Impfen - Aufgebung der Impfpflicht kritisiert
Wenn die Impf-Priorisierung fällt, könnte Chaos drohen.
© AdobeStock

Corona-Pandemie

Kritik an Aufhebung der Impf-Priorisierung

Die ab 7. Juni geplante Aufhebung der Priorisierung beim Impfen stößt nicht nur bei den Ärzten, sondern auch bei Kommunen auf Kritik. Wie die Impfzentrum nun damit verfahren und welchen Einfluss die Länder auf die Reihenfolge beim Impfen haben.
Aktualisiert am 2. Juni 2021

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verteidigt die Entscheidung, ab Montag, 7. Juni, die Priorisierung beim Impfen aufzuheben. "Die Impfbereitschaft ist in keiner Altersgruppe bei 100 Prozent. Wir können nicht immer warten, bis in jeder Altersgruppe die 100 Prozent erreicht sind", sagte Spahn am Dienstag, 1. Juni,  bei einer Pressekonferenz mit dem Leiter des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wiehler. Ärzte und Impfzentren hingegen - und damit auch die Kommunen  - fürchten ein Chaos, denn der Impfstoff ist nach wie vor knapp. In einigen Impfzentren werden derzeit keine Termine mehr für Erstimpfungen vergeben. Das Bundeskabinett hat die entsprechend geänderte Impf-Verordnung am Mittwoch, 2. Juni, zur Kenntnis genommen.

Aufhebung der Priorisierung- dabei fehlt Impfstoff für Erstimpfungen

Im Impfzentrum des Kreises Viersen in Nordrhein-Westfalen kann in den ersten Juniwochen fast nur noch Impfstoff für die Zweitimpfung verimpft werden. "Erstimpfungen sind vorerst wegen des bundesweit zu knappen Impfstoffs kaum noch möglich", teilte Landrat Andreas Koehnen mit. Vor diesem Hintergrund kritisiert er die Entscheidung, nicht mehr bestimmte Personengruppen den Vorrang zu geben.

 „Wer jetzt die Impfpriorisierung aufhebt, sendet ein falsches Signal. Bei den Menschen wird die Erwartung geweckt, jede und jeder könne nun endlich geimpft werden. Davon sind wir aufgrund des jetzt wieder knapper werdenden Impfstoffs jedoch weit entfernt", unterstreicht der Landrat. Leidtragend seien besonders diejenigen Menschen, die bislang das Recht zu einer priorisierten Impfung haben. "Vielen von ihnen konnte noch immer kein Impfangebot gemacht werden. Wird die Impfpriorisierung aufgehoben, müssen sie auch noch mit der Gesamtbevölkerung um Termine konkurrieren", gibt Coehnen zu bedenken. Für ihn steht fest:  "Besser wäre es, die Priorisierung erst aufzuheben, wenn der Großteil dieser Menschen ein Impfangebot bekommen hat.“

Leidtragende sind besonders diejenigen Menschen, die bislang das Recht zu einer priorisierten Impfung haben."

Andreas Coehnen, Landrat des Kreises Viersen

Auch der Landrat des Kreises Landshut, Peter Dreier, ist dieser Meinung. Statt die Impfpflicht aufzuheben, sollte vielmehr eine ausreichende und verlässliche Versorgung mit Impfstoff ganz weit oben auf der Tagesordnung der "großen Politik" über Berlin bis Brüssel stehen, fordert Dreier. Der Landkreis Landshut habe von Anfang an seine Pflichten voll und engagiert erfüllt. Schon als das Impfzentrum voll einsatzfähig war, habe es Probleme mit der spärlichen Impfstoff-Versorgung gegeben. "Jetzt haben wir aktuell die Situation, dass wir offenbar den ganzen Juni keinen Impfstoff erhalten, so dass wir nur noch Zweitimpfungen vornehmen können", sagte Dreier auf Anfrage von KOMMUNAL.

Was hilft es in einer Situation, in der rund 19 Prozent der Bürger bislang zwei Impfungen erhalten hat, da ständig von allen möglichen Lockerungen und von der Aufhebung der Priorisierung zu reden?"

