streetworker-Stellen mindestens doppelt zu besetzen, um eine dauernde Ansprechbarkeit für die Jugendlichen zu gewähren. Zudem sollten enge Absprachen mit den weiteren Institutionen der offenen Jugendarbeit getroffen werden und es sollte jenseits der Straße einen Ort geben, an den man die Jugendlichen einladen könne.

Das Wichtigste aber sei, dass die Jugendlichen als wertvoller Teil der kommunalen Gemeinschaft wahrgenommen und wertgeschätzt würden. So sagt Heipel: „Die Jugendlichen werden heute oft verdrängt. Sie sollen entweder in Vereine, an den Stadtrand oder am besten gar nicht mehr sichtbar sein. Dabei haben auch sie einen Anspruch auf Platz im öffentlichen Raum und es ist meine Aufgabe, das auch zu betonen und für sie Stellung zu beziehen. Da muss man auch mal Lärm, laute Musik oder blöde Sprüche aushalten.“ Statt über sie verfügen zu wollen, appelliert Heipel daran, den Jugendlichen zuzuhören. „Wenn man die Jugendlichen fragt, was sie brauchen, sind ihre Wünsche oft minimalistisch. Dann geht es darum, dass die Bushaltestelle überdacht wird, ein Basketballkorb aufgestellt wird oder Ähnliches. Als Kommune kann man viel dafür tun, dass sich die Jugend im Ort wohlfühlt."