Die Schweiz hat mehr Bunkerplätze als Einwohner - in Deutschland stehen nur wenige Tausend Plätze wirklich zur Verfügung
Die Schweiz hat mehr Bunkerplätze als Einwohner - in Deutschland stehen nur wenige Tausend Plätze wirklich zur Verfügung
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Bunker? Fehlanzeige!

Zivilschutz in Deutschland: Schutzlos im Ernstfall

Bunker, Sirenen, Schutzräume – der Zivilschutz in Deutschland rückt wieder in den Fokus. Ein Schreiben des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz fordert alle 11.000 Kommunen auf, bis spätestens Ende 2026 potenziell bunkerfähige Räume zu melden. Doch ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Die Vorbereitung bleibt dramatisch mangelhaft.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat eine Debatte zurückgebracht, die in Deutschland lange als erledigt galt: den Zivilschutz. Luftschutzbunker, Schutzräume und Sirenen galten als Relikte des Kalten Krieges. Heute zeigt sich: Das Wegsehen war ein teurer Irrtum.

Anfang Dezember hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ein Rundschreiben an alle 11.000 Städte und Gemeinden versandt. Darin werden Kommunen aufgefordert, bis spätestens Ende 2026 mögliche Schutzräume zu identifizieren und zu melden – von Kellern öffentlicher Gebäude bis zu Tiefgaragen und unterirdischen Bahnhöfen. 

2007 wurde das öffentliche Bunkersystem politisch beerdigt: Investitionen stoppten, Anlagen wurden verkauft oder umgenutzt. Das Ergebnis ist ernüchternd: Von ehemals rund 2.000 öffentlichen Schutzanlagen sind nur noch etwa 500 vorhanden, einsatzfähig ist davon nur ein Bruchteil. Schutzplätze gäbe es im Ernstfall für deutlich weniger als 100.000 Menschen bei 84 Millionen Einwohnern.

Schutzräume fehlen – und niemand weiß, wohin

Selbst diese geringe Zahl an Schutzplätzen ist bislang nur Theorie. Viele Kommunen stehen vor der Aufgabe, erstmals systematisch zu prüfen, welche Räume sich überhaupt eignen. Keller von Schulen, Rathäusern, Kirchen oder Kindertagesstätten, Tiefgaragen, Tunnel und U-Bahnstationen – das BBK-Papier listet mögliche Orte, lässt aber viele Fragen offen. 

Bis März 2026 sollen Kommunen mit der Erfassung beginnen, bis Ende des Jahres soll ein bundesweites Verzeichnis mit geeigneten „öffentlichen Zufluchtsräumen“ stehen. Danach soll die Bevölkerung über Apps informiert werden, wo der nächstgelegene Schutzraum liegt. T

Zum Vergleich: In der Schweiz gibt es Schutzplätze für nahezu jeden Einwohner – ein System, das in Deutschland völlig fehlt.

Ohne funktionierende Strukturen nützt kein Bunker

Zivilschutz besteht nicht nur aus Beton. Entscheidend sind funktionierende Abläufe: klare Meldeketten, geschultes Personal und eingespielte Krisenreaktionen. Genau hier liegt eines der größten Defizite.

In vielen Kommunen gibt es keine festen Zuständigkeiten für Bevölkerungsschutz. Ehrenamtliche Strukturen sind kaum aufgebaut. Dabei zeigt die Praxis: Ohne freiwillige Helfer, Handwerker und Koordinatoren ist eine Krisenbewältigung unmöglich.

Einige wenige Kommunen haben begonnen, Ehrenamtliche systematisch einzubinden und auszubilden. Doch das bleibt bislang die Ausnahme – nicht die Regel.

Technische Herausforderungen: Strom, Sirenen, Barrierefreiheit

Moderne Schutzräume müssen belüftet, versorgt und erreichbar sein. Sie benötigen Strom, sanitäre Anlagen, Notstromversorgung und Barrierefreiheit. Gleichzeitig muss die Bevölkerung im Krisenfall überhaupt informiert werden.

Warn-Apps helfen nur solange Strom und Netze funktionieren. Bei längerem Ausfall bleiben nur Sirenen und Lautsprecherfahrzeuge. Aber auch hier zeigt sich der Investitionsstau: Für eine flächendeckende Sireneninfrastruktur wären hunderte Millionen Euro nötig – bereitgestellt wird bislang nur ein Bruchteil davon.

30 Milliarden Euro – warum die Kommunen das nicht stemmen können

Experten beziffern den notwendigen Investitionsbedarf für einen funktionierenden Zivilschutz in Deutschland auf rund 30 Milliarden Euro. Kommunen können diese Summe nicht aufbringen. Zivilschutz ist eine freiwillige Aufgabe, während kommunale Haushalte fast vollständig durch Pflichtaufgaben gebunden sind.

Im ausführlichen Interview mit dem Radiosender Kontrafunk aus der Schweiz fordert KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt-Maciejewski daher Investitionsprogramme vom Bund. „Förderprogramme helfen hier nicht weiter. Sie sind langsam, bürokratisch und oft an der Realität vorbei konzipiert. Was es braucht, ist ein direktes Investitionsprogramm des Bundes, das Kommunen langfristig Planungssicherheit gibt“, so der Experte.

Fazit: Zivilschutz ist Bundesaufgabe

Im Ergebnis hält Erhardt-Maciejewski fest: „Der Zustand des Zivilschutzes in Deutschland ist das Ergebnis jahrzehntelanger Vernachlässigung. Das BBK-Schreiben an die Gemeinden ist ein Startschuss – aber noch lange kein funktionierender Schutz.“

Schutzräume, Sirenen und Krisenstrukturen müssen konsequent aufgebaut werden – finanziert und gesteuert durch den Bund.

Alles andere bleibt Symbolpolitik. Und die schützt im Ernstfall niemanden.

Hören Sie das komplette Interview hier: