Wie kann Kommunalpolitik auf Populismus a la AfD reagieren? 7 Gedanken zum Thema
Wie kann Kommunalpolitik auf Populismus a la AfD reagieren? 7 Gedanken zum Thema
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Gastkommentar

AfD-Höhenflug: Eine Verhaltenstherapie für Bund, Länder und Kommunen

Es darf niemanden überraschen, dass die AfD derzeit so großen Zulauf hat, meint der Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes, Marco Trips. In seinem Kommentar zeigt er auf, was die anderen Parteien -auch auf kommunaler Ebene - dagegen tun können.

Wahlprognosen vor allem in den ostdeutschen Bundesländern vermelden ein Umfragehoch nach dem anderen für die AfD. Wer aus kommunaler Sicht die Bundes- und Landespolitik beobachtet, den dürfte dies nicht verwundern. Eine fehlende Verwunderung bedeutet hingegen keinesfalls ein Gutheißen. Die Zuwendung zu dieser Partei ist falsch, sie hat keine Lösungen. Sie ist tendenziell in ihrer Führung rechtsradikal. Spätestens seit sie 2020 herumpöbelnde Anhänger in den Bundestag einschleuste, weiß jeder, mit welchen Methoden sie regieren würde. Umso gefährlicher ist aber, dass die derzeitige Regierungspolitik eine so große Unzufriedenheit und Verunsicherung verursacht.

Denn der Grund für die hohen Umfragewerte der AfD sind nicht die überzeugenden Lösungen dieser Partei, sondern eine Unzufriedenheit mit den regierenden Parteien. Letzteren fehlt es zunehmend an Zuspruch für ihre Politik.

Dies liegt nicht unbedingt nur an den Zielen, sondern an der Art und Weise der Umsetzung. Mehr Zuspruch erhält die regierende Politik meines Erachtens nur, wenn sie diese Art und Weise, wenn sie ihr Verhalten ändert. Dies gelingt aber nur, wenn sie auch bereit ist, die zugrundeliegende Grundhaltung zu verändern. Das ist schwierig und schmerzhaft.

Ich möchte einige Hinweise auf Unzufriedenheiten, auf zu ändernde Grundhaltungen und mögliche Verhaltensänderungen aus kommunaler Sicht geben.

1. Enttäuschung über objektive Ungerechtigkeiten

Was Menschen sehr umtreibt, ist verletztes Gerechtigkeitsempfinden. Bundes- und Landespolitik machen zunehmend Politik, die zumindest auf kommunaler Ebene das Gerechtigkeitsempfinden beeinträchtigt. Ein massives Thema ist das Konnexitätsprinzip, das besagt, wenn Bund und Länder neue Aufgaben an Kommunen übertragen, Bund und Länder auch die finanziellen Mittel mitgeben müssen. Ausprägungen der Verletzung dieses Prinzips sind die Beitragsfreiheit in Kindergärten in Niedersachsen, der Ganztagsausbau oder der Aufwuchs in der Wohngeldverwaltung. Immer wurde versprochen, dass alles bezahlt wird, in der Wirklichkeit bleiben große finanzielle Lücken offen. Spricht man es an, wird man ohne Argumente „ausgelächelt“.

Eine andere Art der Verletzung sind Verträge zu Lasten Dritter, wie das Wachstumschancengesetz des Bundes. Wenn der Bund die Wirtschaft entlasten will, mag es sinnvoll sein, und er mag das tun. Aber eben zu Lasten seiner Steuereinnahmen und nicht zu Lasten der Kommunen. Die werden dadurch in den nächsten fünf Jahren in Niedersachsen eine Milliarde an Gewerbesteuer verlieren, sollen aber alles Bisherige so weitermachen und vieles Weitere noch dazu.

Die Grundeinstellung, die dahintersteht, ist: Wir (Bund/Land) sind wichtiger als die (Kommunen). Zuweilen wird geäußert: „Dieses dumme Konnexitätsprinzip, dann können wir ja gar keine Politik mehr machen!“ Und ja, genauso ist es. Wenn kein Bundesgeld da ist, kann der Bund auch keine Politik machen.

Dies einzusehen wäre eine erste Veränderung der Grundhaltung. Zwar sollen Bund und Land durchaus in ihren Feldern entscheiden, dann aber auch den Kommunen die notwendigen Mittel mitgeben.

