Wie man dem Rechtspopulismus vor Ort begegnen kann - Ideen eines Zukunftsforschers
Wie man dem Rechtspopulismus vor Ort begegnen kann - Ideen eines Zukunftsforschers
© fotolia

Thesen und Ideen

Zukunftsforscher: Den neuen Rechtspopulismus besiegen

Nach den Erfolgen der AfD bei der Landratswahl in Sonneberg in Thüringen und der Bürgermeisterwahl in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt ist das Land im Aufruhr und die AfD im Höhenflug. Zukunftsforscher Daniel Dettling stellt zwei Thesen auf und gibt konkrete Tipps, was nun zu tun ist.

These 1 zum Rechtspopulismus: Die AfD ist eine Reaktion, keine Revolution

Populisten sind Reaktionäre, die sich nach der intakten Welt eines eingebildeten Goldenen Zeitalters zurücksehnen – so beschreibt es der in den USA lehrende Ideenhistoriker Mark Lilla in seinem Buch "Der Glanz der Vergangenheit" (2018). Sie seien keine Revolutionäre, die ihre politischen Wünsche auf die Zukunft ausrichten, sondern Verteidiger eines nostalgisch verklärten Zeitalters, in dem sich Mensch, Welt und Gott in Harmonie befanden. „Früher war alles besser“ ist das Lied der Reaktion. Eine Welt, in der es noch ein nahezu überall geteiltes Rollen-, Geschlechter- und Familienverständnis gab. Eine Welt ohne Gendersterne, Minderheitenrechte und Zuwanderung. Der Rechtspopulismus ist die große kulturelle Gegenbewegung zum empfundenen linksliberalen Zeitgeist. Er begann 1989 mit dem Ende des Kommunismus und dem Siegeszug des Kapitalismus und sieht sich als Gegenbewegung zu 1968.

These 2 zum Rechtspopulismus: Die AfD ist der Schaum, nicht die Welle

Der Rechtspopulismus ist der „Schaum auf der Welle“, so der parteilose Landrat von Mittelsachsen, Dirk Neubauer. Die Welle ist die Frage: Wie entsteht sie und warum? Und vor allem: wie bricht man sie?“ Die AfD ist ein Symptom für den Zustand unserer Gesellschaft. Nur noch ein Drittel der Bevölkerung traut der Politik „da oben“. Die AfD ist kein ostdeutsches, sie ist ein gesamtdeutsches Problem. In Regionen mit ähnlichen Sozialstrukturen entfallen die Ost-West-Unterschiede. Die große Mehrheit der AfD-Wähler (67 Prozent) ist von den „anderen Parteien“ enttäuscht (ARD-Deutschlandtrend, Juli). Nur mit konkreter Politik lassen sie sich zurückholen.

Doch was tun gegen Rechtspopulismus - drei konkrete Ideen für die Kommunalpolitik vor Ort!

 

Idee 1: Bürgermeister statt Belehrung!

Die Kommunen Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz haben eins gemeinsam: sie zeigen den politischen Leerraum, der in vielen, vor allem entlegenen ländlichen Regionen entstanden ist. Ihre Bewohner sehen sich als Verlierer; Abwanderung und fehlende Perspektiven führen zu Verunsicherung und Zukunftsangst. Diese Kommunen brauchen gute Bürgermeister und keine moralische Belehrung aus Berlin. Wo die Menschen das Gefühl haben, beteiligt und gehört zu werden, sind die politischen Verhältnisse stabiler und konstruktiver. CDU, SPD, Grüne und FDP waren in den beiden, von der AfD eroberten Kommunen zuletzt nicht mehr präsent. Fast alle der Bürger in Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz können sich vorstellen, in Zukunft wieder CDU oder SPD zu wählen, berichten Beobachter. Dafür müssen beide kommunalpolitisch auf- und bundespolitisch abrüsten. Die besten Köpfe müssen (auch) in den Kreistagen und in den Gemeinderäten und nicht nur im Bundestag und Europaparlament sitzen.

Idee 2: Mehr Gerechtigkeit für den Osten!

30 Jahre nach 1989/90 verdienen die Menschen im Osten knapp 25 Prozent weniger als im Westen. Der Unterschied bei den Gehältern beträgt exakt 12.173 Euro im Jahr, obwohl die Menschen zum Teil deutlich länger arbeiten. Niedrigere Löhne bedeuten eine größere Armut im Alter. Die Altersarmut steigt bereits heute schneller im Osten als im Westen. Steigende Energiepreise treffen die Menschen dort stärker. Gast, Strom und Wasser sind in Ostdeutschland fast überall um bis zu 15 Prozent teurer. In Sonneberg sind fast die Hälfte aller Arbeitnehmer Mindestlohnempfänger. Viele Unternehmen mit Hauptsitz im Westen zahlen ihren Beschäftigten nur dort einen Inflationsausgleich und nicht den Kollegen im Osten. Etliche Kommunen sind unterfinanziert und benötigen mehr Eigenmittel und Spielraum statt Förderanträge und Bürokratie. All das ist auch Folge mangelnder ostdeutscher Repräsentanz in bundesdeutschen Institutionen. Einen Plan, eine „Agenda Ost“ gibt es weder von der Ampel-Koalition noch von der Union.

Idee 3: Mehr Engagement!

Die Stärke der Rechtspopulisten ist die Schwäche der Demokraten. Hier ist der Osten Trendsetter: Die Kluft zwischen den Parteien und ihren Wählern, zwischen Führung und Basis, ist dort größer und wächst schneller als im Westen. Der Westen wird nachziehen, auch weil die Parteien der Bonner Republik, CDU, SPD, FDP und Grüne, bundesweit zunehmend als „Medienparteien“ (Marcel Lewandowsky) wahrgenommen werden. Als Transmissionsriemen zwischen Volk und Regierung fallen sie zunehmend aus. Die Folge: Immer mehr Menschen fühlen sich ohnmächtig gegenüber den Krisen unserer Zeit und fürchten einen „sozialen Klimawandel“. Statt die Freiwilligenprogramme zu kürzen, wie es die Ampel-Regierung in Berlin vorhat, müssen sie massiv ausgebaut werden. Es braucht einen „kommunalen Demokratiedienst“ und keinen „sozialen Pflichtdienst“. Wer ein öffentliches Amt übernehmen und/oder im öffentlichen Dienst tätig werden will, sollte sich für mehrere Monate vor Ort öffentlich und freiwillig engagiert haben. Auf die Abwanderung folgt die Zuwanderung junger Menschen! Von den heute rund 100.000 Jungen, die einen Freiwilligendienst ausüben, sollte sich ein Drittel in strukturschwachen Regionen engagieren, in Ost wie West.

Eine starke Demokratie braucht starke Bürger

Die zunehmende Entfremdung zwischen Politik und Bürgern lässt sich umkehren. Aus „Medienparteien“ müssen wieder Parteien werden, die sich um die Lösung von Problemen kümmern. Und aus Protestwähler wieder Bürger, die die Zukunftswende nicht erleiden, sondern mitgestalten.