Peter Dreier, Landrat des Kreises Landshut

Was ist nach der Aufhebung der Impfpriorisierung mit den Menschen, die schon länger in sogenannten Impfbörsen registriert sind und auf einen Termin hoffen? Laut Landrat Coehnen warten im Kreis Viersen allein mehr als 3000 Menschen aus Gruppen mit priorisierter Impfberechtigung auf einen Termin über die „Impfbrücke“. Priorisierte schwer Vorerkrankte, Kontaktpersonen von Schwangeren oder Kontaktpersonen von Pflegebedürftigen stehen damit auf der Warteliste. Sie konnten ihre Mobilfunknummer hinterlegen, um über eine SMS nach den Zufallsprinzip ein sehr kurzfristiges Angebot für eine Impfung zu erhalten.

Impfbrücke und Impfstoffbörsen mit langen Wartelisten

Durch den Erlass vom 21. Mai hat das Land Nordrein-Westfalen jetzt festgelegt, dass auch zusätzlich gewonnene Dosen nicht mehr an die über die „Impfbrücke“ priorisierten Personengruppen verimpft werden dürfen. Mobilfunknummern, die noch in der „Impfbrücke“ des Kreises eingetragen sind, bleiben aber bestehen, so der Landrat. Mehr Infos.

Der Kreis Viersen wird auch  beim Impfen in den Unterkünften für Geflüchtete und Asylbewerber anders vorgehen. Er setzt damit den  Erlass des Landes ebenfalls um. Demnach dürfen Geflüchtete und Asylbewerber nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen mit AstraZeneca geimpft werden. Stattdessen soll nun Moderna- Impfstoff für die Impfkampagne in Flüchtlingsheimen eingesetzt werden.

"Die Planungen werden derzeit umgestellt, um wenigstens einen Teil der Flüchtlinge und Asylbewerber impfen zu können. Damit soll das Risiko eines Ausbruchs so weit wie möglich verringert werden",  heißt es beim Landkreis.

Münchens Oberbürgermeister kritisiert Aufhebung der Impf-Priorisierung

Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter kritisierte die geplante Aufhebung der Priorisierung. Vom 22. Mai an wurden auf Anweisung des bayerischen Gesundheitsministeriums im Impfzentrum Riem keine Erstimpfungen mehr durchgeführt - für voraussichtlich insgesamt drei Wochen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. Damit soll gesichert werden, dass genug Impfstoff für die Zweitimpfungen zur Verfügung stehe. 

Die Aufhebung der Priorisierung sei vor dieser Kulisse mal wieder "der dritte Schritt vor dem ersten", kritisierte der Oberbürgermeister. Viele Menschen mit Priorisierung sind immer noch nicht geimpft: Von den 80-Jährigen und Älteren sollte mittlerweile jeder, der es wollte, geimpft worden sein. In der zweiten Prioritätskategorie haben laut Gesundheitsreferat (GSR) gegenüber der SZ bis 27. Mai etwa 9100 Menschen noch keine Einladung über die bayerische Impfsoftware Bayimco erhalten.

Bayern will Priorisierung in Impfzentren aufrecht erhalten

Was die dringend auf eine Impfung angewiesenen, gefährdeten Personengruppen betrifft, gibt es aber eine gute Nachricht:  In den bayerischen Impfzentren wird es auch über den 7. Juni hinaus eine Priorisierung bei Corona-Impfungen geben. Die bundesweit geplante Aufhebung der Impfreihenfolge werde bei der Terminvergabe im Freistaat zunächst praktisch kaum eine Rolle spielen, heißt es. Das Online-Registrierungssystem werde weiterhin die Bürger aus Risikogruppen vorziehen, sagte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums Ende voriger Woche in München. Zunächst hatte die "Augsburger Allgemeine" darüber berichtet.