Die daraus resultierende Verhaltensänderung wäre die strikte Einhaltung des Konnexitätsprinzips und keine Wegnahme von kommunalen Steuern für Bundesversprechen.

2. Verlangen von Unmöglichem und ideologische Weltfremdheit

Nemo ultra posse obligatur, niemand kann über sein Können hinaus verpflichtet werden. Dies ist ein althergebrachter, sehr objektiver Rechtssatz, auch tatsächliche Unmöglichkeit genannt. Auch er wird regelmäßig verletzt.

Als Beispiele sind die Klimapolitik und die Zuwanderungspolitik zu nennen. Deutschland kann selbst bei vollständiger Klimaneutralität mit seinem 1,8% Anteil an CO2-Emmissionen nicht das Weltklima retten. Dennoch suggerieren Bundes- und Landespolitik, dass nichts wichtiger ist, als die Klimaziele bereits übermorgen zu erreichen. Die Wirtschaftskraft Deutschlands, von der seine Behauptung in der globalisierten und in Zukunft chinesisch dominierten Welt abhängt, wird dabei aus dem Blick verloren. Niedersachsen zieht die Klima-Bundesziele von 2032 auf 2026 vor, wobei alle auf kommunaler Ebene wissen, dass dies nicht zu schaffen ist. Die Planungsvorgänge werden nicht fertig sein.

Deutschland kann auch nicht alle Verfolgten dieser Welt aufnehmen. Die kommunalen Unterbringungsmöglichkeiten, die Möglichkeiten der Integration und der Sozialsysteme sind begrenzt. Das individuelle Asylrecht ist nicht geeignet, Migrationspolitik zu steuern. Dublin ist Illusion. 

Die hinter dieser Art von Politik liegende Grundhaltung ist: Wir (Bund/Land) sind moralisch überlegen, ihr (Kommunen) seid nur auf eure Wirtschaft bedacht und wollt keine Fremden. Das Gegenteil ist der Fall. Natürlich wird in den Kommunen aller Art Klimaschutz betrieben, inklusive Energiewende. Das ist auch richtig, nur nicht in der derzeitig behaupteten Absolutheit. Natürlich werden Fliehende aus dem Ausland aufgenommen und integriert, und zwar nur in den Kommunen und nicht durch Land oder Bund. Auch das ist natürlich richtig, hat aber tatsächlich Grenzen an Wohnraum und haupt- und ehrenamtlicher Kraft. Altbundespräsident Gauck hat nunmehr zum zweiten Mal darauf hingewiesen. Auch die Bereitschaft der Gesellschaft zur Aufnahme von kulturell teilweise sehr unterschiedlichen Menschen ist begrenzt, so wenig manche Politiker dies auch wahrhaben wollen. Der um sich greifende (und im Übrigen nicht durch diese Art von Migrationspolitik zu lösende) Personalmangel tut sein Übriges.

Die notwendige Änderung der Grundeinstellung wäre, sich etwas mehr Realismus zu gestatten und die Interessen und Möglichkeiten Deutschlands abseits von Ideologien nüchtern zu betrachten, ohne den Wunsch auf eine bessere Welt zu verlieren.

Die daraus resultierende Verhaltensänderung wäre eine ehrliche Analyse unserer Möglichkeiten. Es wäre eine engere Abstimmung mit der örtlicher Ebene, die dies ausführen soll. Es wären Vorgaben, die faktisch auch erreicht werden können, etwa mittelfristige Klimaziele und europäische Kontingentlösungen plus echter Integrationsprogramme in der Zuwanderung.

3. In die Ecke gestellt und Ängste nicht ernst genommen fühlen

Was habe ich da gerade gesagt: Das persönliche Asylrecht und Dublin wird als Maßstab für die Zuwanderung nicht mehr funktionieren? Das Klima wird nicht in Deutschland gerettet? Unsere Energiepolitik führt uns in die Rezession? Das sind ja alles rechte, faschistische Positionen! Mancher mag hier beim Lesen bereits aussteigen. Und auch da liegt ein Fehler. Auch Gegenpositionen müssen ertragen und sogar ernsthaft überdacht werden. Es sind Positionen, die eine Vielzahl von Menschen teilen, ohne per se rassistisch, fremdenfeindlich oder klimaleugnerisch zu sein. Es sind ganz normale Fragen. Die muss man stellen. Wenn man ständig mitleidig angesehen oder „ausgelächelt“ wird, dann fühlt man sich nicht ernstgenommen. Und wenn man gesagt bekommt, das sei ja alles unveränderbar, oder sogar als rassistisch eingestuft wird, wenn man zum Beispiel zwischen ukrainischen Frauen mit Kindern und nordafrikanischen alleinstehenden Männern als Flüchtlingen unterscheidet, dann fühlt man sich in eine Ecke gestellt.