Aus den Unterlagen des Bundesgesundheitsministeriums für den jüngsten Impfgipfel der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten sei bereits hervorgegangen, dass Menschen mit besonderem Risiko wie Alter, Vorerkrankungen oder bestimmten Berufen auch weiter vorrangig an die Reihe kommen sollen, so die SZ. Dies werde auch in Bayern so umgesetzt, sagte die Sprecherin.

Die Impftermine würden wie bisher über das Online-Portal "BayIMCO" organisiert, erklärte die Ministeriumssprecherin. "Dieses ordnet die registrierten Impfwilligen anhand ihrer Angaben einer Priorisierungsgruppe zu und bietet ihnen in der Reihenfolge ihrer Priorisierung Impftermine an." In den Arztpraxen in Bayern ist die Priorisierung schon länger aufgehoben.

Länder können Priorisierung in Impfzentren erlauben

Wichtig zu wissen: Den Ländern bleibt es laut Bundesgesundheitsministerium unbenommen, die Priorisierung in den Impfzentren im Rahmen der ihnen zugewiesenen Impfstoffdosen aufrechtzuerhalten. "Unabhängig von der schrittweisen Aufhebung der Priorisierung können Länder, Kommunen und impfende Ärztinnen und Ärzte in den Praxen und Betrieben eigenverantwortlich und je nach lokalem Bedarf gezielt weiterhin vorrangige Impfangebote für noch ungeimpfte Personen aus den Priorisierungsgruppen 1 bis 3 („höchste, hohe und erhöhte Priorisierung“) ermöglichen", heißt es beim Bundesgesundheitsministerium.

Laut Bundesregierung steht die Corona-Impfung ab 7. Juni jedem, der dies möchte, offen - in Arztpraxen, bei Betriebsärztinnen und -ärzten sowie in Impfzentren. Trotzdem ist Geduld bei der Vereinbarung von Impfterminen gefragt. "Es wird noch dauern, ehe alle, die eine Impfung bekommen möchten, auch eine Impfung erhalten. Betont wird auch: Für Menschen, die aufgrund der bisherigen Priorisierungsregeln bereits einen Impftermin haben, besteht der Anspruch auf Impfung aber unverändert fort.

Landkreis Haßberge: Erstimpfungen müssen nicht eingestellt werden

Das Impfzentrum im bayerischen Landkreis Haßberge sah sich jetzt gezwungen, klarzustellen, dass die Erstimpfungen dort nicht eingestellt wurden. In den sozialen Medien sei kolportiert worden, dass es eine Empfehlung gebe, die Erstimpfungen in den Impfzentren einzustellen sind.

"Unser Impfzentrum teilt daher mit, dass alle vereinbarten und gebuchten Impftermine für die Erst- und Zweitimpfungen wie vorgesehen abgewickelt werden", heißt es auf der Homepage. "Sollte eine Absage eines Impftermins erfolgen, wird der Impfling darüber per E-Mail, SMS oder telefonisch informiert. Wir bitten daher die Bürgerinnen und Bürger mit einem Impftermin, diesen ganz normal wahrzunehmen und zu dem entsprechenden Termin im Impfzentrum zu erscheinen."

Städte- und Gemeindebund fordert ab 7. Juni mehr Impfdosen

Städte und Gemeinden fordern eine deutliche Beschleunigung der Impfkampagne. „Bund und Länder müssen ihre Anstrengungen weiter intensivieren. Ziel muss es sein, im Juli 60 Millionen Bundesbürger geimpft zu haben“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der Rheinischen Post. „Wenn am 7. Juni die Priorisierung entfällt und auch die Betriebs- und Privatärzte eingebunden werden, müssen Bund und Länder zusätzliche Impfdosen bereitstellen“, fordert Landsberg.Was die Auflösung der Impf-Priorisierung bedeutet -  beim Bundesgesundheitsministerium finden Sie dazu weitere Informationen. Auf der Homepage der Bundesregierung gibt es Details zur Kabinettsbefassung.

Ab 7. Juni steigen übrigens auch die Betriebsärztinnen und -ärzte in die Impfkampagne ein.