Diese in die Ecke-Stellen-Haltung wird von einem ganz überwiegenden Großteil der Medien unterstützt. Das beginnt bei Böhmermann („CDU als Nazis mit Substanz“) und geht weiter, wenn Panorama im Ersten als Grund Nummer 4 von 8 Gründen für das Erstarken der AfD pauschal eine „Unterstützung durch die Union“ benennt. 

Hinzu kommt eine Spaltung von Stadt und Land. Gerade die Lebensrealitäten der ländlichen Räume (beispielhaft schlechter Nahverkehr, Lasten der Erneuerbaren Energien, langsames Internet) prallen auf die gelebte Progressivität der modernen Städte. Nur weil (ausschließlich) veganes Essen in Kindertagesstätten, Gender-Toiletten und Elektromobilität in der Berliner oder Hannoveraner Blase angesagt sind, sind dies nicht die einzigen Wahrheiten, die für alle Regionen mit ihren Traditionen und Gepflogenheiten zutreffen müssen. Es ist nicht per se unmoralisch, Grün- oder Braunkohl mit Kohlwurst essen zu wollen, das Diesel-Fahrzeug für seine Effizienz auf der Langstrecke zu loben und Vorbehalte gegen überproportional volle Containerdörfer mit Flüchtlingen aus aller Welt zu haben. Die Menschen wollen nicht in die „böse“ Ecke gestellt oder einseitig belehrt werden.

Die Grundhaltung ist: Nur ich (Bund/Land) bin schlau, moralisch vollkommen und durchschaue die Welt, die anderen (Kommunen) sind dumm oder mindestens von schlichtem Gemüt, vielleicht sogar verkappte Fremdenfeinde.

Diese Haltung müsste sich ändern in ein ernsthaftes Interesse an der Lage des anderen (und nicht an den Auswirkungen auf die nächste Wahlumfrage oder an der Zustimmung des eigenen Klientels). Menschen mit ihren Problemen müssen am Herzen liegen und nicht nur eine Störung der eigenen politischen Blasen sein.

Dann kann sich das Verhalten in ernsthaftes Zuhören statt dem Aufsagen von Ausweichfloskeln verändern. Eigene Einstellungen und Ansichten wären immer wieder an den Ansichten von anderen zu messen. Respekt und Toleranz statt Hysterie und Spaltung wären die Folge.

4. Falsche Tabus

Ergänzend zum vorherigen Punkt sind überlebte Tabus zu benennen. Politik spricht nicht über bestimmte Themen. Die Menschen merken aber, dass hier etwas ausgelassen wird. Es gibt hierzu die politikwissenschaftliche Theorie des Issue Ownership, das heißt übersetzt die Theorie des Alleineigentums bestimmter Parteien für bestimmte Themen. Die Theorie besagt, dass man Themen nicht ansprechen soll, die anderen Parteien nutzen. Kurz: Die FDP soll nicht über Umweltschutz reden, weil die Leute dann vermehrt das Original, die Grünen, wählen. CDU und SPD dürfen nicht über Grenzen der Zuwanderung reden, die Leute wählen sonst AfD. Wenn aber in der Hochphase der Unterbringung der Ukraine-Vertriebenen vor der Landtagswahl das Wort Turnhalle nicht fällt, ziehen sich Bund und Land aus der Affäre. Die Kommunen werden alleingelassen und die Menschen merken das. Wer Issue Ownership sagt, will nicht nachdenken und eigene Konzepte aufstellen. Hierzu gehört übrigens auch das komplette Verschweigen der AfD, anstatt sich mit ihren Inhalten auseinanderzusetzen. 

Die Grundhaltung: Die Wähler sind dumm, wir (Bund/Land) kommen davon, wenn wir bestimmte Dinge nicht ansprechen. Wir reden lieber über etwas, das uns Likes und Klickzahlen beschert.

Die eigentliche Grundhaltung sollte sein, aus der Ecke der Issue Ownership herauszukommen und eine Issue Reoccupation zu starten. Das geht aber nur, wenn man dann auch sein Verhalten ändert, indem man solide Konzepte macht, die verlässlich, realistisch und ausfinanziert sind und auf längere Zeit weitertragen. 

5. Nicht in der Sache stecken, unvorbereitet sein, Wortblasen

Hier schließt sich das nächste Thema an. Die bisherigen Verhaltensänderungen kann man nur erreichen, wenn man in der Sache steckt und argumentieren kann. Das ist in den immer komplexer werdenden Themen schwierig. Der oftmals beschrittene Ausweg ist dann eine Ankündigungspolitik, der nichts oder zumindest nicht das Suggerierte folgt („Zeitenwende“). Gerne genommen wird auch das Ausweichen auf andere Themen, die dann überraschend mit einer Wendung versehen werden (Oft, weil es eh nicht mehr lange gutgeht.). Wenn die kommunale Seite also auf die bisher genannten Punkte hinweist, wird überraschend die Position zum Wolf geopfert, um damit zu punkten. Das ist einfacher, als auf die eigentlichen angefragten Probleme einzugehen und seine Grundeinstellung und sein Verhalten zu überprüfen. Auch Scheinhandlungen wie das scheinbare Aufnehmen und An-Sich-Ziehen der Kritik, um als Macher dazustehen, kommt immer wieder vor. Hierzu zählt der gerade vom Kanzler vorgeschlagene „Deutschlandpakt“. Die kommunale Seite fühlt sich verhöhnt, wenn ihre jahrzehntelang vorgetragene Kritik eigentlich sogar gegen sie gewendet wird: „Wenn wir nur alle wollten, würde es gehen!“

Die Grundhaltung ist Angst, Fehler oder Unvollkommenheit einzugestehen. Eine Veränderung wäre eine gesunde Fehlerkultur auch in Bundes- und Landespolitik. Dort herrscht der Glaube, dass jeder Fehler sofort vom Wähler bestraft wird. Bei manchen schwerwiegenden Fehlern ist dies so. Oftmals straft der Wähler aber das Nichteingestehen von Fehlern oder das sich darin Verheddern stärker ab, als den Satz „Entschuldigung. Das hatte ich bisher so nicht gesehen. Lasst es uns neu analysieren und dann unsere Politik neu ausrichten“. Das wäre ein angemessenes Verhalten.

6. Das Empfinden von Gängelung und Bürokratiewahnsinn

Obwohl es ein Riesenthema ist, kann man den Bürokratiewahnsinn hier relativ kurz abhandeln. Noch nie wurde Bürokratie abgebaut, dreiseitige Anträge für Fördermittel bestehen regelmäßig fünf Jahre später aus fünfundzwanzig Seiten. Ärzte, Pfleger und andere dokumentieren mehr, als sie behandeln. Die Beispiele sind Legion. Die Menschen verspüren eine Ohnmacht und Sinnlosigkeit.

Die Grundhaltung dahinter ist: Nur wir (Bund/Land) wissen, wie es geht, und müssen euch (Kommunen) kontrollieren, weil ihr unsere Ziele nicht umsetzt und es nicht versteht.

Eine andere Grundhaltung könnte sein: In eurem Rahmen geben wir euch die Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen und dazu die finanziellen Mittel. Wir vertrauen auf die demokratisch legitimierte kommunale Selbstverwaltung und auf euren Pragmatismus. Ihr wisst, wie man Schulen und Kindergärten baut, macht es einfach.

Das daraus resultierende Verhalten wäre eine pauschale und ausreichende kommunale Finanzausstattung, die Abschaffung aller Förderprogramme und die Beendigung der meisten Ausführungsvorgaben im Sinne des Subsidiaritätsprinzips.

7. Fazit: Ursachen angehen, statt Symptome bekämpfen

Es hilft nicht, über Brandmauern und gemeinsames Abstimmen zu diskutieren oder darüber, ob man Verwaltungsvorlagen eines AfD-Bürgermeisters ablehnt und neu einbringt. Darüber, ob man Mitgliedern der AfD Fraktion die Hand geben darf, oder nicht. Das ist alles ein Behandeln von Symptomen, das schlimmstenfalls die Ursachen noch verstärkt. Die AfD ist keine eigene gestaltende Kraft, sondern eine Reaktion auf die beschriebenen Grundhaltungen und Verhaltensweisen der derzeitigen Politik. Wer dies in Bund und Ländern verstanden hat, muss im obigen Sinne bei sich selbst ansetzen. Alles andere führt nach meiner Einschätzung in die Irre.